Förderung der professionellen Wahrnehmung von adaptivem Unterrichtshandeln im Sachunterricht mithilfe von eigenen Unterrichtsvideografien
Theoretische Verortung
Ein adaptiver Umgang mit den individuellen Lernvoraussetzungen und -prozessen von Schülerinnen und Schülern ist bedeutsam, um im naturwissenschaftlichen Sachunterricht Lernerfolge zu ermöglichen (Schönknecht & Maier, 2012). Auf Seiten der Lehrperson setzt dies u.a. die Fähigkeit voraus, relevante Ereignisse und Ergebnisse im Kontext des adaptiven Unterrichtshandelns zu erkennen, diese zu interpretieren, zu bewerten und mögliche Handlungsalternativen benennen zu können (vgl. Junker, Rauterberg, Möller & Holodynski, 2020). Diese Fähigkeit wird in der Literatur als „professionelle Unterrichtswahrnehmung“ bezeichnet (Seidel & Stürmer, 2014) und als ein bedeutsames Ziel der Lehrkräfteausbildung erachtet.
Dass ein Ausbau der professionellen Unterrichtswahrnehmung bereits bei Lehramtsstudierenden möglich ist, zeigen verschiedene Studien (Gold, Hellermann & Holodynski, 2017; Sunder et al., 2015). Die meisten Befunde stellen in Bezug auf die Förderung den Einsatz von Unterrichtsvideografien fremder Lehrpersonen heraus, einzelne Befunde verweisen aber auch auf das Potenzial eigener Unterrichtsvideografien (Gold, Hellermann & Holodynski, 2017). Eine Kombination beider Formen könnte in Bezug auf die Förderung der professionellen Wahrnehmung von adaptivem Unterrichtshandeln demnach das volle Potenzial ausschöpfen (vgl. Hellermann, Gold & Holodynski, 2015). Dies legt wiederum eine Ausweitung des Lehrveranstaltungsangebots nahe, in dem die professionelle Wahrnehmung anhand von Unterrichtsvideos fremder Lehrpersonen trainiert und dann eigener Unterricht videografiert und theoriebasiert analysiert wird. Eine besondere Gelegenheit des kombinierten Einsatzes bietet das Praxissemester, da dort vor allem die Eigenvideografie einfach umsetzbar sowie ggf. mehrfach möglich ist. Die Entwicklung, Implementation und Evaluation eines entsprechenden Konzeptes fehlt jedoch bislang für den Sachunterricht.
Eine Entwicklung und Implementation solch eines Konzepts setzt zudem Wissen darüber voraus, unter welchen Umständen Studierende zur eigenen Videografierung bereit wären. Eigene Erfahrungen zeigen in diesem Zusammenhang, dass Studierende das innovative Angebot einer Videografierung zur eigenen Kompetenzentwicklung in Praxisveranstaltungen nicht immer nutzen. Studien, die untersuchen, welche Faktoren die Studierenden in Bezug auf die Nutzung motivieren bzw. hemmen, fehlen bislang.
Zielsetzung
Eigene Unterrichtsvideografien wurden bisher kaum zur Förderung der professionellen Wahrnehmung von adaptivem Unterrichtshandeln im Sachunterricht eingesetzt. Im Teilprojekt Sachunterricht der 2. QLB-Förderphase wird aus diesem Grund der Fokus auf die Videografierung des eigenen Unterrichts gelegt und die Entwicklung, Implementation und Evaluation eines entsprechenden Konzepts für das Praxissemester im Sachunterricht angestrebt. Das vorliegende Projekt setzt sich dabei aus zwei Forschungsvorhaben zusammen:
1. Erfolgsbedingungen der Eigenvideografie: Das Videografieren des eigenen Unterrichts kann als ein wichtiges Instrument im Zusammenhang mit einer dauerhaft angestrebten Weiterentwicklung der eigenen professionellen Kompetenz gesehen werden. Berichte von Studierenden zeigen allerdings, dass die Eigenvideographie für sie eine gewisse Hürde darstellt und (zunächst) Unsicherheit auslösen kann. Um entsprechende Konzepte zur Förderung der professionellen Wahrnehmung anhand von eigener Videografierung zu planen und die Nutzung des Angebots der eigenen Videografierung auszubauen, wird in einem ersten Schritt untersucht, welche Faktoren die Videografierung und Analyse eigenen Unterrichts sowohl fördern als auch hemmen können.
2. Förderung der professionellen Wahrnehmung von adaptivem Unterrichtshandeln durch Eigenvideografie: In einem zweiten Schritt steht die Förderung der professionellen Wahrnehmung von adaptivem Unterrichtshandeln heterogener Lernstände durch die Videoanalyse und Reflexion des eigenen Unterrichts im Fokus. Dazu wird auf der Grundlage der Ergebnisse des ersten Forschungsvorhabens sowie der Erfahrungen der ersten Förderphase ein entsprechendes Lehrkonzept für das Praxissemester entwickelt, implementiert und evaluiert.
Geplante Evaluation
1. Determinanten der Eigenvideografie: Mögliche nutzungsfördernde bzw. nutzungshemmende Faktoren werden in einer Prä-Post-Befragung vor und nach dem Praxissemester erfasst. Die Post-Befragung wird zudem um eine Einschätzung der Qualität der Lernumgebung im Praxissemester sowie um Interviews mit einzelnen Studierenden ergänzt.
2. Förderung der professionellen Wahrnehmung von adaptivem Unterrichtshandeln durch Eigenvideografie: Die Evaluation des Lehrkonzepts wird in einem Prä-Post-Follow-up-Kontrollgruppendesign durchgeführt. Dazu wird die professionelle Wahrnehmung vor und nach dem Praxissemester mit Hilfe einer offenen Videoanalyse erfasst, die mit Hilfe eines theoriebasierten Kategoriensystems ausgewertet wird. Weitere Kontrollvariablen werden über Fragebögen erfasst.
Literatur
Gold, B., Hellermann, C. & Holodynski, M. (2017). Effekte videobasierter Trainings zur Förderung der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen über Klassenführung im Grundschulunterricht. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 20, 115-136.
Hellermann, C., Gold, B., Holodynski, M. (2015). Förderung von Klassenführungsfähigkeiten im Lehramtsstudium. Auswirkung der Analyse eigener und fremder Unterrichtsvideos auf die professionelle Unterrichtswahrnehmung. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 47, 97-109.
Junker, R., Rauterberg, T., Möller, K. & Holodynski, M. (2020). Videobasierte Lehrmodule zur Förderung der professionellen Wahrnehmung von heterogenitätssensiblem Unterricht. HLZ, 3(1), 236-255. doi: 10.4119/hlz-2554.
Seidel, T. & Stürmer, K. (2014). Modeling and Measuring the Structure of Professional Vision in Preservice Teachers. American Educational Research Journal, 51(4), 739-771.
Schönknecht, G. & Maier, P. (2012). Diagnose und Förderung im Sachunterricht. Handreichungen des Programms SINUS an Grundschulen. Kiel: IPN.
Sunder, C., Todorova, M. & Möller, K. (2015). Kann die professionelle Unterrichtswahrnehmung von Sachunterrichtsstudierenden trainiert werden? – Konzeption und Erprobung einer Intervention mit Videos aus dem naturwissenschaftlichen Grundschulunterricht. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, 22, 1-12.