Integrationsprobleme gab es zu allen Zeiten
Exzellenzcluster untersucht im Wintersemester Kernfragen der aktuellen Islamdebatte
Die aktuelle Debatte um Integration und Islam behandelt aus Sicht von Historikern kein neues Phänomen. „Historisch betrachtet ist es eine Ausnahme, dass alle Mitglieder einer politischen Gemeinschaft denselben Glauben haben. Die Regel ist die religiöse Vielfalt“, erläuterte Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger vom Vorstand des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ am Montag in Münster. Die Historikerin und Leibniz-Preisträgerin kündigte eine öffentliche Ringvorlesung zu Kernfragen der Integrationsdebatte an. Der erste Vortrag ist am 26. Oktober. „Wir untersuchen, warum es Schwierigkeiten machen kann, wenn Anhänger verschiedener Religionen in derselben Gesellschaft zusammenleben, und wie man damit zu verschiedenen Zeiten umgegangen ist“, so die Forscherin.
Machtpolitische und ökonomische Interessen
Der Blick in andere Epochen und Kulturen hilft nach den Worten von Stollberg-Rilinger beim Verständnis gegenwärtiger Probleme. „Man denke etwa an den Streit um Moscheen und Minarette heute; in der Frühen Neuzeit ging es auch schon um Kirchenbauten. Der Streit entzündete und entzündet sich immer noch an öffentlich gezeigten Symbolen: Vor 300 Jahren fühlte sich eine evangelische Mehrheit durch katholische Prozessionen oder Wegekreuze ähnlich provoziert wie manche Christen heute durch Kopftuch und Burka.“ Ob im Zusammenleben Konflikte entstehen und ob sie eskalieren, hängt nach Einschätzung der Expertin stärker von der sozialen und politischen Situation der Gläubigen ab als von ihren Glaubenslehren. „Man kann auch sehr gut beobachten, wie machtpolitische und ökonomische Interessen aus religiösen Konfrontationen Nutzen ziehen und sie zusätzlich verschärfen.“
„Heute ist es populär zu behaupten, Religionen bereiteten aus sich heraus Probleme. Der Islam sei kriegerisch, das Christentum friedlich, heißt es gern“, kritisierte die Historikerin. „Diese Sicht halte ich für äußerst problematisch. In unseren Vorträgen wird deutlich werden, dass viel mehr Faktoren eine Rolle spielen.“ Bedeutsam sei, welchen Normen die Gläubigen in ihrem Alltagsverhalten folgen, welchen wirtschaftlichen und sozialen Status sie haben, ob sie sich in der Mehrheit oder Minderheit befinden und welches Verhältnis die Religion gegenüber der Politik einnimmt.
In der Ringvorlesung „Integration religiöser Vielfalt von der Antike bis zur Gegenwart“ kommen 15 prominente Experten zu Wort, darunter der Frankfurter Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani. Sie beleuchten aktuelle Fragen ebenso wie historische Beispiele von der Antike über das vormoderne China und Indien bis zum mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa. Es sprechen Historiker, Soziologen, Juristen, Judaisten, Theologen, Religionswissenschaftler und Ethnologen.
Respekt statt Ausgrenzung
In der gegenwärtigen Integrationsdebatte sei es wichtig, so Stollberg-Rilinger, „dass Geisteswissenschaftler auf die Gefahren einer zunehmend von gegenseitigem Ressentiment und mangelndem Respekt geprägten Atmosphäre hinweisen“. Wer einen anderen Glauben von vornherein als Grund zum Misstrauen ansehe, grenze aus statt zu integrieren.
Die Vorträge der Ringvorlesung sind jeweils dienstags ab 18.15 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses, Domplatz 20-22, 48143 Münster, zu hören. Die Reihe präsentiert die Themen-Säule „Integrative Verfahren“ des Exzellenzclusters, einen von vier Schwerpunkten des Forschungsverbundes. Zum Auftakt am 26. Oktober äußert sich Prof. Stollberg-Rilinger zum Thema „Nach dem Westfälischen Frieden – Wie gut vertrugen sich die Konfessionsgruppen im Römisch-deutschen Reich?“ Der Vortrag ist Teil der Reihe „Dialoge zum Frieden“ der Stadt Münster. (vvm)
Programm
26.10.2010 | Barbara Stollberg-Rilinger, Münster | Nach dem Westfälischen Frieden – Wie gut vertrugen sich die Konfessionsgruppen im Römisch-Deutschen Reich? (Der Vortrag ist Teil der Reihe „Dialoge zum Frieden“ der Stadt Münster.) |
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2.11.2010 | Reinhard Achenbach, Münster | Zwischen Mose und Zarathustra. Zur gesellschaftlichen Stellung der Juden im antiken Perserreich | ||
09.11.2010 | Perry Schmidt-Leukel, Münster | Hinduistisch-buddhistische Beziehungen in Vergangenheit und Gegenwart |
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16.11.2010 | Michael Borgolte, Berlin | Juden, Christen und Muslime im Mittelalter | ||
23.11.2010 | Detlef Pollack, Münster | Die Akzeptanz religiöser Vielfalt heute. Ein Vergleich ausgewählter europäischer Länder | ||
30.11.2010 | Helene Basu, Münster | Religiöse Vielfalt in indischen Regionalkönigreichen (16.-20. Jahrhundert): Hindu-Könige, muslimische Heilige und Jaina-Propheten | ||
07.12.2010 | Hubert Seiwert, Leipzig | Religion und Staat im vormodernen China | ||
14.12.2010 | Olaf Blaschke, Trier | Konfessionelle Koexistenz und Konflikt in der Kulturkampfzeit | ||
21.12.2010 | Angelos Chaniotis, Oxford | Jenseits des Marktes der Religionen. Kultgemeinden als „emotional communities“ im römischen Osten | ||
04.01.2011 | Etienne François, Berlin | Miteinander in und trotz der Trennung: Katholiken und Protestanten in den paritätischen Reichsstädten (17.-18. Jahrhundert) | ||
11.01.2011 | Monika Wohlrab-Sahr, Leipzig | Säkularität und religiöse Vielfalt: Eine Annäherung an Spannungslinien der Gegenwart | ||
18.01.2011 | Janbernd Oebbecke, Münster | Der islamische Religionsunterricht und die Integration des Islam in Deutschland | ||
25.01.2011 | Navid Kermani, Frankfurt am Main | Deutsche und Muslime. Über Verständigungen und Missverständnisse | ||
01.02.2011 | Regina Grundmann, Münster | Die Freundschaft zwischen Mendelssohn und Lessing – ein Vorbild für das Miteinander von Juden und Christen im deutschen Bildungsbürgertum | ||
08.02.2011 | Rainer Forst, Frankfurt/Main | Toleranz und Integration. Lehren aus der Vergangenheit für die Gegenwart |
Wintersemester 2010/2011
Dienstag 18-20 Uhr
Hörsaal F2 im Fürstenberghaus
Domplatz 20-22
48143 Münster