Ziele strategiebasierten Textverstehens im Fach Geschichte

Dem Fachprojekt Geschichte liegt die Prämisse zugrunde, dass der Einsatz von Lesestrategien im Geschichtsunterricht der Entwicklung historischer Kompetenzen dient. Im Umgang mit historischen Texten sollen die historische Frage-, Methoden-, Sach- und Orientierungskompetenz gefördert werden (vgl. Schreiber 2008). Zugleich setzt das Lesen im Geschichtsunterricht fachliche Kompetenzen, Kategorien und Prinzipien voraus, deren Einsatz durch eine geschichtsdidaktisch strukturierte, strategische Steuerung des Leseprozesses unterstützt werden soll.

Folglich müssen Lesestrategien als mentale Werkzeuge fachspezifisch profiliert und im Geschichtsunterricht explizit vermittelt werden. Der Einsatz fachspezifischer Lesestrategien verfolgt somit zwei Ziele: Zum einen – verstanden als epistemisches Instrument (Fokus Erkenntnisprozess) – dient er der Verknüpfung geschichts- und lesedidaktischer Ansätze, zum anderen – im Sinne eines didaktischen Instruments (Fokus Differenzierung) – wird das Ziel der Gestaltung eines ‚heterogenitätssensiblen Geschichtsunterrichts‘ aufgegriffen (vgl. Hoffrogge & Kilimann 2018).

Geschichtsmethodische Strategien zur Steuerung historischer Lernprozesse

Fachübergreifende (lesepsychologische) Lesestrategien lassen sich entlang folgender Kategorien systematisieren:

  • Stützstrategien (z. B. Zeitmanagement, Aufbau von Lesemotivation),
  • Organisationsstrategien zur Erschließung und Gewichtung historischer Informationen im Text (z. B. Zeitleiste, Textmarkierungen, Randnotizen; Teilüberschriften etc.),
  • Elaborationsstrategien zur Unterstützung der historischen Sachurteilsbildung (z. B. Strukturlegetechnik, Concept-Map, Definition von Begriffen, tabellarische Systematisierung)
  • Wiederholungsstrategien (in Kombination mit Organisations- und Elaborationsstrategien)
  • Metakognitive Strategien, die die Planung, Kontrolle und Überwachung des Verstehensprozesses begleiten (z. B. Formulieren von Leseabsicht und Leseerwartungen/Hypothesen; Nachschlagen von unbekannten Wörtern und Begriffen).

Versteht man Lesestrategien jedoch als epistemisch-methodische Instrumente zur Planung und Steuerung des historischen Lehr-Lernprozesses, gilt es, Lesestrategien geschichtsdidaktisch zu profilieren, um Lernende als Lesenovizinnen und -novizen im Fach beim fachangemessenen Textverstehen zu unterstützen. Dazu wird Textverstehen als Prozess verstanden, der in die Phasen des historischen Erkenntnisprozesses unterteilt werden kann: Heuristik, Historische Sachanalyse, Historische Urteilsbildung und Historische Darstellung (vgl. Handro 2018). Jede dieser Phasen kann durch fachspezifische Lesestrategien unterstützt werden.
Für eine Anbindung allgemeiner Lesestrategien an den historischen Erkenntnisprozess und somit für eine geschichtsdidaktische und -methodische Profilierung allgemeiner Lesestrategien sind folgende Bausteine zentral:

  • Historische Fragen stehen am Beginn des Leseprozesses. Sie strukturieren die Selektion, Wichtung und Verknüpfung von Textinformationen im Leseprozess und unterstützen die mentale Modell-/Urteilsbildung.
  • Historische Kategorien (z. B. Zeit und Wandel, Kausalität, Raum, Akteure) und historische Deutungsbegriffe (z. B. Christianisierung) fungieren in Abhängigkeit von der historischen Frage als fachspezifische Werkzeuge lokaler Kohärenzbildung und elaborierender Wissensreorganisation. Sie müssen als Strukturierungshilfen beim Textverstehen eingesetzt bzw. durch Strategieeinsatz aufgebaut werden.
  • Historische Sinnbildungsmodi werden durch sprachliche Mittel der fachspezifischen kausalen, modalen und temporalen Erkenntnisstrukturierung sowie durch sprachliche Konstruktionsprinzipien empirischer und narrativer Triftigkeit oder Werturteilsbildung repräsentiert. Diese müssen im Sinne fachspezifischer Semantisierung und durch sprachsensiblen Strategieeinsatz von Geschichtslehrkräften explizit vermittelt werden.

Beispiel: (Kategoriengeleitetes) Unterstreichen von Textinformationen

Bestehende empirische Daten bestätigen, dass nicht-domänenspezifische Lesestrategien (z. B. der nicht weiter spezifizierte Arbeitsauftrag, Schlüsselwörter zu unterstreichen oder Fragen an den Text zu formulieren) Lernende im Geschichtsunterricht nur begrenzt bei der Erschließung von Texten mit hoher Informationsdichte unterstützen (vgl. Henke-Bockschatz 2007).
Wie in Abb. 1 und 2 zu sehen, unterstützt der fachspezifische Lesestrategieeinsatz Schülerinnen und Schüler dabei, Textinformationen entlang historischer Kategorien und Konzepte zu gewichten und zu vernetzen.

Textblatt mit Unterstreichungen
Abb. 1: Unterstreichmuster entlang der Kategorie "Zeit"
© Kilimann
Textblatt mit Unterstreichungen
Abb. 2: Unterstreichmuster entlang der Kategorie "Akteure"
© Kilimann