Vernunft und Vorsehung

Neues Buch zu säkularisierter Eschatologie bei Kant

Buchcover

Die christliche Lehre von den letzten Dingen und ihre Säkularisierung in der Religions- und Geschichtsphilosophie von Immanuel Kant (1724-1804) stehen im Mittelpunkt eines neuen Buchs aus der Graduiertenschule des Exzellenzclusters. Die Studie „Vernunft und Vorsehung“ des Philosophen Dr. Matthias Hoesch prüft, inwieweit Kant Elemente christlicher Eschatologie aufgreift, wie diese transformiert werden, und welche systematischen Probleme damit einhergehen. Die Promotionsarbeit enthält detaillierte Interpretationen zu fast allen geschichtsphilosophischen Texten Kants einschließlich der Religionsschrift, wie der Autor erläutert. Sie würden in der Forschung selten ausführlich behandelt. Die Arbeit stellt diese Texte in einen größeren geistesgeschichtlichen Kontext und nimmt systematische Fragen des Geschichtsdenkens der Moderne und der Gegenwart in den Blick.

Die Monographie mit dem Untertitel „Säkularisierte Eschatologie in Kants Religions- und Geschichtsphilosophie“ ist im Verlag De Gruyter in der Reihe „Quellen und Studien zur Philosophie“ erschienen. Der Autor thematisiert etwa, wie Kant die Idee einer irdischen Verwirklichung des Reichs Gottes, die er in der Theologie seiner Zeit vorfindet, in die Vorstellung eines moralischen Idealzustands transformiert. Hoesch zeigt auf, dass Kant in Anlehnung an Augustinus Kirchengeschichte und profane Geschichte voneinander trennt und ihnen eine je unterschiedliche Entwicklungslogik beimisst. Ein besonderes Augenmerk gilt dem Theodizeeproblem. „Indem Kant Geschichte teleologisch interpretiert und dadurch etwa der Krieg selbst für den künftigen Frieden zweckdienlich erscheint, entlastet er die göttliche Vorsehung von dem Vorwurf, für sinnlose Übel verantwortlich zu sein“, so der Wissenschaftler.

Auf das Verhältnis von Vernunft und Vorsehung nimmt die Arbeit in zwei verschiedenen Hinsichten Bezug. „Zum einen versucht Kant, Aspekte der Vorsehungstheologie vernünftig zu rechtfertigen. Zum anderen stellt sich das Problem, welche Rolle die Vernunft der handelnden Subjekte innerhalb einer von der Vorsehung geleiteten Geschichte überhaupt spielen kann.“

Ein ausführlicher Methodenteil diskutiert den Sinn und die Reichweite von Säkularisierungsbehauptungen, sofern diese auf die Ideengeschichte bezogen werden, und verknüpft die Fragestellung kritisch mit den Ansätzen der deutschen Philosophen Karl Löwith (1897-1973) und Hans Blumenberg (1920-1996). Hoesch thematisiert damit „einen in der Forschung lange vernachlässigten Aspekt der Philosophie Kants“.

Das Werk bietet einen wichtigen Beitrag zur Frage nach der Entstehung der Geschichtsphilosophie der Aufklärung. „Der Geschichtsbegriff der neuzeitlichen Philosophie umfasst den Anspruch auf Selbstbestimmung ebenso wie die Vorstellung eines linearen Geschichtsverlaufs, der philosophiegeschichtlich wenigstens in Teilen auf die theologische Tradition zurückgeht“, erläutert Matthias Hoesch. Auch Kants Geschichtsdenken sei von der Spannung zwischen Freiheit und Teleologie geprägt.

Dr. Matthias Hoesch forscht am Exzellenzcluster inzwischen im Projekt A2-1 Die materialistische Weltanschauung im europäischen Kontext des 18. Jahrhunderts unter der Leitung von Philosoph Prof. Dr. Kurz Bayertz. (De Gruyter/han)

Inhaltsverzeichnis:

Vorbemerkung

1. Einführung: Säkularisierung, Eschatologie und Geschichte
1.1 Schwierigkeiten mit dem Säkularisierungsbegriff
1.1.1 Die Bedeutungsvielfalt des Begriffs
1.1.2 Das Problem des historischen Substantialismus
1.1.3. Die ideenpolitische Relevanz
1.2 Karl Löwiths Säkularisierungstheorem
1.3 Kritik am Säkularisierungstheorem
1.4 Theodizee und Geschichtsphilosophie
1.5 Die Fragestellung
1.5.1 Die Frage nach säkularisierter Eschatologie
1.5.2 Textauswahl und gegenwärtige Forschungslage
1.5.3 Gliederung

Teil I: Grundlagen

2. Strukturelle Merkmale der Eschatologie
2.1 Biblische Eschatologie 52
2.2 Eschatologie als Geschichtstheologie 55

3. Der praktisch-philosophische Kontext des Geschichtsdenkens Kants: Moral und Recht
3.1 Kants Grundlegung der Moralphilosophie
3.2 Die Eigenart des Rechts
3.3 Staat und internationaler Rechtszustand
3.4 Zum Verhältnis von Moral und Recht

Teil II: Vernunftreligion und moralischer Fortschritt

4. Kants Religionsphilosophie in den drei Kritiken
4.1 Grundlagen der Religionsphilosophie Kants
4.2 Der ‚moralische Gottesbeweis‘

5. Säkularisierte Eschatologie in der Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft
5.1 Moral und Geschichte als Thema der Religionsschrift
5.2 Das ethische Gemeinwesen als Volk unter göttlichen Gesetzen
5.3 Der Übergang zur Geschichte: sichtbare und unsichtbare Kirche
5.4 Eschatologie als Geschichtsphilosophie: Kommentar zu RGV VIII, 785–787
5.5 Die „Historische Vorstellung der allmählichen Gründung der Herrschaft des guten Prinzips“
5.6. Ergebnisse

Teil III: Geschichtsphilosophie zwischen Naturteleologie und Friedensutopie

6. Teleologie und Geschichte
6.1 Die Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht
6.2 Der §83 der Kritik der Urteilskraft

7. Praktische Vernunft und Geschichte
7.1 Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, III. Teil
7.2 Der Zweite Abschnitt des Streits der Fakultäten

8. Übergreifende Problemstellungen der Geschichtsphilosophie
8.1 Recht oder Moral als Ziel der Geschichte?
8.2 Zwischenfazit: Strukturanalogien zur Eschatologie
8.3 Rechtfertigung des Fortschrittsdenkens
8.4 Vorsehung und menschliche Freiheit
8.5 ‚Naturabsicht‘ oder ‚göttliche Vorsehung‘?
8.6 Geschichte und Theodizee

Teil IV Synthese: Geschichte und Religion

9. Geschichte und Religion im System Kants
9.1 Profane Geschichte und Kirchengeschichte
9.2 Ethisches Gemeinwesen und Postulatenlehre
9.3 Geschichte und höchstes Gut

10. Rück- und Ausblick: Ist eine säkulare Geschichtsphilosophie möglich?

Siglenverzeichnis

Literaturverzeichnis

Personen- und Sachregister


Hinweis: Hoesch, Matthias: Vernunft und Vorsehung. Säkularisierte Eschatologie in Kants Religions- und Geschichtsphilosophie (Quellen und Studien zur Philosophie, Bd. 121), Berlin: De Gruyter 2014, 398 Seiten, ISBN: ISBN 978-3-11-035125-5, 109,95 Euro.

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