„Ein Überfluss an Reliquien hier, ein Mangel dort“

Byzantinist Grünbart zum Transfer zwischen katholischem und orthodoxem Christentum

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Prof. Dr. Michael Grünbart
© han

Über den Transfer von Reliquien zwischen dem katholischen und orthodoxen Christentum des Mittelalters hat Byzantinist Prof. Dr. Michael Grünbart vom Exzellenzcluster in der Ringvorlesung „Transfer zwischen Religionen“ gesprochen. „Trotz vielfältiger Auseinandersetzungen in der Entwicklung und des Auseinanderlebens des Christentums bis ins Spätmittelalter war das Interesse an Reliquien ungebrochen“, sagte der Wissenschaftler. Die Sprache dieser Objekte der religiösen Verehrung, bei denen es sich nach christlicher Vorstellung um einen Körperteil oder ein persönliches Besitzstück eines Heiligen handelt, hätten katholische wie orthodoxe Christen gleichermaßen verstanden. „So kam es zum intensiven Austausch von Reliquien.“

Prof. Grünbart stellte den Transfer anhand von ausgewählten Objekten dar. Er erläuterte insbesondere die Rolle, die der Vierte Kreuzzug (1202-1204), der sich gegen Konstantinopel richtete, für den Reliquienaustausch hatte. Der Vortrag in der Ringvorlesung des Exzellenzclusters und des Centrums für religionsbezogene Studien (CRS) hieß „Reliquientransfer – Verbindendes zwischen den christlichen Welten des Mittelalters?“.

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Ton-Mitschnitt des Vortrags

Als Beispiele für Reliquien christlicher Orthodoxie, die auch das katholische Christentum beeinflussten, nannte der Byzantinist das „Wahre Kreuz“, das als Kreuz Christi ab dem 4. Jahrhundert in Konstantinopel als Berührungsreliquie Aufbewahrung fand und bereits im 7. Jahrhundert auch von westlichen Christen wahrgenommen wurde. Ebenfalls beschrieb er die bis heute anhaltende Verehrung einer ursprünglich byzantinischen Kreuzlade aus dem 10. Jahrhundert nach Christus in Limburg an der Lahn, die Kreuzritter Heinrich von Ulmen Anfang des 13. Jahrhunderts im Zuge des Vierten Kreuzzuges in den Westen gebracht hatte.

„Vor allem dieser Kreuzzug, bei dem Konstantinopel zum ersten Mal in seiner Geschichte von feindlichen Truppen geplündert wurde, brachte den Reliquienaustausch und -handel in Gang“, erläuterte Prof. Grünbart. Der Handel habe vor allem Objekte aus dem orthodoxen Christentum in den Westen gebracht. „Dort kam es zu einem wahren Überfluss an Reliquien, auch wenn Rom dies – etwa mit dem vierten Laterankonzil von 1215 – einzuschränken versuchte, um einen Autoritätsverlust des katholischen Christentums zu vermeiden.“ Im Osten wiederum sei es zu einem regelrechten „Reliquien-Mangel“ gekommen, „was zum Auftauchen neuer Heiltümer und zum Entstehen neuer Heiligenlegenden führte, um das Bedürfnis nach Reliquien zu stillen“.

Das Eintreffen östlicher Reliquien, darunter auch zahlreiche Schreine, veränderte im Westen die Sehgewohnheiten und die Rezeption, wie der Wissenschaftler ausführte. „Vor allem die Passionsreliquien wirkten zugleich auf die westliche Herrschaftsideologie ein“, sagte Prof. Grünbart. So habe der französische König Ludwig IX. (1214-1270) die Mutter-Gottes-Kapelle im Kaiserpalast Konstantinopels mit seiner Palastkapelle Sainte-Chapelle in Paris imitiert. „Auf diese Weise überwanden die Reliquien ideologische und theologische Verwerfungen“, erläuterte er. Der Byzantinist leitet am Exzellenzcluster das Projekt B2-8 Moses und David: Ambige Typologien für Patriarchen und Kaiser in Byzanz.

Ringvorlesung „Transfer zwischen Religionen“

Plakat Ringvorlesung Transfer Zwischen Religionen
Plakat
© wikipedia

Die Vortragsreihe „Transfer zwischen Religionen. Wenn religiöse Traditionen einander beeinflussen“ untersucht, wie es zwischen Religionen in verschiedenen Kulturräumen und Epochen zu vielfältigen Formen des Austauschs religiöser und kultureller Traditionen kam. Am Exzellenzcluster werden Transfer-Phänomene seit 2012 im Forschungsfeld „Integration“ untersucht. Den abschließenden Vortrag der Reihe hält am 7. Juli der evangelische Theologe Prof. Dr. George Sabra aus Beirut, Libanon, unter dem Titel „Christian-Muslim Dialogue in the Middle East: Tradition and the Exigencies of Context“. Der Vortrag beginnt um 18.15 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22. (han/vvm)