Über soziale Probleme und ideologische Bewegungen: Zwei neue Forschungsprojekte unter der Leitung von Prof. Dr. Thorsten Quandt bewilligt
(10.07.2023) Was zeichnet die Entstehung öffentlicher Debatten über soziale Probleme aus? Wie nutzen religiös-ideologische Gruppierungen die Vernetzungsmöglichkeiten des Internets? Diesen und weiteren Fragen widmen sich zwei neue Forschungsprojekte von Prof. Dr. Thorsten Quandt, die Anfang Oktober starten.
Thorsten Quandt hat gleich zwei umfangreiche Forschungsprojekte eingeworben. In beiden Projekten sollen auf Basis theoretischer und empirischer Überlegungen neue Erkenntnisse und Methoden zur Untersuchung bestimmter Phänomene im Netz gefunden werden. Dazu werden unter anderem automatisierte Analyseverfahren eingesetzt. Die Projektlaufzeit ist jeweils von Oktober 2023 bis September 2026 angesetzt.
DFG-Drittmittelprojekt zu Social Issue Emergence im hybriden Mediensystem
Das erste der beiden Forschungsprojekte trägt den Titel „Social Issue Emergence in the Hybrid Media System“. Im Rahmen des DFG-Drittmittelprojekts wird die Entstehung gesellschaftlicher Debatten über soziale Probleme näher untersucht, wobei die Verbreitung von Hashtag-Kampagnen fokussiert wird. Beispiele wie #metoo oder #blacklivesmatter zeigen, dass durch die Nutzung von Hashtags die öffentliche Aufmerksamkeit auf ein gesellschaftlich relevantes Problem – wie Sexismus oder Rassismus – gelegt und dieses als Social Issue positioniert werden kann. Wenn das Social Issue über soziale Medien geteilt wird und sich viral verbreitet, zieht es auch die Aufmerksamkeit traditioneller Massenmedien auf sich, welche anschließend das thematisierte Problem für eine breite Öffentlichkeit zugänglich machen. Dieser Prozess wird als Social Issue Emergence bezeichnet. Ziel des DFG-Drittmittelprojekts ist es, diesen Verlauf tiefgreifender zu verstehen und dabei die Interaktionen zwischen Mikro-, Meso- und Makroprozessen zu berücksichtigen. Es soll ein Modell entwickelt werden, mit dem diese Dynamiken rekonstruiert, simuliert und hervorgesagt werden können. Methodisch werden Leitfadeninterviews mit Akteur*innen, Politiker*innen und Journalist*innen durchgeführt und durch automatisierte Inhaltsanalysen von Daten aus sozialen Medien, Alternativmedien und Nachrichtenmedien ergänzt.
Für das Drittmittelprojekt arbeiten Wissenschaftler*innen des Instituts für Kommunikationswissenschaft (IfK) Münster mit Forscher*innen des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien zusammen. Die Leitung übernehmen Thorsten Quandt aus Münster sowie Prof. Dr. Annie Waldherr aus Wien. Das Projekt wird mit rund 610.000 Euro von der DFG gefördert. Davon erhält das IfK Münster circa 450.000 Euro; das zuständige Institut der Universität Wien erhält circa 160.000 Euro.
Cluster-Projekt zu religiös-ideologischen Gruppierungen im Netz
Unter dem Titel „Verschwörungstheoretiker, Esoteriker und Bastel-Religionen“ will das zweite im Oktober anlaufende Forschungsprojekt von Thorsten Quandt neue ideologische Bewegungen in Online-Umgebungen analysieren. Gerade im Kontext aktueller Krisen wie der Corona-Pandemie oder dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sind online agierende Gruppierungen, die den gesellschaftlichen Mainstream hinterfragen und Verschwörungstheorien verbreiten, von hoher Relevanz. Dabei dienen insbesondere religiöse Einstellungen oft als Argumentationsgrundlage. Aus diesem Grund fokussiert das Forschungsprojekt die Online-Vernetzung solcher ideologischen Bewegungen, die religiöse Anklage aufweisen. Ziel ist es, anhand theoretischer Überlegungen und automatisierter Methoden eine Übersicht bestehender Gruppen, ihrer Ansätze und ihrer Diskussionen zu erhalten. Zudem sollen die sozialwissenschaftlichen Computational Methods-Verfahren auf das Thema hin angepasst und verfeinert werden.
Das Projekt wird vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der WWU Münster finanziert. Das Cluster betrachtet seit 2007 das Zusammenspiel von Religion und Politik quer durch die Epochen und Kulturen. In der aktuellen Förderphase von 2019 bis 2025 untersuchen Wissenschaftler*innen aus unterschiedlichsten geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern verschiedene Faktoren, die Religion zum Motor politischen Wandels machen.