„Relativismus-Vorwurf des Papstes unzutreffend“
Münsteraner Wissenschaftler plädiert für Gleichwertigkeit der Weltreligionen
Der Münsteraner Religionswissenschaftler Prof. Dr. Perry Schmidt-Leukel setzt sich kritisch mit der Warnung von Papst Benedikt XVI. vor einer „Diktatur des Relativismus“ auseinander. Das Kirchenoberhaupt betrachte eine positive Bewertung der religiösen Vielfalt in heutigen Gesellschaften als relativistische Beliebigkeit, die keinen Glauben als wahr anerkenne, sagte der Forscher des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) am Dienstagabend in Münster. Dahinter stehe jedoch ein Alleingültigkeitsanspruch, den das Christentum aufgeben könne und solle, sagte Schmidt-Leukel.
Papst Benedikt XVI. warnt in seinen Predigten und Reden regelmäßig vor religiöser Beliebigkeit und Relativismus. Kurz vor seiner Wahl im April 2005 kritisierte Kardinal Joseph Ratzinger: „Es entsteht eine Diktatur des Relativismus, die nichts als endgültig anerkennt und als letzten Maßstab nur das eigene Ich und seine Wünsche gelten lässt.“
Der Relativismus ist auch nach Ansicht von Religionswissenschaftlers Schmidt-Leukel inakzeptabel und die Warnung davor berechtigt. Der Vorwurf des Papstes treffe aber insbesondere auf die "pluralistische Religionstheologie" nicht zu, betonte Schmidt-Leukel, der sich dieser Richtung selbst zuordnet. Sie vertritt die Auffassung, dass zumindest einige Religionen trotz ihrer Verschiedenheit gleichwertig sind, vor allem mit Blick auf ihre Erkenntnis göttlicher Wirklichkeit und ihre heilsvermittelnde Kraft.
Das stelle keine Form des Relativismus dar, unterstrich Schmidt-Leukel. Wer von einer „Vielfalt gleichwertiger Religionen“ ausgehe, sei kein Relativist, sondern treffe ein theologisch normatives Urteil. "Entscheidend ist es, die Glaubensvorstellungen der Religionen als Ausdruck vielfältiger Erfahrungen mit einer letzten, göttlichen Wirklichkeit zu verstehen." Diese Wirklichkeit selbst entziehe sich jedoch nach Auffassung aller großen Religionen menschlicher Beschreibbarkeit.
„Insofern handelt es sich bei den unterschiedlichen Aussagen der Religionen über die transzendente Wirklichkeit nicht zwangsläufig um gegensätzliche Behauptungen“, so der Wissenschaftler. Verschiedene Glaubensaussagen etwa von Christentum oder Buddhismus könnten trotz ihrer Unterschiedlichkeit gleichermaßen wahr sein. "Die Normativität Jesu Christi", fügte der Forscher hinzu, "lässt sich dabei nicht als Alleingültigkeit, sondern im Sinne eines normativen Exempels verstehen." Schmidt-Leukel verantwortet im Exzellenzcluster das Projekt A15 "Pluralismusfähigkeit der Religionen/Interreligiöse Theologie". Er leitet das Seminar für Religionswissenschaft und Interkulturelle Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der WWU.
Mit dem Vortrag zur religiösen Pluralität endete die Ringvorlesung „Gewohnheit, Gebot, Gesetz“ des Exzellenzclusters, die sich im Sommersemester 2010 mit der Entstehung von Normen befasste. Im Wintersemester 2010/2011 lädt der Forschungsverbund zu einer Ringvorlesung über die "Integration religiöser Vielfalt von der Antike bis zur Gegenwart" ein. Den Auftakt macht Historikerin Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger am 26. Oktober um 18.15 Uhr im Hörsaal F 2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22. Sie spricht über das Thema „Nach dem Westfälischen Frieden. Wie gut vertrugen sich die Konfessionsgruppen im Römisch-deutschen Reich?“ (vvm)