Süditalienische Kulte und Magien
Ethnologe Hauschild präsentierte Ergebnisse aus 30 Jahren Feldforschung
Zum Auftakt der Hans-Blumenberg-Vortragsreihe hat der Ethnologe Prof. Dr. Thomas Hauschild am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ über religiöse Praktiken in Süditalien gesprochen. „In Mitteleuropa gilt süditalienische Religiosität oft als urtümlicher ‚Glaube‘ oder aber als zynische Verweltlichung einer aus dem Vatikan vorgegebenen bürokratischen und politischen Religion“, sagte der Hans-Blumenberg-Gastprofessor. „Tatsächlich entsprechen süditalienische Kulte und Magien weder der primitivistischen noch einer rein politologischen Perspektive auf den Süden.“ In seinem Vortrag präsentierte der Wissenschaftler Ergebnisse aus rund 30 Jahren ethnologischer Feldforschung. Er trug den Titel „Kath’olos in Süditalien. Kirche und staatliche Politik im Stresstest der gelebten Religion“.
Eine Einführung ins Themenfeld der Vortragsreihe zum Nachlesen oder Nachhören gibt der Wissenschaftler im Interview mit dem Deutschlandradio in der Sendung „Tag für Tag“.
Hauschild veranschaulichte, wie sich die süditalienische Religion im Spannungsverhältnis zu Staat und Kirche entwickelte. „Die Süditaliener wurden ständig von klientelären Politikern verführt und erpresst sowie von lokalen Priestern kontrolliert und betreut“, betonte der Ethnologe. Ihr religiöses Alltags- und Festleben lasse sich „allenfalls mit dem erweiterten Religions- und Kulturbegriff der Ethnologie und der evolutionären Anthropologie in Deckung bringen.“
Der Wissenschaftler zeichnete „überraschende Wendungen“ nach, in denen sich die süditalienische lokale Religion „immer wieder politischen Vorgaben von Staat und Kirche entzog“. Diese seien stattdessen „in körperlich wirksame Reserven des familiären und regional bezogenen Lebens“ umgewandelt worden. „Theologische Dogmen wurden auf Anregungen zu Strategien für das Überleben der sich ständig transformierenden Körper, Familien und Netzwerke in einer desaströsen Umwelt und Ökonomie reduziert.“
Vortragsreihe „Die Unvermeidbarkeit von Religion“
Prof. Dr. Thomas Hauschild war zuletzt Professor für Ethnologie und vergleichende Kultursoziologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Fellowships und Gastprofessuren führten ihn unter anderem an das Internationale Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien, das Wissenschaftskolleg zu Berlin und das Internationale Kolleg für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie in Weimar. Thomas Hauschild hat zahlreiche, viel beachtete Publikationen vorgelegt, darunter „Hexen“, „Der böse Blick“, „Magie und Macht in Italien“ (2002), „Ritual und Gewalt“ (2008), und „Weihnachtsmann – Die wahre Geschichte“ (2012).
Die öffentliche Vortragsreihe trägt den Titel „Die Unvermeidbarkeit von Religion“. Der Blumenberg-Gastprofessor will darin untersuchen, „ob menschliche Kollektive letztlich ohne Religion leben können.“. Der nächste Vortrag trägt den Titel „‚Politics of Media‘ oder Medien der religiösen Erfahrung? Fetischismus im kolonialen Melanesien und in der europäischen Avantgarde“. Er ist am Montag, 3. Juli 2017, von 18.15 bis 19.45 Uhr im Hörsaalgebäude des Exzellenzclusters, Hörsaal JO 1, Johannisstraße 4 in Münster zu hören. (dak/vvm)