RUSSLAND - DaF-Praktikum an der Staatlichen Universität Tjumen (TjumGU)
Durch die Hochschulpartnerschaft zwischen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und der Staatlichen Universität Tjumen erhielt ich die Möglichkeit, ein 6-wöchiges Praktikum an der TjumGU in Westsibirien zu absolvieren.
„Du machst dein Praktikum in Sibirien?!“
Die Reaktionen, die ich von meinem Umfeld in Bezug auf die Wahl meines Praktikumsortes erhielt, reichten von Überraschung und Zuspruch bis hin zu irritierten Blicken und vorsichtigen Nachfragen.
„Ist es da nicht sehr kalt?“
„Wirst du dich dort ohne Russischkenntnisse überhaupt zurechtfinden können?“
Zugegeben, über einen großen Teil der Fragen, hatte ich mir bis kurz vor Antritt des Praktikums wenig Gedanken gemacht. Bis zu meinem Praktikum war mein Bild von Sibirien vorwiegend durch die amerikanische Unterhaltungsindustrie geprägt. Oder aber durch die Erzählungen von Russlanddeutschen und Aussiedlern, die selbst seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr in Russland gewesen waren. Dementsprechend veraltet und überzeichnet waren meine Vorstellungen, mit denen ich damals den Flug nach Tjumen antrat. Und umso schöner empfand ich es schließlich, wie schnell die Stadt mit ihrer wunderschönen Architektur, ihrer multikulturellen Vielfalt und ihrer Offenheit dieses Bild über den Haufen warf und mich über so manches Vorurteil stolpern ließ.
Tjumen ist nicht nur Hauptstadt des gleichnamigen Oblasts, sondern auch eine der ältesten russischen Ansiedlungen in Sibirien. Aktuell ist es aber vor allem das Verwaltungs-, Wissenschafts- und Kulturzentrum der Region. Dies spiegelt sich unter anderem auch in dem großen Universitätsviertel, der liebevollen Gestaltung des Stadtbildes und dem großen kulturellen Angebot in Tjumen (regelmäßig stattfindenden Kulturfeste, Konzerte oder open-air-Kinoabende) wider.
Mein Praktikum absolvierte ich an der Staatlichen Universität Tjumen (TjumGU). Hierbei handelt es sich um eine der führenden Universitäten in Westsibirien. Aktuell studieren hier mehr als 27.000 Studierende, von denen ca. 2000 internationale Studierende aus mehr als 37 verschiedenen Ländern sind. Mein Praktikum bestand aus zwei Teilen: einer interkulturellen, deutsch-russischen Jugendbegegnung und einem „Deutsch als Fremdsprache“-Praktikum am Lehrstuhl für deutsche Philologie.
Teil 1: deutsch-russische Jugendbegegnung
Vor dem Beginn der Vorlesungszeit fand in Kooperation mit dem Deutschen Jugendherbergswerk eine interkulturelle Jugendbegegnung statt, an der ich mitwirken konnte. In einer Gruppe von 11 deutschen und 10 russischen Teilnehmenden verbrachten wir eine Woche mit einem spannenden, interkulturellen Programm. In Projektarbeiten und diversen Diskussionen setzen wir uns mit der Frage auseinander, was es bedeutet „russisch“ oder „deutsch“ zu sein. Dabei konnten wir viele Gemeinsamkeiten entdecken und auch viel über (vermeintliche) Vorurteile und kulturelle Eigenheiten erfahren. Da die Ausgangssprache der Begegnung Englisch war, nahmen nicht nur russische Deutschstudierende, sondern auch Studierende anderer Fachbereiche teil und bereicherten die Begegnung zusätzlich. Auch wurde viel Zeit für gemeinsame Ausflüge, Kochabende oder die Entdeckung des kulturellen Angebots in Tjumen gegeben, sodass wir auch außerhalb des Seminars immer wieder ins Gespräch kamen und wir freundschaftliche Beziehungen knüpften.
Teil 2: DaF-Praktikum
Mit dem Start der Vorlesungszeit begann mein DaF-Praktikum am Lehrstuhl für deutsche Philologie. Der Lehrstuhl ist gut zu überschauen. Er umfasst aktuell ca. 10 Lehrende und ca. 230 Studierende mit dem Haupt- oder Nebenfach Germanistik. Während meines Praktikums habe ich Kurse auf unterschiedlichen Sprachniveaus begleiten können und konnte in Kooperation mit den Lehrenden selbst Unterrichtsreihen gestalten und durchführen. Aufgrund der Jugendbegegnung kannte ich bereits einige der Studierenden und fand mich so sehr schnell an der Universität zurecht. Die Studierenden halfen mir mich zu orientieren und mich in verschiedenen Lebenssituationen ohne Russischkenntnisse zurechtzufinden.
Aber nicht nur die Studierenden, sondern auch die Lehrenden am Lehrstuhl waren sehr freundlich und hilfsbereit. Fast jeder der Lehrenden hatte selbst für mindestens ein Jahr in Deutschland gearbeitet und war als DoktorandIn oder als Lehrende/r an deutschen Universitäten und Schulen tätig gewesen. Die Lehrenden haben daher sehr reflektierte und differenzierte Bilder von Deutschland aber auch von Russland, die in den Unterricht einfließen.
Insgesamt fiel mir auf, dass der Fremdsprachenunterricht nicht nur sehr interaktiv war, sondern auch der Einsatz von digitalen Medien für einen gelungenen Unterricht genutzt wurden. Neue Vokabeln wurden beispielsweise nicht einfach am Anfang des Unterrichts abgefragt, sondern die Lernenden traten in Teams mittels Handyteilnahme zu kleinen 5-minütigen-Wettbewerben an, die mit dem Beamer vorne auf die Leinwand projiziert wurden. Über Apps wie „Padlet“ wurden den Lernenden digitale Pinnwände zur Verfügung gestellt, auf denen Unterrichtsinhalte reflektiert und diskutiert wurden. Doch auch unabhängig vom Einsatz der Digitalisierung erhielt ich von vielen der Lehrenden sehr gute Anregungen, wie sich der DaF-Unterricht kreativ und kommunikativ gestalten lässt.
Mit am meisten beeindruckte mich während meines Praktikums die herzliche Gastfreundschaft, die mir entgegengebracht wurde. Von den Lehrenden bis hin zu den Studierenden waren alle sehr herzlich und ernsthaft bemüht, meinen Aufenthalt so schön wie möglich zu gestalten. Auch fühlte sich stets jemand dafür verantwortlich, mir bei der Orientierung zu helfen. So gingen die Studierenden anfangs mit mir Einkaufen oder zeigten mir die Wege und wichtigsten Gebäude, die schönsten Cafés und die besten heißen Quellen zum Baden. Auch die Lehrenden boten immer wieder ihre Hilfe an und stellten Kontakte her. So nahm eine Dozentin, als sie hörte, dass ich einen Tagesausflug nach Tobolsk plante, direkt Kontakt mit einem Lehrenden an der dortigen Universität auf, um zu organisieren, dass mich und meine Begleitung in Tobolsk deutschsprachige Studierende erwarteten, die uns die Stadt zeigen und uns sprachlich helfen konnten.
Nach einer Zeit voller spannender Erlebnisse und neuer Erfahrungen fiel es mir recht schwer, wieder nach Hause zu fliegen. Nicht nur in Bezug auf meine Ausbildung im Bereich DaF, sondern auch in Hinblick auf interkulturelle Kommunikation konnte ich viele wertvolle Erfahrungen machen. Und auch persönlich konnte ich von diesem Aufenthalt sehr profitieren. Daher möchte ich das Praktikum jedem Interessierten herzlich empfehlen.
Bezüglich der Planung und Organisation bietet Albina Haas eine ausführliche Beratung an und stellt Kontakte zum International Office und zum Lehrstuhl für deutsche Philologie der TjumGU her. Eine finanzielle Förderung ist beispielsweise durch die Inanspruchnahme eines Promos-Stipendiums möglich. Gleichzeitig stellt die TjumGU eine kostenfreie Unterbringung in einem der Studierendenwohnheime zur Verfügung. Bei Interesse und Fragen melden Sie sich gerne bei erasgerm@uni-muenster.de