Sommervortragsreihe 2024

Nachfolgend finden Sie Informationen zu den bisherigen Vorträgen des Sommersemesters 2024.

Eine Programmübersicht zur gesamten Vorlesungsreihe finden Sie hier.

PD Dr. Berenike Metzler
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Wenn Blicke töten könn(t)en… Zur Performativität des Schauens zwischen Literatur, Optik und Alltagsmagie

Auge
© Berenike Metzler

Zum Auftakt der Sommervorlesungsreihe 2024 sprach Frau PD Dr. Berenike Metzler über die Vorstellung vom tödlichen Blick in der arabisch-islamischen Literatur- bzw. Kulturgeschichte.

Hierbei verdeutlichte sie zunächst, wie omnipräsent dieses Thema seit jeher aufgrund entsprechender prophetischer Überlieferungen insbesondere in literarischen Werken war. In wissenschaftlichen Abhandlungen, etwa aus dem Bereich der Philosophie und Theologie, aber auch in Werken zur Prophetenmedizin und Alltagsmagie, versuchte man folglich auf unterschiedlichste Weise Erklärungen für die Wirkweise des tödlichen Blickes zu finden. Die Sehkräfte wurden hierbei durchweg als ein seelisches, jedoch zugleich auch materiell wirksames Phänomen erachtet.

Im Hintergrund solcher Vorstellungen dürfte dabei nicht zuletzt die Rezeption antiker Sehmodelle, inbesondere die Theorie der Extramission, in weiten Bereichen der arabischen Optik stehen. So reflektieren arabische Begrifflichkeiten zum Sehvorgang noch lange nach Ibn al-Hayṯam, dem Pionier der Sehstrahlenoptik im 11. Jhd., entsprechende Annahmen über den Vorgang des Schauens.

Prof. Dr. Adam Sabra
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Slow Sayyidization: Lineage and Power in Ottoman Egypt

Adam Sabra
© Andreas Knöll

Zum zweiten Termin der Sommervorlesungsreihe 2024 war Prof. Dr. Adam Sabra von der UC Santa Barbara zu Gast am Institut für Arabistik und Islamwissenschaft.

In seinem Vortrag beschrieb er den Prozess der "langsamen Sayyidisierung", in dessen Verlauf die berühmte ägyptische Familie der al-Bakrīs in der Frühen Neuzeit von Nachfahren Abū Bakr aṣ-Ṣiddīqs zu anerkannten Prophetennachkommen wurde. Im 15. und 16. Jahrhundert hatten die Bakrīs und ihre Anhänger noch besonders die matrilineale Abstammung vom zweiten Kalifen Abū Bakr aṣ-Ṣīddīq betont.

Später jedoch stellten sie ihre Identität als patrilineale Nachkommen des Propheten immer stärker heraus – und zwar so erfolgreich, dass es ihnen im 18. Jahrhundert gelang, die offizielle Anerkennung als Prophetennachkommen zu erlangen. Dieser Prozess mündete schließlich sogar darin, dass zahlreiche Mitglieder der Familie das Amt des Naqīb al-Ašrāf, des Syndikats der Prophetennachkommen, bekleideten.

Adam Sabra belegte diese Entwicklung insbesondere anhand der Dichtung von Mitgliedern der Familie al-Bakrī und anhand von Rechtsdokumenten, was zu einem spannenden Austausch mit dem Münsteraner Publikum führte.

Prof. Dr. Yui Kanda
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Legacy of Shāh ʿAbbās’s Book Endowments: Kufic Qur’āns with alleged Twelver Imām signatures

© Andreas Knöll

Den dritten Vortrag der Sommervorlesungsreihe 2024 hielt Prof. Dr. Yui Kanda vom Research Institute for Languages and Cultures of Asia and Africa an der Tokyo University of Foreign Studies, die derzeit auf Einladung von Prof. Dr. Philip Bockholt zu Gast am Institut für Arabistik und Islamwissenschaft in Münster ist. Sie untersuchte darin eine Reihe von kufischen Koranmanuskripten, die angebliche Signaturen der zwölf Imame tragen und insbesondere durch den Safawiden-Schah ʿAbbās I (1588–1629) an das Āstān-i Quds, die Stiftung des Imam Reżā Mausoleums in Maschhad, gespendet wurden. Bis heute sind diese Handschriften dort aufbewahrt.

Die untersuchten Manuskripte stammen zwar durchweg aus dem 9.-12. Jhd., ließen sich jedoch leicht mit den Imamen in Verbindung bringen, da ʿAlī als Begründer des kufischen Schrifttyps angesehen wurde. Die Tatsache, dass diese Schriftform nur schwer lesbar war und keines der erhaltenen Manuskripte vollständig ist, weist zudem darauf hin, dass die Korane vermutlich als Objekte ausgestellt und nicht zur Rezitation benutzt wurden. Auch finden sich häufig Abriebe auf den Signaturseiten, die auf Berührungen durch Besucher hinweisen, wohl um der damit verbundenen Segenskraft teilhaftig zu werden.

© Natalie Kraneiß

Ein neu entdeckter Manuskriptkatalog sowie eine Inventarliste ermöglichten Prof. Kanda eine präzise Identifikation und Zuordnung der im Einzelnen von Shah ʿAbbās gestifteten Koranmanuskripte. Hieraus geht auch hervor, dass ʿAbbās der Schreinbibliothek noch weitere Handschriften – insbesondere in den Bereichen tafsīr, fiqh, ḥadīṯ und Medizin – spendete.

Auch zeigte sich entgegen der Annahme, dass diese Stiftungen Teil einer safawidischen Legitimationsstrategie waren, dass auch Herrscher anderer Dynastien solche Koranmanuskripte spendeten. Überdies finden sich v.a. im 19. und frühen 20. Jhd. regelmäßige Inspektionsnotizen auf den Handschriften, die von ihrer steten Präsenz im Āstān-i Quds auch in späterer Zeit zeugen.

Prof. Dr. Isabel Toral
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Die 'Nabatäische Landwirtschaft' (Bagdad, 10. Jh.) und andere Pseudoübersetzungen: Was sie uns zu Übersetzungen sagen

Zum Abschluss der Sommervortragsreihe 2024 sprach Prof. Dr. Isabel Toral von der FU Berlin über die „Pseudoübersetzung“ al-Filāḥa an-Nabaṭiyya („die Nabatäische Landwirtschaft“) des „Schwindlers“ Ibn Waḥšiyya, die im frühen 10. Jhd. in Bagdad entstand.

Zu Beginn führte sie in die Thematik und die Hintergründe jenes Werkes ein, das sich als Teilübersetzung eines über 20 000 Jahre alten aramäischen Handbuchs über Landwirtschaft präsentiert. Obgleich diese Behauptung bereits von der Forschung im 19. Jhd. widerlegt wurde, stellt sich doch die Frage, warum sich der Text überhaupt als eine Übersetzung präsentiert und inwiefern eine solche „Pseudoübersetzung“ zum besseren Verständnis von „wirklichen“ Übersetzungsprozessen beitragen kann.

© Bodleian Library MS. Huntington 326

Prof. Toral nahm hierfür Bezug auf Einsichten aus der deskriptiven Übersetzungswissenschaft. Demnach bieten Pseudoübersetzungen u.a. die Möglichkeit zur Übertragung der Autorenverantwortung, indem sich der Autor lediglich als „Übersetzer“ präsentiert. Gerade hinsichtlich der „heidnischen“ Elemente in der Nabatäischen Landwirtschaft dürfte dies von Vorteil gewesen sein. Auch ließen sich kulturelle Neuerungen in Gestalt einer Übersetzung leichter einführen, da sie somit im Gewand des Altehrwürdigen präsentiert werden konnten. Dies gilt nicht zuletzt für das zu jener Zeit noch unbekannte Genre des „Handbuchs“.

Sowohl im Vortrag als auch in der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass die Filāḥa in jedem Fall noch großes Potential für weiterführende Forschungsarbeiten bietet, weit jenseits von Diskussionen über ihre Authentizität.