Mit der Reinheit eines Reimes meint man die phonologische Übereinstimmung oder Klanggleicheit (Homophonie) zwischen den Reimwörtern.
Der sogenannte reine Reim oder "Stammsilbenreim" bezeichnet einen Reim, bei dem Wörter vom letzten betonten Vokal an genau gleich klingen (der davorstehende Konsonant bleibt unberücksichtigt, wie z.B. bei mhd.: leben : geben). Eine Spielart des reinen Reims ist der rührende Reim, auch äquivoker oder gleichlautender Reim genannt (wie z.B. bei mære [Adj. "bekannt", "beliebt"] : mære [Adv. "sehr"] : mære [N. "Erzählung"]), bei dem zusätzlich der Konsonant vor dem letzten betonten Vokal gleich, die Bedeutung oder die grammatische Funktion der Reimwörter jedoch nicht identisch ist (es handelt sich um sog. Homonyme). Beim identischen Reim werden dagegen lexikalisch identische Wörter zu einem Reim miteinander verbunden.
Betrachten Sie nun den folgenden Textauszug aus dem ›Tristan‹ Gottfrieds von Straßburg (um 1200) und versuchen Sie, darin einige der oben erwähnten Reimtypen zu identifizieren. Erklärende Hinweise finden Sie, wenn Sie unten auf "Erläuterung" klicken:
Gedæhte mans ze guote niht, von dem der werlde guot geschiht, so wærez allez alse niht, swaz guotes in der werlde geschiht.
Während nach heutigem Geschmack rührende und identische Reime eher unschön erscheinen, galten ausgiebige Variationen rührender und identischer Reime in der mittelhochdeutschen Dichtung durchaus als kunstvoll.
Während in der mittelhochdeutschen Klassik um 1200 die reinen Reime den Standard darstellten, sind sie in der davorliegenden Zeit (Ahd., Fmhd.) seltener. Bis ins 12. Jh. herrschen zumeist unreine Reime vor, bei denen die Konsonanten oder Vokale der Reimsilbe(n) nicht identisch sind. Der schon im Althochdeutschen wohl geläufigste Reimtyp ist die (unreine) Assonanz oder "Klangähnlichkeit", hier müssen die Laute nur teilweise miteinander übereinstimmen. Beim sog. Endsilbenreim stimmen sogar nur die Endsilben miteinander überein.
Betrachten Sie nun den folgenden Textauszug aus dem frühmittel- hochdeutschen ›Annolied‹ (2. Hälfte 11. Jh.) und versuchen Sie, darin einige der oben erwähnten Reimtypen zu identifizieren. Erklärende Hinweise finden Sie, wenn Sie unten auf "Erläuterung" klicken:
Wir hôrten ie dikke singen von alten dingen: wî snelle helide vuhten, wî si veste burge brêchen, wî sich liebin vuiniscefte schieden, wî rîche kunige al zegiengen.
Tritt ein Reimwort in flektierter Form, an anderer Stelle im Text auf, so handelt es sich um einen grammatischen Reim.
Nûst diu heide wol bekleidet mit vil wunnenclîchen kleiden: rôsen sint ir besten kleit. dâ von ir vil sorgen leidet, 5 wan si was in mangen leiden. gar verswunden ist ir leit von des liehten meien blüete, der hat manger hande bluot. noch fröit baz der wîbe güete, 10 wan die sint für sendiu leit sô guot.