Geschichte als Lesefach

Geschichte ist als vergangene Wirklichkeit nicht direkt beobacht- und erlebbar und kann nur über Sprache vergegenwärtigt werden (vgl. Handro 2013). Daher begegnet Geschichte den Lernenden im Unterricht vorrangig durch das Lesen von Texten sowie durch das Sprechen und Schreiben über Texte (vgl. Günther-Arndt 2003). Fachangemessenes Textverstehen stellt damit eine wichtige Voraussetzung für gelingende historische Lernprozesse und geschichtskulturelle Teilhabe dar. Zugleich liegt im Textverstehen jedoch ein Schlüsselproblem des Geschichtsunterrichts.

Textsorten im Fach Geschichte

Besonders herausfordernd ist für Schülerinnen und Schüler, dass sie im Geschichtsunterricht mit ganz unterschiedlichen Textsorten konfrontiert werden, die je eigene Anforderungen stellen. Im Hinblick auf ihren epistemischen Status lassen sich im Wesentlichen zwei Textgattungen voneinander unterscheiden:

  • Zu den historischen Quellen gehören u. a. überlieferte Originaltexte unterschiedlicher Epochen und Gattungen (z. B. Urkunden, Briefe, Tagebücher), aus denen Kenntnisse über die Vergangenheit gewonnen werden können. Sie zeichnen sich u. a. durch alteritäre Sprachstrukturen aus und werden strategiebasiert durch Methoden der Quelleninterpretation erschlossen.
  • Davon zu unterscheiden sind historische Darstellungen als Deutungen von Vergangenheit. Hierzu zählen neben Historikertexten u. a. Romane, Gedenkreden oder historische Comics als populäre Formen der Geschichtsdarstellung, die Gegenstand von Darstellungskritik sind.

Eine Sonderform stellen Autorentexte in Geschichtslehrwerken dar. Hierbei handelt es sich um didaktisch strukturierte Texte, die im Geschichtsunterricht für die Entwicklung von historischen Fragestellungen genutzt oder zum Aufbau von Sach- und Orientierungskompetenz eingesetzt werden.

Allerdings beschränken sich Verfahren der Quellen- und Darstellungsinterpretation nicht ausschließlich auf die Erschließung eines Textes. Vielmehr sollen Schülerinnen und Schüler im Geschichtsunterricht auch lernen, Textperspektiven und Narrationen zu vergleichen und zu integrieren. Intertextualität ist daher für historisches Denken und Lesen grundlegend (vgl. Handro 2015; Günther-Arndt 2015).

Fokus: Historischer Darstellungstext

Eine wichtige Voraussetzung zur Bewältigung fachspezifischer Leseanforderungen (bis hin zur Darstellungskritik) liegt darin, dass Schülerinnen und Schüler fragegeleitet Informationen aus historischen Texten entnehmen, gewichten, verknüpfen und reorganisieren können. Jedoch stellt bereits diese (vermeintlich leichte) Leseanforderung viele Lernende vor große Herausforderungen.

Im Fachprojekt Geschichte steht daher die Arbeit an inhaltlich verdichteten historischen Darstellungstexten im Fokus, um den Schülerinnen und Schüler fachspezifische Lesestrategien zur Wichtung, Vernetzung und Reorganisation von Textinformationen zu vermitteln. Dabei wird u. a. auf einen Modelltext zurückgegriffen, der im Projektkontext entwickelt wurde, lokalgeschichtlich ausgerichtet ist und die Erprobung unterschiedlicher Lesestrategien zulässt. Der Modelltext ermöglicht es zudem, Lernende beim Lesen in fachspezifische Semantiken sprachlicher Mittel und Textstrukturierungen einzuführen. Denn die sprachlichen Marker bzw. Mittel historischen Erzählens (z. B. Zeitangaben, Verwendung des Passivs) sind entscheidend, um Textaussagen in Bezug auf ein fachliches Lernziel oder Erkenntnisinteresse zu gewichten und zu vernetzen.