KLASSENFÜHRUNG

Was wird im Portal ViU: Early Science unter Klassenführung verstanden?

Das Konzept der Klassenführung bezeichnet die Art und Weise, wie eine Lehrperson die einzelnen Unterrichtsaktivitäten ihres Unterrichts, einvernehmlich mit den Schülerinnen und Schülern etabliert und ihren störungsfreien und reibungslosen Ablauf gewährleistet - mit dem Ziel, die aktive Lernzeit für alle Lernenden zu maximieren. Unterrichtsaktivitäten stellen Interaktionen zwischen Lernenden, Lerngegenstand und Lehrperson dar, die nach bewusst gesetzten Regeln ablaufen sollten und festlegen, was Lehrperson und Lernende in Bezug auf den Lernstoff zu tun haben. Beispiele für Unterrichtsaktivitäten sind: Unterrichtsgespräch, Lehrervortrag, Lehrerdemonstration, Stillarbeit, Stationenlernen oder ein Gruppenpuzzle. Effiziente Klassenführung gilt als wesentliche Voraussetzung, um eine anregende Lernumgebung für eine Gruppe von Lernenden zu schaffen (Junker & Holodynski, 2021; Ophardt & Thiel, 2013). In Metaanalysen konnte die Bedeutung der Klassenführung für den Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern eindeutig bestätigt werden (vgl. Hattie, 2009; Seidel & Shavelson, 2007; Wang Haertel & Walberg, 1993).

Ausgangspunkt jeglicher Klassenführung ist die Tatsache, dass eine Klasse an Schülerinnen und Schülern grundsätzlich heterogen ist bzgl. vielfältiger lernrelevanter Merkmale wie z. B. ihrer Lernmotivation, ihrem Vorwissen und ihrem intellektuellen Potenzial. Diese Heterogenität erschwert ein effizientes Lernen in einem Klassenverband. Denn aus lernpsychologischer Sicht kann eine Lehrperson das Lernen eines Schülers oder einer Schülerin am effizientesten im Einzel- oder Kleingruppenunterricht unterstützen, da hier die Möglichkeit einer optimalen Passung zwischen Lernenden, Lernmaterial und Lehrperson besteht (Dollase, 1995; Junker & Holodynski, 2021). Eine effiziente Klassenführung ist der Versuch, die bestmögliche Lösung für diese suboptimale Lernsituation in einem Klassenverband zu finden und angemessene Lerngelegenheiten und Feedback für möglichst jede*n der Lernenden zeitgleich zu gewährleisten.

In Anlehnung an Kounin (2006/1976) und Doyle (1986) lassen sich prozessorientierte und strukturorientierte Unterrichtsmaßnahmen der Klassenführung unterscheiden.

Prozessorientierte Maßnahmen zielen auf die unmittelbare Regulation des aktuellen Unterrichtsgeschehens. Dazu gehören das Monitoring der Schüleraktivitäten durch die Lehrperson und das reibungslose Strukturieren des Unterrichtsablaufes.
Strukturorientierte Maßnahmen zielen darauf ab, langfristig eine Unterrichtsstruktur zu etablieren, in der das Verhältnis von individualisiertem Lernfeedback und der Ablaufsteuerung der Unterrichtsaktivitäten maximiert ist, um dadurch die individuelle Lernzeit der Schülerinnen und Schüler zu maximieren. Zu den strukturorientierten Maßnahmen gehören das Etablieren und Nutzen von Unterrichtsregeln, Routinen und Ritualen, um die Zeit für organisatorische Monitoring-Aufgaben zu minimieren und Zeit für lernstoffbezogene Monitoring-Aufgaben zu maximieren. Ein effizientes Ineinandergreifen von prozess- und strukturorientierten Maßnahmen unterstützt auf lange Sicht ein lernförderliches Klassenklima und eine effektive Nutzung der Lernzeit. Die Facetten des Monitorings, der Strukturierung sowie der Etablierung von Regeln und Routinen werden im Folgenden näher beschrieben (vgl. auch Ophardt & Thiel, 2013; Thiel, 2016).

Die folgenden Ausführungen zeigen auf, wie eine Lehrperson eine effiziente Klassenführung mit Hilfe der drei genannten Facetten einführen und etablieren kann. Dazu werden verschiedene Maßnahmen beschrieben, die die Lehrperson im Unterricht ergreifen kann.

Eine ausführliche Beschreibung der einzelnen Klassenführungsfacetten und Unterrichtsaktivitäten finden Sie hier.

Zudem existiert auf dem Portal ViU: Early Science ein digitales Lernmodul zum Thema „Klassenführung“  sowie spezifisch zugeschnittene Clips. Mehr Informationen dazu erhalten Sie hier.

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Bei der Beschreibung der einzelnen Clips finden sich Vorschläge zu klassenführungsrelevanten Maßnahmen, die man unserer Einschätzung nach in diesem Clip besonders gut analysieren kann. Dabei beinhalten die Clips sowohl gelungene als auch weniger gelungene Maßnahmen der Klassenführung.

  • 1. Maßnahmen zum Monitoring der Schüleraktivitäten durch die Lehrperson

    Das Monitoring beinhaltet alle Maßnahmen, mit denen eine Lehrperson das Verhalten der einzelnen Schülerinnen und Schüler überwacht und reguliert, sei es verbal oder nonverbal. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die Schülerinnen und Schüler einer Klasse das Unterrichtsgeschehen aufgrund ihrer Heterogenität in sehr unterschiedlicher Weise verfolgen und verstehen. Der Lehrperson fällt die Aufgabe zu, fortlaufend und immer wieder aufs Neue die Passung zwischen Unterrichtsangebot und Nutzung des Angebots durch die Schülerschaft zu überwachen und ggf. eine individuelle Passung für einzelne Schülerinnen und Schüler herzustellen.

    Dazu gehört die Allgegenwärtigkeit als die Fähigkeit der Lehrperson, umfassend darüber informiert zu sein, ob und inwiefern die Schülerinnen und Schülern dem Unterricht folgen und ihn verstehen, und ihnen dies auch zurückzumelden. Dadurch sollen die Lernenden den Eindruck gewinnen, dass die Lehrkraft über alles, was in der Klasse vor sich geht, "im Bilde" ist und eingreifen wird, sofern dies nötig ist.

    Bedeutungsvoll ist in diesem Zusammenhang einerseits die Reaktion auf das Störverhalten: Als effektiv hat sich eine kurze und bündige Reaktion zum richtigen Zeitpunkt (prompte oder zeitlich nahe Reaktion auf das Störverhalten, bevor sich dieses verstärken kann) gegenüber der richtigen Person (Ansprache des störenden Kindes) erwiesen, sodass sich das Störverhalten nicht auf weitere Personen ausbreiten kann. Darüber hinaus bezieht sich das Monitoring auf positives Feedback und die Vermittlung von positiver Präsenz, beispielsweise in Form von Lob, bestärkender Mimik und Gestik sowie das Bemerken abwesender Schülerinnen und Schüler oder einer für Einzelne ungünstigen Sitzordnung.

    Zum Monitoring gehört auch die Überlappung als Fähigkeit einer Lehrperson, zwei oder mehrere parallele Unterrichtsprozesse zeitgleich aufmerksam steuern zu können, z. B. wenn eine Störung unterbunden und das Unterrichtsgespräch simultan fortgesetzt werden muss.

  • 2. Maßnahmen zum reibungslosen Strukturieren des Unterrichtsverlaufs

    Eine erfolgreiche Klassenführung zeigt sich in einer geschickten Auswahl und reibungslosen Strukturierung von Unterrichtsaktivitäten. Dazu zählt zum einen, dass eine Lehrperson für reibungslose Übergänge zwischen den Unterrichtsaktivitäten sorgt, denen die Schülerinnen und Schüler gut folgen können, sodass sie den Unterricht ohne Verzögerung fortführen kann. Zum anderen zählt dazu, dass eine Lehrperson für einen schwungvollen Verlauf innerhalb einer Unterrichtsaktivität sorgt, indem sie z. B. in zu lang dauernde Prozesse eingreift, die Gruppe mobilisiert, Rechenschaft über das (Lern-)Verhalten einfordert und dazu konstruktives Feedback gibt. Das Tempo des Unterrichts sollte adäquat auf das Lerntempo der Schülerinnen und Schüler abgestimmt sein und sollte weder zu langsam ablaufen (sodass diese sich zu langweilen beginnen) noch zu schnell ablaufen (sodass diese dem Unterricht nicht mehr folgen können). Dementsprechend ist für einen strukturierten Unterricht ohne Zeitverzögerungen und ohne vorhersehbare Störungen eine gute Vorbereitung unerlässlich, die sich beispielsweise auf das Bereithalten des Arbeitsmaterials oder das Entfernen unnötiger Ablenkungsquellen bezieht.

  • 3. Maßnahmen zum Etablieren und Befolgen von Unterrichtsregeln, -routinen und -ritualen

    Eine erfolgreiche Klassenführung sorgt auch dafür, dass die Ablaufsteuerung von häufig verwendeten Unterrichtsaktivitäten mit den Schülerinnen und Schülern explizit eingeübt wird, sodass allen Beteiligten klar ist, was sie in Bezug auf den Lernstoff wann und wie zu tun haben. Ein gut organisierter Unterricht zeigt sich in eingeübten, regelgeleiteten Unterrichtsaktivitäten, an die sich die Schülerinnen und Schüler auch ohne direkte Lehrkraftanweisung halten. Er zeigt sich auch in expliziten Anweisungen, durch die die Lehrperson an die Einhaltung dieser Regeln (allgemeine Standards des Verhaltens) erinnert, für deren Einhaltung sorgt und Konsequenzen festlegt.

    Darüber hinaus spielt die Etablierung von Ritualen und Routinen eine Rolle, um die Schülerinnen und Schüler in ihrem alltäglichen Schultagesablauf zu orientieren. Rituale zielen auf die Förderung des Gruppenzusammenhalts. Sie bestehen aus Interaktionsmustern, die einer festgelegten, ritualisierten Ordnung folgen, in der die Gruppe als Gruppe zelebriert wird, wie z. B. das Singen eines „Klassenliedes“ oder ein Begrüßungsritual zu Beginn einer Unterrichtsstunde. Routinen stellen regelgeleitete und eingeübte Verhaltensweisen für immer wiederkehrende Situationen dar, die eine lern- und zeiteffiziente Organisation der Klasse ermöglichen, wie z. B. Aufmerksamkeitsroutinen („Hände über die Ohren“, wenn es zu laut ist), oder der reibungslose Wechsel von Tischgruppen in einen Sitzkreis.

  • Literatur

    Dollase, R. (1995). Die virtuelle oder psychologische Reduzierung der Schulklassengröße. Eine neue Interpretation der unterrichtlichen Komplexitätsreduktion. Bildung und Erziehung, 48, 131-144.

    Doyle, W. (1986). Classroom organization and management. In M. C. Wittrock (Ed.), Handbook on research on teaching (3 ed., pp. 392-431). Macmillan.

    Hattie, J. (2013). Lernen sichtbar machen. Schneider Verlag.

    Junker, R. & Holodynski, M. (2021). Klassenführung. In K. Seifried, S. Drewes & M. Hasselhorn (Hrsg.), Handbuch Schulpsychologie (S. 337-346). Kohlhammer.

    Kounin, J. S. (1976/2006). Techniken der Klassenführung. Huber.

    Ophardt, D. & Thiel, F. (2013). Klassenmanagement: Ein Handbuch für Studium und Praxis. Kohlhammer.

    Seidel, T. & Shavelson, R. J. (2007). Teaching effectiveness research in the past decade: The role of theory and research design in disentangling meta-analysis results. Review of Educational Research, 77, 454-499.

    Thiel, F. (2016). Interaktion im Unterricht. Barbara Budrich.

    Wang, M. C., Haertel, G. D., & Walberg, H. J. (1993). Toward a knowledge base for school learning. Review of Educational Research, 63, 249-294.