In Teilprojekt C04 wurden in epochenübergreifender Perspektive und im deutsch-englischen Vergleich die Funktionsweisen gerichtlichen Entscheidens untersucht. Im Gegensatz zur Urteilsanalyse fokussierten die Forschungen nicht auf Entscheidungen und ihre Begründungen, sondern auf die zivilgerichtliche Praxis des Entscheidens. Mit der vergleichenden Perspektive wurden wiederum nicht nur zwei unterschiedliche Rechtstraditionen erfasst, sondern auch verschiedene forensische Medien und Kommunikationsformen in den Blick genommen, insofern sich das Gerichtsverfahren im deutschen Bereich eher schriftlich und organisationsförmig, in England hingegen eher mündlich und interaktionsförmig vollzog. Die Untersuchung der gerichtlichen Entscheidungspraxis ging ganz wesentlich auch auf diese mediale wie auch auf die expressiv-symbolische Dimension der Rechtsprechung ein: Nicht nur die Herstellung von Entscheidungen, sondern gerade auch die Darstellung des gerichtlichen Entscheidens wurden zum Thema.
Die beiden Unterprojekte haben Zivilprozesse aus dem 18. und 19. Jahrhundert untersucht. Für das Alte Reich bzw. Deutschland wurde die Spruchtätigkeit des Lübecker Rates sowie des späteren Oberappellationsgerichts der vier Freien Städte (Unterprojekt A; Bearbeiterin: Clara Günzl), für England die Prozesspraxis der Westminster-Gerichte King’s Bench und Common Pleas (Unterprojekt B; Bearbeiter: Alexander Durben) unter die Lupe genommen. Die Praxis dieser Gerichte wurde anhand von Prozessen untersucht, in denen vergleichsweise neuartiger Entscheidungsbedarf zum Ausdruck kam. Dies war besonders im Bereich von Wirtschaft, Handel und Finanzen der Fall. Die Projektleiter haben zudem Prozesse des Entscheidens am Reichskammergericht, Reichshofrat und Wismarer Tribunal (Oestmann) sowie dem Court of Chancery (Krischer) untersucht. Der Grund für die Konzentration auf zivilrechtliche Verfahren liegt darin, dass in diesem Rechtsbereich mit einer erhöhten „Kontingenzbelastung“ gerechnet wurde – also mit Urteilen, die auch anders hätten ausfallen können.