Warum Peter nicht überall Ratsherr werden durfte
Prof. Dr. Oestmann über die Rechtsvielfalt vergangener Zeiten
Dass es in Deutschland ein einheitliches, schriftlich fixiertes Recht gibt, ist nach den Worten von Prof. Dr. Peter Oestmann ein recht neuer Zustand. Über Jahrhunderte seien nicht Rechtseinheit und Rechtssicherheit, sondern Rechtsvielfalt Normalität gewesen, und noch vor gut hundert Jahren habe fast jeder Ort seine eigenen, teilweise „wirklich kuriosen“ Rechte gehabt, sagte der Rechtshistoriker am Dienstagabend in der Ringvorlesung des Exzellenzclusters „Religion und Politik“: „In einer deutschen Stadt gab es beispielsweise ein Statut, wonach niemand Mitglied des Rates werden durfte, der Peter hieß.“ Die gelehrten Juristen berücksichtigten zwar dem Experten zufolge solche „unvernünftigen“ Rechte schon in der Frühen Neuzeit nicht. Doch erst im Jahr 1900 sei mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch ein reichsweit gültiges Recht eingeführt worden.
Noch Ende des 19. Jahrhunderts galten in Teilen des Münsterlandes neben dem preußischen Landrecht auch die Bentheimische Gerichts- und Landesordnung sowie die Rechte Kölns, der Grafschaft Anholt und Gemen, der Grafschaft Lingen und des Bistums Münster – „allerdings mit einigen Abweichungen in der Stadt Warendorf“, wie Oestmann weiter ausführte. Problematisch war nach Auffassung des Rechtshistorikers jedoch nicht nur, dass es überall unterschiedliche Rechte gab: „Viel schwieriger war es, dass in jedem noch so kleinen Ort oft mehrere, verschiedene Rechte gleichzeitig galten.“
Dass das Fach „Jura“ übersetzt in der Mehrzahl „die Rechte“ bedeutet, liegt laut Oestmann an der mittelalterlichen Unterscheidung von kirchlichem und weltlichem Recht. Geistliche Gerichte hätten sich aber nicht nur, wie in den normativen Schriftquellen vorgesehen, mit geistlichen Personen und Angelegenheiten beschäftigt, sondern auch mit weltlichen Streitigkeiten. „Recht und Schrift gehörten meistens viel weniger eng zusammen, als man heute vermutet“, betonte der Rechtshistoriker. Entscheidend seien Gewohnheiten gewesen. „Als Recht galt das, was beachtet wurde.“ Geschriebene Gesetze, die nicht genutzt wurden, hätten hingegen ihre Geltung verloren. Laut Oestmann gab es zwischen den verschiedenen an einem Ort gültigen Rechten eine klare Hierarchie: Örtliche Gewohnheiten und Gesetze hätten Vorrang gehabt, erst danach seien Landes- und Reichsrecht sowie schließlich das kirchliche und das überall geltende römische Recht gekommen, wie sie an den Universitäten gelehrt wurden.
Dass dies grundsätzlich bis 1899 so blieb, belegte Oestmann mit einem Aufsehen erregenden Fall: Nach dem Tod des ehemaligen Reichskanzlers Otto von Bismarck (1815-1898) seien zwei Fotografen in dessen Haus eingedrungen und hätten Bilder des Leichnams geschossen. Die Familie des Verstorbenen habe die Vernichtung der Bilder und Negative verlangt. Das zuständige Reichsgericht prüfte laut Oestmann zunächst die örtlichen Rechte – darunter der „Sachsenspiegel“, ein Rechtsbuch aus dem 13. Jahrhundert. „Selbstverständlich fanden die Richter darin keine Aussagen über die Vernichtung rechtswidrig erstellter Fotografien“, so Oestmann. Das Prüfen der örtlichen Rechte sei aber schulmäßig gewesen, und die Richter hätten mit ihrem Urteil „das Recht am eigenen Bild“ erfunden. Vier Tage später sei das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft getreten und der „Sachsenspiegel“ endgültig Geschichte gewesen.
Am kommenden Dienstag, 18. Mai, spricht Prof. Dr. Nils Jansen, ebenfalls Rechtshistoriker, zum Thema „Dogmatik und Dogmatisierung“. Die Ringvorlesung beginnt wie immer um 18 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses (Domplatz 20-22). (arn)