Palästina verstehen
Fast 200 Besucher im Hörsaal 2 der Universität Münster gemeinsam mit fast 100 weiteren Zuhörern über den Live-Stream zeigten zum Auftakt der Ringvorlesung „Geschichte und Kultur der Region Palästina“ deutlich, wie groß die Nachfrage auch in Münster und Umgebung nach wissenschaftlich fundierter Einordnung des Nahostkonflikts ist.
Zum Auftakt beleuchtete Prof. Dr. Alexander Flores am 17.10.2024 unter der Überschrift „Palästina verstehen“ maßgebliche historische Ereignisse und Entwicklungen, die zur gegenwärtigen Gewalteskalation des Israel-Palästina Konfliktes geführt haben.
Prof. Flores verwies mit vielen wörtlichen Zitaten auf den nationalistischen wie auch kolonialistischen Entstehungskontext des Zionismus in Europa um 1900, der dort eine defensive Reaktion auf reale Diskriminierung gegenüber Juden war. Diese Idee, einen jüdischen Staat in Palästina zu gründen, musste am Ort ihrer Realisierung, in Palästina, aber notwendig offensiv werden. Die Vertreibung und Unterdrückung der ansässigen arabischen Bevölkerung wurde zum Ziel erklärt, das nur mit Hilfe aus dem Westen gelingen konnte.
Er hob die wiederkehrenden „Kreuzwege“ hervor, wie etwa den Oslo-Prozess, an denen der Weg zu einer friedlichen Lösung des Konfliktes durchaus möglich gewesen wäre, und betonte dabei auch die Verantwortung Israels als der eindeutig stärkeren und proaktiveren Konfliktpartei.
Wenig optimistisch zeigte er sich in Bezug auf einen möglich Ausweg aus der gegenwärtig „hoffnungslos verfahrenen Situation.“ In jedem Fall betonte er jedoch, dass die Anerkennung und vollkommene rechtliche Gleichstellung der beiden nationalen Gruppen vor Ort hierfür ein unabdingbares Desiderat darstellen.
Die Diskussion im Anschluss bot Möglichkeiten eines offenen akademischen Austauschs zu diesem Thema und wurde von den Anwesenden durchweg positiv honoriert.
Palästina auf Münzen
Zum zweiten Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung durfte das Institut für Arabistik und Islamwissenschaft gleich zwei Referenten begrüßen, die gemeinsam über das Thema „Palästina auf Münzen“ sprachen.
Zunächst bot Prof. Dr. Achim Lichtenberger vom Institut für Klassische Archäologie und Christliche Archäologie an der Universität Münster einen Überblick über die Erwähnung der Region Palästina auf Münzen vom Beginn der Perserzeit bis zum Ende der oströmischen Herrschaft. Er betonte dabei, dass die Ortsbezeichnung „Palästina“ in der Münzprägung gut belegt sei, jedoch kein klar umrissenes Territorium umfasste, weshalb zumeist Betitelungen wie „Judäa“ und „Samaria“ vorgezogen wurden. Im Gefolge der von den Römern niedergeschlagenen jüdischen Aufstände im 1. und 2. Jhd. CE lässt sich jedoch zeigen, dass die Provinzbezeichnung „Palästina“ auf Münzen durch die römische Verwaltung in bewusster Abgrenzung zu den Gebietsbezeichnungen der Rebellen gebraucht wurde.
Im zweiten Teil des Vortrags zeigte Prof. Dr. Thomas Bauer vom Institut für Arabistik und Islamwissenschaft auf, inwieweit auch unter arabisch-islamischer Herrschaft „Palästina“ als Prägeort auf Münzen erwähnt wurde. Insbesondere in Zeiten, in denen verschiedene Herrscherhäuser um die Vorherrschaft in der Levante konkurrierten, wird „Palästina“ immer wieder auf Münzen genannt, da dies mit entsprechenden Gebietsansprüchen einherging. Demgegenüber war die Region zur Mamluken- und Osmanenzeit als Prägeort von geringerer Bedeutung, da beide Dynastien die gesamte Levante einschließlich Ägypten kontrollierten. Auf den Münzen aus der Zeit des britischen Mandats ist die Bezeichnung dann wieder regelmäßig zu finden.
Im Anschluss an den Vortrag bot sich den zahlreichen Besucherinnen und Besuchern überdies die Möglichkeit, einige Münzen aus Prof. Bauers persönlicher Sammlung zu bestaunen.
Nachtrag: In seinem Vortrag hatte Prof. Bauer aufgezeigt, dass die deutschssprachige Wikipedia als Einzige nicht auf die Einrichtung des Militärdistriktes "Ǧund Filasṭīn" in frühislamischer Zeit verweist. Mittlerweise konnte diese Information jedoch erfolgreich in den entsprechenden Artikel eingetragen werden.
Gaza, Hebron und Tiberias
Im dritten Vortrag der Ringvorlesung sprach Prof. Dr. Syrinx von Hees vom Institut für Arabistik und Islamwissenschaft über vormoderne Stadtansichten und Erinnerungsorte in der Region Palästina.
Hierbei bezog sie sich vor allem auf drei geographische Werke aus der späten Abbasidenzeit sowie der Mamlukenzeit: das „Lexikon der Orte“ (Muʿǧam al-buldān) von Yāqūt ar-Rūmī (1179-1229), „Die Spuren der Länder“ (Āṯār al-bilād) von Zakariyyāʾ al-Qazwīnī (1202-1283) und „Die Straßen der Einsicht in die Regionen der Zivilisation“ (Masālik al-abṣār fī mamālik al-amṣār) von Ibn Faḍlallāh al-ʿUmarī (1301-1349). Prof. von Hees stellte dar, wie in diesen Werken die Region Palästina als Ganze, aber auch einzelne Orte, wie Gaza, Hebron oder Tiberias, präsentiert werden.
Für Gaza wurde dabei vor allem dessen zeitgenössische Infrastruktur geschildert, die beispielsweise ein Krankenhaus für Reisende, die Karawanserei Khān Yūnus oder auch die Kirche des Heiligen Porphyrios umfasste. Als Erinnerungsort war es demgegenüber von nachrangiger Bedeutung, obgleich der bedeutende Rechtsschulgründer aš-Šāfiʿī (767-820) dort geboren wurde. Demgegenüber erwähnen die Geographen Hebron vor allem als Ort der Grabstätte Abrahams, dessen koranische Bezeichnung als Freund Gottes (ḫalīl Allāh) der Stadt ihren arabischen Namen al-Ḫalīl verleiht. Tiberias schließlich wird vor allem als Ort der Bäder und heißen Quellen gerühmt. Eines seiner Thermalbäder wird in den genannten Quellen sogar als „Weltwunder“ bezeichnet.
Deutlich zeigte sich im Ergebnis des Vortrags, dass all diesen Orten, auch wenn es sich bei ihnen nicht um die politischen oder auch religiösen Zentren jener Zeit handelte, dennoch ein fester Platz im alltäglichen Leben wie auch in der Erinnerungskultur der Menschen zukam.