Die Russisch-Orthodoxe Kirche in Münster ist eine christlich-orthodoxe Gemeinde im Süden der Stadt. Sie gehört zur Russisch-Orthodoxen Kirche im Ausland, die nach der Oktoberrevolution 1917 gegründet wurde und ihren Hauptsitz in New York hat. Seit 2007 unterliegt sie wieder dem Moskauer Patriarchat, genießt aber eine gewisse Autonomie und agiert selbstverwaltend. Priester und Mitbegründer der Gemeinde in Münster ist Arkadij Dubrovin. Nach eigenen Aussagen finanziert sich die Gemeinde durch Spenden der Mitglieder und Besucher.
Geschichte der Russisch-Orthodoxen Kirche im Ausland
Die Oktoberrevolution 1917 hat die Stellung der Russisch-Orthodoxen Kirche im Russländischen Reich in Frage gestellt. Die Christen wurden zunehmend verfolgt. Viele Gläubige verließen das Land. Allein 1922/1923 suchten 600.000 russische Staatsbürger Sicherheit in der Weimarer Republik, die Hälfte davon in Berlin. Die Migration beschränkte sich jedoch nicht auf Deutschland; viele Verfolgte suchten Zuflucht auch in anderen europäischen Ländern und in deren ehemaligen Kolonien. In diesem Zuge gründete sich die „Russische Orthodoxe Kirche im Ausland“ (ROKA). Sie besteht noch bis heute und sieht sich als Vertretung des Moskauer Patriarchats außerhalb von Russland. Seit 1944 hat sie ihren Hauptsitz in New York. Oberhaupt der ROKA ist seit 2022 Nicholas Olhovsky. 2007 wurde die ROKA dem Moskauer Patriarchat unterstellt, das während der Sowjetzeit weiterexistiert hatte. Seither ist die ROKA wieder mit der Russisch-Orthodoxen Kirche vereinigt, agiert jedoch selbstverwaltend und genießt weitestgehend Autonomie. Die ROKA hat Diözesen in Westeuropa, Australien sowie in Nord- und Südamerika, wobei die Diözese von Berlin und Deutschland die größte ist.
Die Russisch-Orthodoxe Kirche im Ausland in Deutschland
Die Russisch-Orthodoxe Diözese von Berlin und Deutschland ist als Diözese der Russisch-Orthodoxen Kirche im Ausland auch die älteste orthodoxe Diözese Deutschlands. Sie wurde 1926 gegründet. Ihr Hauptsitz befindet sich in München. Seit 1982 ist Mark Arndt (bürgerlich Michael Arndt) der Erzbischof der Russisch-Orthodoxen Diözese von Berlin und Deutschland. Arndt ist selbst gebürtiger deutscher Staatsbürger (Jahrgang 1941) und konvertierte 1964 zum russisch-orthodoxen Glauben. Seine Leitung als Erzbischof umfasst nicht nur die Gemeinden in Deutschland, sondern auch jene in Österreich und England. Sowohl innerhalb der Auslandskirche als auch innerhalb der Russländischen Föderation genießt er ein hohes Ansehen. Insgesamt unterhält die ROKA drei Klöster und mehrere Gemeinden in Deutschland.
Die erste russisch-orthodoxe Gemeinde in Münster
Zum Ende des Zweiten Weltkriegs hatte es in Münster bereits eine russisch-orthodoxe Gemeinde gegeben. Sie wurde von ehemaligen osteuropäischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern gegründet, die nach Ende des Krieges unter der Bezeichnung „Displaced Persons“ (DPs) in Münster verblieben waren. Infolge ihrer Verschleppung nach Deutschland in den 1940er-Jahren galten sie als „heimatlose Ausländer“. Viele DPs wollten tatsächlich nicht wieder in ihre Heimat zurück, und dies teilweise nicht aus religiösen Gründen, da in der Sowjetunion und im sich sodann herausbildenden „Ostblock“ oftmals eine religionsfeindliche Politik herrschte. Aber auch in Deutschland blieb die Situation für viele DPs prekär, sodass nicht wenige versuchten, nach Australien oder in die USA auszuwandern.
Die Anzahl der Kirchenmitglieder war zunächst gering. So soll sich die Gemeinde in Münster auf 30 russisch-orthodoxe Gläubige beschränkt haben (1945–1949). Als Gottesdienstraum wurden umgebaute DP-Lager genutzt. Der Priester für die Gemeinden Münster, Rheine und Diepholz sei den Recherchen Ivan Dubrovins zufolge Michail Kalmykoff gewesen, der selbst als DP in Deutschland lebte, bevor er 1950 in die USA auswanderte – wie auch die meisten anderen DPs. So endete auch die Existenz der ersten russisch-orthodoxen Gemeinde in Münster.
Die Gründung der heutigen russisch-orthodoxen Gemeinde in Münster
Bis in die 1990er-Jahre gab es in Münster keine russisch-orthodoxe Gemeinde mehr. Das änderte sich erst 1996, als Arkadij Dubrovin aus der Ukraine nach Münster zog, um zu studieren. Zuvor mussten russisch-orthodoxe Christen in Münster und Umgebung entweder nach Dortmund oder Hannover fahren, wenn sie eine russisch-orthodoxe Gemeinde besuchen wollten. Mit der Auflösung der Sowjetunion und des Ostblocks wanderten jedoch immer mehr Menschen aus ehemaligen kommunistischen Gebieten nach Deutschland ein. Einige von ihnen waren religiös, andere weniger. Arkadij Dubrovin fuhr gelegentlich nach München ins Kloster zu Mark Arndt, der ihm das Angebot machte, eine russisch-orthodoxe Gemeinde in Münster zu gründen. Arkadij Dubrovin gewann für diese Neugründung Mitglieder und fand eine Räumlichkeit, während Mark Arndt einmal im Monat einen Priester nach Münster entsandte. Gemeinsam mit Alexander Klein gründete Arkadij Dubrovin damit die russisch-orthodoxe Gemeinde in Münster. Der erste Gottesdienst wurde 1996 abgehalten. Dafür organisierten die beiden Gründungsmitglieder als Räumlichkeit die Kapelle des Collegium Marianum an der Frauenstraße. Beim ersten Gottesdienst waren 30 Menschen anwesend, zur Hälfte Russen, zur Hälfte Deutsche.
Die Anzahl der Mitglieder wuchs langsam bis 2014. Zur Gründung konnte die Gemeinde 30 Mitglieder verzeichnen, bis 2014 wuchs die Anzahl immerhin auf 70 Mitglieder. Die Gründe für das gleichwohl geringe Anwachsen der Gemeinde waren vielfältig: Gottesdienste konnten nur einmal im Monat gefeiert werden, und die orthodoxen Christen mussten sich bei zeremoniellen Handlungen auf ein Minimum beschränken, da es sich um einen katholischen Kirchenbau handelte. Feste konnten kaum gefeiert werden, die Gottesdienste nur eingeschränkt nach orthodoxer Tradition ablaufen. Der einzige Vorteil der Räumlichkeit bestand darin, dass das Collegium Marianum zentral lag, und somit für die Mitglieder ideal erreichbar war.
Bis 2005 hatte die russisch-orthodoxe Gemeinde in Münster keinen festen Priester. Mark Arndt schickte immer sogenannte „Durchreisepriester“, die teilweise hunderte Kilometer weit fahren mussten, um die Gemeinde in Münster zu erreichen. Für die Gemeindemitglieder war ein solches Betreuungsverhältnis ungünstig, da kaum ein Vertrauensverhältnis zum Priester aufgebaut werden konnte. Genau dies aber ist für die Beichte und die Konsultierung des Priesters zu religiösen Fragen von großer Bedeutung. Insgesamt hatte die Gemeinde fünf Durchreisepriester, bevor Arkadij Dubrovin 2004/2005 zum festen Priester ernannt wurde. Seit 2005 übernimmt Arkadij Dubrovin einen Großteil der religiösen Arbeit in der Gemeinde und hält als Priester die Gottesdienste ab. Er arbeitet als Dolmetscher für das Universitätsklinikum Münster und zelebriert dort orthodoxe Gottesdienste. Weiterhin besucht er monatlich russischsprachige Menschen im Gefängnis und hilft ihnen bei der Resozialisierung. Seit September 2023 ist Nikolai Karpenko der zweite feste Priester der russisch-orthodoxen Gemeinde in Münster.
Umzug der Gemeinde an die Hammer Straße
Mit steigender Mitgliederzahl und dem Wunsch nach wöchentlichen Gottesdiensten suchte die russisch-orthodoxe Gemeinde in Münster jahrelang nach einem festen Standort für ein eigenes Gotteshaus. Die Suche begann bereits 2005, blieb jedoch jahrelang ohne Erfolg. Angebotene Räumlichkeiten eigneten sich oft nicht für Gottesdienste: Zum einen wegen der Anzahl an Besuchern, zum anderen wegen der Bedingungen für einen orthodoxen Gottesdienst, die nicht immer erfüllt werden konnten.
Erst 2015, nach zehn Jahren Suche, fand die russisch-orthodoxe Gemeinde in Münster einen Standort mit idealen räumlichen Bedingungen: an der Hammer Straße 371. Die Gegebenheiten waren ausgezeichnet: genügend groß, mit guten Lichtverhältnissen und durch drei Busverbindungen und mehrere Parkmöglichkeiten optimal zu erreichen. Zudem hatte die Gemeinde fortan das Privileg, Gottesdienste und andere Feierlichkeiten so oft zelebrieren zu können, wie sie es wollte. Einzig die monatliche Miete von 1500 Euro war schwer zu bewältigen, da die meisten Gemeindemitglieder kein hohes Einkommen hatten und die Gemeinde sich ausschließlich durch Spenden finanziert. Die Gemeinde ging jedoch das Risiko ein – es sollte sich auszahlen. Die ersten drei Mieten übernahm zudem die Russisch-Orthodoxe Diözese, um beim Umzug auszuhelfen und die Last zu mindern. Dank des festen Standortes war es nun einfacher, der Gemeinde Gegenstände zu spenden, als Mitglied Hilfe zu leisten, oder zum regelmäßigen Gottesdienst zu erscheinen. Das Gemeindeleben wurde lebendiger. 2006 erhielt die Gemeinde die Ikone der Gottesmutter vom Don aus dem Kloster Idbersky in Korablino bei Rjasan aus Russland als Dauerleihgabe. Diese Ikone ist seither das Markenzeichen der russisch-orthodoxen Gemeinde in Münster.
Die russisch-orthodoxe Gemeinde in Münster heute
Durch den Umzug an die Hammer Straße ist die russisch-orthodoxe Gemeinde in Münster eine lebendige religiöse Gemeinschaft geworden. Gottesdienste („göttliche Liturgie“) und Beichten werden mehrmals die Woche angeboten, Feste werden feierlich zelebriert. Wegen wachsender Mitgliederzahlen zieht die Gemeinde aktuell erneut um. Da ihr mehrere hundert Mietglieder angehören, reicht die Räumlichkeit an der Hammer Straße nicht mehr aus. Wo ehemals am Osttor 81 die katholische Marienkirche in Hiltrup war, wird derzeit eine Kirche für die russisch-orthodoxe Gemeinde in Münster gebaut. Mit einer Gesamtfläche von 1700 Quadratmetern enthält das Grundstück u.a. einen Parkplatz, Garten und eine Kapelle. 2025 soll der Bau fertig und der Umzug abgeschlossen sein. Architekt hierfür ist Denis Zimin, welcher selbst Gemeindeältester innerhalb der ROKA in Münster ist. Der Bau der neuen Kirche wird durch Spenden finanziert.
Stellung zum Ukrainekrieg
Als religiöse Einrichtung hält sich die Russisch-Orthodoxe Kirche in Münster tendenziell fern von politischen Fragen. Doch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Unterstützung, die dieser Krieg durch das Moskauer Patriarchat erhält, hat die ROKA in Münster zu einer Positionierung gezwungen. Auf ihrer Website betont sie, dass sie ein multikultureller Gebetsort sei. Orthodoxe Christen aus aller Welt besuchten die Gemeinde in Münster und gehörten dazu. Die Gemeinde wirbt auf ihrer Website zudem für Frieden auf der gesamten Welt – und das vor allem in der Ukraine. Im Zuge der Flucht von Ukrainern nach Deutschland konnte die Gemeinde 70 neue Mitglieder willkommen heißen. Viele der alteingesessenen Gemeindemitglieder sind selbst gebürtige Ukrainer, wie auch der Gemeindepriester Arkadij Dubrovin und seine Frau. Die Gemeinde richtet sich auch nach der Positionierung des Erzbischofs der ROKA in Deutschland, Mark Arndt. Er verurteilt den russischen Angriff auf die Ukraine, betitelt den Krieg als ein „Verbrechen“ und sieht vor allem die Zivilisten als Hauptopfer des Konfliktes. Russland solle sich schnellstmöglich aus der Ukraine zurückziehen, damit ein friedliches Miteinander garantiert werden könne. Er betont weiterhin, die Ukrainer seien „die gläubigsten Mitglieder“ in der Russisch-Orthodoxen Kirche. Auf lange Sicht stellt Russlands Krieg gegen die Ukraine die ROKA jedoch vor eine Zerreißprobe, auch in Münster.
Weiterführende Literatur
- Cleven, Thoralf: Metropolit Mark zum Krieg in der Ukraine: „Ich traue den Bildern nicht mehr“, in: Redaktions-Netzwerk-Deutschland, 2022, https://www.rnd.de/politik/russisch-orthodoxe-kirche-warum-sind-gebete-munition-metropolit-mark-WHWA3PWSKBC2ZJE57NARAHHCY4.html (zuletzt abgerufen am 12.05.2024).
- Dubrovin, Ivan: Die Geschichte der Russischen Orthodoxen Gemeinde in Münster. Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten 2016/2017 „Gott und die Welt“, Münster 2017.
- Website der Russisch-Orthodoxen Kirche in Münster, http://rocor-muenster.de/ (zuletzt abgerufen am 12.05.2024).