Aus Westfalen in die Südsee
Ausstellung im Stadtmuseum Münster zeigt erstmals katholische Mission in deutschen Kolonien in Ozeanien – „Ausgeprägtes kulturelles Überlegenheitsgefühl der Missionare gegenüber der indigenen Bevölkerung“ – Vielfältige Exponate: Fotografien aus dem Missionsleben, Tierpräparate, Schnitzfiguren des indigenen Totenkults – „Keine einseitige koloniale ‚Erfolgsgeschichte‘, sondern komplexe Verflechtungen“ – Eröffnung am Freitag, 21. September
Pressemitteilung des Exzellenzclusters vom 19. September 2018
Die neue Ausstellung „Aus Westfalen in die Südsee“ im Stadtmuseum Münster zeigt ab Samstag erstmals die katholische Missionsgeschichte in Ozeanien während der deutschen Kolonialzeit am Beispiel westfälischer Orden. „Ende des 19. Jahrhunderts verbanden sich in Deutschland Kolonialismus und christliche Mission“, erläutern die Historikerin Prof. Dr. Silke Hensel vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der WWU und die Museumsdirektorin Dr. Barbara Rommé, die die Ausstellung entworfen haben. „Dies galt besonders für Ozeanien, die Inselwelt im Pazifik bei Australien, wo das Deutsche Reich nur deutsche Missionsgesellschaften und -orden dulden wollte.“ Aus Westfalen waren zwei Orden beteiligt: Die eigens gegründeten Herz-Jesu-Missionare und die Missionsschwestern vom Heiligsten Herzen Jesu aus Münster-Hiltrup sowie die Rheinisch-Westfälische Ordensprovinz der Kapuziner übernahmen die Christianisierung in Papua-Neuguinea und Mikronesien. Sie brachten zahlreiche Fotografien und ethnologische Objekte mit, etwa aus dem Totenkult in Papua-Neuguinea, die die Ausstellung erstmals zeigt und die Einblicke in das Missionsleben sowie in die Lebens- und Vorstellungswelten der einheimischen Bevölkerung geben. „Sichtbar wird das kulturelle Überlegenheitsgefühl der Missionare, die den Indigenen nicht nur das ‚Seelenheil‘ bringen, sondern sie auch ‚zivilisieren‘ wollten.“ Die Begegnung habe beide Seiten und die Selbst- und Fremdsicht der Deutschen verändert, so Silke Hensel unter Verweis auf neue Forschungen der Verflechtungsgeschichte. Die Ausstellung läuft vom 22. September 2018 bis 13. Januar 2019. Der Eintritt ist frei. Zur Eröffnungsfeier am Freitag um 16.00 Uhr sind Interessierte eingeladen.
Ein kunstvoll geschnitztes „Seelenboot“ mit Ahnenfiguren, das Präparat eines langschnabeligen „Fratzenkuckucks“ (Abb. 1), Fotoalben der Kapuziner (Abb. 2) mit Bildern von ihrer Arbeit, von neuen Schulen und Kirchen sowie mit Porträts Einheimischer: Die Bandbreite der Leihgaben aus Orden und Museen, die die Ausstellung präsentiert, erzählt in vielen Facetten vom Leben und Wirken der Missionare und der einheimischen Bevölkerung zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts und den 1920er Jahren. Die Exponate berichten von Verwaltungs- und Baumaßnahmen, von den wissenschaftlichen Interessen der Missionare an der Tier-, Pflanzen- und Sprachwelt der Bevölkerung, von ihrer Beziehung zur Kolonialregierung und zur evangelischen Mission und nicht zuletzt von ihren Erziehungsmaßnahmen für Kinder und Erwachsene. Allein die Fotos aus der Kapuzinersammlung zeigen vielfältige Motive wie die Missionare mit Schulklassen oder die lokale Bevölkerung in westlicher Kleidung. Aus den Bildern – die in der Heimat auf Postkarten, in Kolonialzeitungen und Büchern verbreitet wurden, um Einnahmen für die weitere Mission zu erzielen – lassen sich die Missionierungsziele und pädagogischen Ambitionen laut Hensel herauslesen: „Aus den ‚Wilden‘, für die man die lokale Bevölkerung hielt, da sie weniger Kleidung trugen und nach Geschlecht getrennt lebten, sollten Christen deutscher Prägung werden. Nicht selten waren diese Überlegenheitsgefühle mit rassistischen Vorstellungen verbunden.“ Wie die Ausstellung vor Augen führe, sollten die Einheimischen nicht nur ihre Kleidung und Frisuren an europäische Standards anpassen, sondern auch ihre sozialen Beziehungen ändern und in Vater-Mutter-Kind-Familien leben. Die Historikerin unterstreicht, Missionsgeschichte könne heute nicht mehr als „einseitige Erfolgsgeschichte“ geschrieben werden, in der Missionare in die Welt gingen und unter widrigsten Umständen den Glauben verbreiteten. Vielmehr sei die Perspektive der Indigenen einzubeziehen und das Machtgefälle und der Rassismus der Europäer aufzuzeigen. Es sei ein komplexer Kulturtransfer erkennbar, in dem beide Seiten sich gegenseitig beeinflussten.
Tierpräparate und Völkerschauen
„Die mehr als 100 Jahre alten Tierpräparate, heute im Besitz des LWL-Museums für Naturkunde in Münster, zeugen nicht nur von der Tierwelt in den Kolonien und den wissenschaftlichen Interessen der Missionare, sondern auch vom wachsenden Interesse der europäischen Bevölkerung an Objekten aus den Missionsgebieten, die man als exotisch und fremdartig empfand“, so Rommé und Hensel. Nach Kokosnüssen seien Paradiesvögel zum zweitwichtigsten Exportgut aus Deutsch-Neuguinea geworden. „Dass die Europäer die Lebensweise der Indigenen stets als ‚unsittlich‘ ablehnten, hielt sie nicht davon ab, manche Elemente ihrer Kultur in die eigene Kunst und Mode aufzunehmen. Der Handel mit Ethnografica aus Ozeanien florierte. Im Deutschen Reich wurde es modern, Vogelflügel oder sogar ganze Vögelbalge auf Hüten zu drapieren.“ Gegen die Jagd auf die begehrten Vögel wandten sich allerdings bald Ornithologenverbände und Tierschützer und setzten 1913 Schutzreservate und Schonzeiten durch. „Deutscher Kolonialismus und die Missionen prägten nicht nur Ozeanien, sondern in vieler Hinsicht wirkten sie auf das Deutsche Reich zurück“, so Prof. Hensel.
So informiert die Ausstellung auch über die sogenannten Völkerschauen. „Sie dienten der uns heute menschenunwürdig erscheinenden Zurschaustellung von Angehörigen fremder Kulturen. Die nach Deutschland verbrachten Indigenen hatten vor zahlendem Publikum als ‚typisch‘ erachtete Tätigkeiten wie Jagen, Tanzen oder Handarbeiten in vermeintlich traditioneller Kleidung vorzuführen“, so Rommé. Auch im Zoo in Münster ließ Zoodirektor Hermann Landois (1835–1905) seit 1879 in dieser Weise verschiedene Völkergruppen als „Unterhaltungsprogramm“ präsentieren. „Die besondere Aufmerksamkeit der Zeitgenossen erregten leicht bekleidete weibliche Darstellerinnen aus Samoa in den Jahren 1896 und 1897, aber auch Lappländer oder Suaheli wurden gezeigt.“ Wie die Darstellerinnen und Darsteller behandelt wurden, war sehr unterschiedlich: „Manche wurden aus ihrer Heimat verschleppt und im Deutschen Reich unter unwürdigen Bedingungen untergebracht und in den Schauen präsentiert.“ Die Samoanerinnen und Samoaner, die im Rahmen einer „Völkerschau“ nach Münster kamen, verbanden mit ihrer Reise nach Deutschland aber ganz eigene Ziele. Rommé: „Die Samoaner wollten ihre Heimat bei den neuen Herrschern bekannt machen und suchten Kontakt zu Hochadeligen im Deutschen Reich. Zur Heimat hielten sie Kontakt in Briefen. Den Organisatoren der Samoa-Schau, den deutschen Brüder Marquardt, von denen einer auf Samoa lebte, waren sie nicht hilflos ausgeliefert.“
Malangan – geschnitzte Figuren des Totenkultes
Zur Ausstellung erscheint ein reich bebilderter Begleitband „Aus Westfalen in die Südsee“, der das Ausstellungsthema vertieft und die vielfältige Verflechtungsgeschichte zwischen Deutschland und Ozeanien beschreibt, auch im Vergleich der ländlichen Gesellschaften in Westfalen und Ozeanien. Die Autorinnen und Autoren befassen sich auch mit der Frage der Herkunft der ethnologischen Objekte der Ausstellung in Münster, die sämtlich von Missionaren und Missionsschwestern mitgebracht wurden und nicht, wie andere Ethnologica in Europa, etwa aus Strafexpeditionen stammen. „Ein selten gut dokumentiertes, ethnologisches Objekt ist der geschnitzte Mondfisch (Abb. 3), den wir in der Ausstellung aus der Sammlung der Hiltruper Missionsschwestern zeigen“, so Rommé und Hensel. Der geflügelte Fisch aus dem Totenkult trägt einen Menschen im Maul, der ihm einen Speer in den Rücken gestoßen hat, und repräsentiert alle verstorbenen Ahnen. Ein Foto von 1928 hält die originale Präsentationsform für das Totengedenken, die sogenannte Malanganfeier, in einem Unterstand fest. Sogar der Name des Künstlers ist überliefert.
„In anderen Fällen weiß man häufig weit weniger oder gar nichts über den Erwerb von Objekten aus kolonialen oder von Missionaren zusammengetragenen Sammlungen, da selten Aufzeichnungen über Herkunftsort, Urheber oder Umstände existieren, unter denen das Stück in den Besitz des Sammlers oder Museums gelangte“, führt Barbara Rommé aus. Ungewiss bleibt den Ausstellungsmacherinnen zufolge selbst im gut dokumentierten Fall des Mondfisches, ob die Übernahme durch die Missionare mit einem fairen Preis für den Schnitzer verbunden war. „Die weiteren westfälischen Erwerbungen aus der Ausstellung sind, soweit uns die Quellen unterrichten, wohl meist friedlich zustande gekommen. Bislang ließ sich kein Hinweis auf eine unrechtmäßige Erwerbung finden“, so die Ausstellungsmacherinnen. Im Fundus der Orden seien zahlreiche weitere Objekte, deren Untersuchung ausstehe. „Provenienzforschung ist wegen der oft spärlichen Quellen komplex“, so Hensel und Rommé, „aber dennoch von hoher Bedeutung für die Aufarbeitung des kolonialen Erbes.“ (sca/vvm)