Alles römisch?
Frühmittelalterliche Rechtssammlung gibt der Wissenschaft Rätsel auf
Eine Zusammenstellung von Rechtstexten aus dem frühen Mittelalter gibt laut Prof. Dr. Wolfgang Kaiser der Wissenschaft Rätsel auf. „Die Verfasser stellten in der so genannten ‚Collectio Gaudenziana‘ nach eigenen Angaben nur Rechtstexte zusammen, die der römische Kaiser Justinian I. erlassen hatte“, erläuterte der Rechtshistoriker aus Freiburg am Dienstagabend in der Ringvorlesung des Exzellenzclusters „Religion und Politik“. Die umfangreiche Handschrift enthalte aber durchaus Teile, die gar nicht zum römischen Recht zählen – zum Beispiel einige Kapitel ost- oder westgotischen Ursprungs. Andere Exzerpte wiederum gingen zwar auf Justinian (527–565) zurück, gehören aber nicht zur Gesetzgebung.
An den Vortrag mit vielen Archivbildern aus Handschriften und alten Drucken schloss sich eine lebhafte Diskussion über eine mögliche Gebrauchspraxis des Werks an. Wollten die Auftraggeber mit Hilfe der Sammlung die Tradition des römischen Rechts bündeln und bewahren? Oder sollte die Handschrift eine Grundlage für die praktische Rechtsprechung bilden? „Gebrauchsspuren bezeugen, dass jemand darin gezielt nach Informationen gesucht hat“, so der Experte für antike und römische Rechtsgeschichte. Dass die Zusammenstellung einem konkreten Zweck diente, steht für Prof. Kaiser fest: „So eine aufwändige Handschrift macht keiner zum Spaß…“
In der nächsten Woche spricht der Rechtshistoriker Prof. Dr. Peter Oestmann über „Rechtsvielfalt“. Der öffentliche Vortrag beginnt am Dienstag, dem 11. Mai, um 18.15 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22. (bhe)