Widerstand im Namen des Koran

Prof. Dr. Marco Schöller über Traditionen des Islamismus

Pm Bericht Ringvorlesung Schoeller

Prof. Dr. Marco Schöller

Der heutige Widerstand radikaler Islamisten gegen weltliche Herrscher hat nach Ansicht des Münsteraner Religionswissenschaftlers Prof. Dr. Marco Schöller eine lange Tradition. „Islamischen Gelehrten galt Macht oft als schmutziges Geschäft, von dem sie sich fernzuhalten hatten“, erklärte er am Dienstagabend in der Ringvorlesung des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU).

„Nähe zur Macht ist Gottesferne“, fasste der Islamexperte Berichte über den Propheten Muhammed zusammen. „Machtausübung ist oft mit Machtmissbrauch gleichgesetzt worden.“ In islamischen Ländern sei es deswegen bis heute oft schwierig, in Herrschaft das Gute zu sehen und über ihre Gestaltung zu diskutieren. Laut Schöller entspricht es auch nicht der vorherrschenden islamischen Tradition, wenn Islamisten den Anspruch erheben, Macht religiös zu rechtfertigen. In der Vergangenheit, so der Religionswissenschaftler, hätten es die meisten Korangelehrten gar nicht erst versucht, Utopien vom idealen Kalifat auf ihre Gegenwart zu übertragen.

Stattdessen habe es charismatische Gelehrte in ganz verschiedenen Epochen gegeben, so der Wissenschaftler, die sich den Machthabern grundsätzlich verweigerten. Um Distanz zur Macht zu wahren, hätten sie weder Richter werden noch den Herrschern aus dem Koran vorlesen wollen. „Tun, was man tun muss“ sei ihr Grundsatz gewesen. Schon in der Frühzeit des Islam nutzten Prediger laut Schöller außerdem das Freitagsgebet, um die Herrschenden vor der damals größtmöglichen Öffentlichkeit zu kritisieren oder sogar zu beleidigen. „Die Bedeutung der Predigt ist bis heute maßgeblich für das Reden über Politik in islamischen Ländern.“

An die Taliban im Afghanistan der Gegenwart erinnerte, was Schöller über Ibn Tumart aus dem Marokko des 12. Jahrhunderts berichtete: Der eifernde Prediger saß auf einem Felsen und beobachtete Passanten. Wenn ihm etwas nicht gefiel, stieg er herab und zertrümmerte „unislamische“ Gegenstände wie Musikinstrumente oder Krüge voller Wein, berichtete der Islamexperte. Mehr und mehr geriet Ibn Tumart mit dem herrschenden Emir in Streit. Schließlich kämpfte der Prediger mit Waffengewalt gegen den Emir und verdrängte ihn von der Macht. Damit, so Schöller, stand er plötzlich vor dem Problem, die eigene Macht religiös rechtfertigen zu müssen – kein leichtes Unterfangen im Islam. (arn)


Am kommenden Dienstag, 24. November, behandelt die Frühneuzeit-Historikerin Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger in der Ringvorlesung des Clusters das Thema „Das Zeichen des Antichrist. Einsetzungsriten der Fürstbischöfe im Zeitalter der Glaubensspaltung“. Die Vorträge beginnen stets um 18 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses (Domplatz 20-22).