Am 15. Januar 2024 war Prof. Dr. Mariya Rohozha, Professorin für Philosophie an der Taras-Schewtschenko-Universität Kiew, in der Kolleg-Forschungsgruppe zu Gast. Ihr öffentlicher Vortrag „Memes in Transformation of the Ukrainian Media Landscape in the Context of War“ fand statt im Rahmen des Teilprojekts „Zugang zu kulturellen Gütern im Krieg und in Nachkriegszeiten – eine ethische Analyse. Zugleich ein Beitrag zur Grundlegung einer Ethik des Zugangs zu kulturellen Gütern in internationaler Perspektive“.
Russlands umfassender Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat die ukrainische Medienlandschaft verändert. Der staatlich geförderte Telethon (ein Informations-Telemarathon verschiedener Sender) wurde ins Leben gerufen. Doch allmählich begann das Publikum
zu (neuen) Medienkanälen (z. B. Telegram und Viber) abzuwandern, in denen Textinhalte dominieren und Memes eine zunehmenden Rolle in der Medienlandschaft spielen.
Die traditionelle Rolle von Memes ist die der Unterhaltung. Aber wenn das Grundbedürfnis der Sicherheit verletzt ist, spielen sie eine mobilisierende und therapeutische Rolle. Damit werden sie zu einer Waffe im Informationskrieg, die genauso entscheidend ist wie die an der physischen Frontlinie.
Was sind die Merkmale eines Bildes, einer Aussage oder eines Videos, die es ermöglichen, dass es zu einem Meme wird? Welche Rolle spielt der kulturelle Kontext für unser Verständnis von Memes? Warum spielt die Sprache eine Rolle? Diese und weitere Fragen werden anhand von Memes im Zusammenhang mit dem russisch-ukrainischen Krieg analysiert. Mariya Rohozha wird die Verbindungen zwischen Gelächter und Schmähsprache (M. Bachtin) und die Rolle der letzteren in der ersten Phase des Krieges untersuchen. Sie untersucht den Unterschied zwischen Lachen und Verhöhnung und den Punkt, an dem Spott exzessiv wird und wie die Idee der „Karnevalisierung der Moral“ (U. Eco) während des Krieges zu beurteilen ist.
Manche Kriegsnachrichten werden zu Memes, die einen humoristischen Beigeschmack haben. Aber oft sehen wir Memes in sozialen Netzwerken und lesen erst später von den Nachrichten. Die Memes gehen also den Nachrichten voraus und bieten in einigen Fällen eine humoristische Sicht auf den russisch-ukrainischen Krieg. Das Verständnis der Nachrichten, die Memes werden – und der Nachrichten, die es nicht werden – ist wichtig, um den öffentlichen Diskurs besser zu verstehen.
Memes sind aufgrund der Besonderheiten der Verbreitung von Emotionen und Diskussionen ein wichtiger Bestandteil der digitalen Beteiligungskultur. Die Zensur, die ein unvermeidlicher Bestandteil der offiziellen Fernseh-Politik ist, verwandelt sich in den Kanälen der sozialen Medien in Selbstzensur und eine Kultur der Wachsamkeit. Man kann die Transformation der individuellen Eigenverantwortung als individuelle Autonomie (M. Weber, K. Jaspers, H. Arendt) in eine Kultur der Wachsamkeit betrachten. Unter Kultur der Wachsamkeit versteht man die individuelle Aufmerksamkeit für gesellschaftlich sensible Fragen. Wo die Behörden den öffentlichen Raum nicht durch Zensur kontrollieren können, wird die Informationshygiene durch eine Kultur der Wachsamkeit in Gang gesetzt.