Im Teilprojekt C05 wurden bürokratische, informelle und politische Praktiken des Entscheidens in westfälischen Dörfern des 19. und frühen 20. Jahrhunderts untersucht. Zu diesem Zweck wurden zunächst die verschiedenen Dimensionen situationsadäquater Maßnahmeentscheidungen genauer analysiert, da es auf Seiten der Lokalverwaltung im Gefolge der Landgemeindeordnungen von 1841 und 1856 mit dem Amtmann nur einen Akteur gab. Dieser stand in einem Spannungsverhältnis zu dörflichen Interessen und Partizipationsansprüchen. Demzufolge ging es ebenso darum, die Modifikation staatlicher Vorgaben aufgrund der informellen Aushandlung mit dem Dorf aufzuzeigen. Darüber hinaus wurden unter dem Stichwort Parlamentarisierung Veränderungen auf der Ebene der dörflichen Entscheidungsfindung untersucht: Zwar billigte der Gesetzgeber den Landgemeinden Westfalens im Vergleich zu den Städten ein geringeres Maß an „Selbstverwaltungsangelegenheiten“ zu, gleichwohl gewannen die neuen parlamentarischen Gremien an Kompetenzen.
Das Projekt löste sich damit von der älteren verwaltungsgeschichtlichen Perspektive, welche auf die 1:1-Umsetzung von staatlichen Vorgaben rekurriert hat, und nahm die Anregungen der neueren Forschung auf, die verwaltungsinternen Kommunikationsprozesse und die Stellung des Lokalbeamten im Dorf zu beleuchten. Diesen Anspruch verfolgte das Projekt in drei Hinsichten: Zum einen wurde lokales Verwaltungshandeln auf der Grundlage entscheidenstheoretischer Ansätze untersucht und so in neuer Weise in den Blick genommen. Zum zweiten ließ sich die politische Kultur des (westfälischen) Dorfes im 19. und frühen 20. Jahrhundert durch eine oftmals widersprüchliche Verknüpfung unterschiedlicher Modi des Entscheidens beschreiben; deren Logik und kulturelle, sowie historische Voraussetzungen galt es im Projekt genauer zu beleuchten. Denn erst aufgrund der komplexen Gemengelage unterschiedlicher Modi des Entscheidens wurde, so die Hypothese, eine eigenverantwortliche dörfliche Kommunalpolitik möglich: Wenn der Amtmann nicht nur als Glied staatlicher Auftragsverwaltung agierte, sondern auch als Organ dörflicher Interessen, dann könnte sich gegen die Intention des Gesetzgebers eine kommunale Selbst- und Leistungsverwaltung entwickelt haben. Schließlich thematisierte das Projekt zum dritten die Auswirkungen von Modernisierungsprozessen, hier vor allem von Bürokratisierung und Parlamentarisierung, auf lokale Entscheidungspraktiken und auf die Kulturen dörflichen Entscheidens.