„Kushite Cemetery of Sanam“

Ägyptologin Lohwasser über den kuschitischen Friedhof von Sanam in Äthiopien

Buchcover
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© Golden House Publications

Der antike kuschitische Friedhof von Sanam steht im Mittelpunkt des Buches „The Kushite Cemetery of Sanam. A Non-Royal Burial Ground of the Nubian Capital“ der Ägyptologin Prof. Dr. Angelika Lohwasser vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“. Es handelt sich dabei um die englische Zusammenfassung ihrer Habilitationsschrift „Aspekte der napatanischen Gesellschaft. Archäologisches Inventar und funeräre Praxis im Friedhof von Sanam – Perspektiven einer kulturhistorischen Interpretation“, für die sie 2009 den Heinz Maier-Leibnitz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erhalten hat und die 2012 im Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erschienen ist. Die englische Version wurde 2010 vorab publiziert und soll ein breiteres Publikum ansprechen. Sie gibt einen umfangreichen Überblick und beinhaltet alle Aspekte der Habilitationsschrift, die fachspezifischen Diskussionen wurden dabei allerdings komprimiert.

Im 9. Jahrhundert vor Christus erweiterte ein kuschitischer Stamm aus der Gegend um den Gebel Barkal im heutigen Sudan sein Einflussgebiet weiter nach Norden, wie die Wissenschaftlerin erläutert. Die Kuschiten erlangten die Kontrolle über Ägypten im ausgehenden 8. Jahrhunder vor Christus und stellten die Könige der 25. Dynastie, die über Ägypten herrschten, bis sie 663 vor Christus von der aus Sais im Nildelta stammenden 26. Dynastie abgelöst wurden und nach Nubien zurückkehrten.

Ausgrabungen im Winter 1912/1913

Sanam, das heute zum Teil von der modernen Stadt Merawi bedeckt ist, liegt etwa 25 Kilometer südlich des 4. Kataraktes, gegenüber dem sakralen Zentrum von Kusch, dem Gebel Barkal. Im Winter 1912/1913 wurde der Ort zum ersten Mal von Francis L. Griffiths archäologisch untersucht. Er konzentrierte sich auf drei Bereiche: den Friedhof; den Tempel des kuschitischen Königs Taharqo und ein Schatzhaus. Leider wurden seine Ergebnisse nie vollständig publiziert, doch die Dokumentation enthält rund 1600 Seiten handschriftlicher Grabkarten mit Zeichnungen; abgetippte und überarbeitete Notizen; 216 Karten mit Photographien und Kopien der Zeichnungen; einen Plan des Friedhofs; etwa 600 Photographien und einen Umschlag mit Ausschnitten von Artikeln und einer Liste mit Kostenträgern und der Verteilung der gefundenen Objekte auf Museen und Antiquitätenhändler. Alle Aufzeichnungen werden heute im Griffith-Institute in Oxford aufbewahrt. Die Untersuchung von Angelika Lohwasser basiert auf der Dokumentation von Griffith und wertet diese aus. Dabei ergibt sich ein detailliertes Bild der nubischen Gesellschaft und ihrer Bestattungsbräuche zur Zeit ihrer größten Machtausbreitung.
Der Friedhof ist Prof. Lohwasser zufolge der größte bekannte Privatfriedhof aus der napatanischen Zeit,dem 8. bis 4. Jahrhundert vor Christus, des Königreichs von Kusch im Sudan. 1619 Gräber wurden dort lokalisiert und zum Teil ausgegraben. In den meisten Fällen gab es eine Bestattung pro Grab, die in vielen Fällen Grabbeigaben und Objekte für Bestattungsrituale wie Amulette, Perlen, Schmuck, Gefäße, Opfertafeln, Räuchergefäße, Toilettenartikel oder Waffen enthielten.

Friedhof der Einwohner von Sanam

Aufgrund der Nähe zum königlichen Friedhof in Nuri und den Werkstätten, die im Stadtgebiet von Sanam entdeckt wurden, ist anzunehmen, dass auf dem Friedhof von Sanam die Einwohner der Stadt, die für die Verwaltung und Ausstattung der Pyramiden von Nuri verantwortlich waren, begraben sind. Es handelt sich dabei um eine Nekropole der Mittelschicht. Anhand der Qualität und Quantität der Beigaben und dem Aufwand, der für den Grabbau erbracht wurde, können soziale Unterschiede innerhalb dieser Schicht ausgemacht werden.

Man kann davon ausgehen, dass die Nähe zu Nuri und der Hauptstadt Napata den Zugang zu exquisiten Materialien erleichterte, wie die Ägyptologin erläutert. Die Grabbeigaben weisen einen hohen Anteil an importierten Materialien, wie Halbedelsteinen, Elfenbein und Edelmetallen auf. Dies begründet sich durch die nahegelegenen Handelsrouten.

Die ethnische Zugehörigkeit der Menschen kann nicht genau bestimmt werden. Die früheren Ausgräber im Sudan versuchten noch zwischen nubischen und ägyptischen Bestattungen zu unterscheiden, doch die Untersuchung von Prof. Lohwasser zeigt, dass dies im Fall von Sanam nicht möglich ist. Vielmehr muss man von einer napatanischen funerären Kultur sprechen, die sich durch das Verschmelzen von drei Elementen auszeichnet: 1) traditionell indigene nubische 2) ursprünglich ägyptische, die bereits zur Zeit des Neuen Reiches importiert wurden und 3) zeitgenössische ägyptische Elemente. (exc/ill)


Hinweis: Lohwasser, Angelika: The Kushite Cemetery of Sanam. A Non-Royal Burial Ground of the Nubian Capital, c. 800–600 BC, London: Golden House Publications 2010, 160 pages, ISBN 9781906137168, UK £ 19.99 - US $39.99.