(D11) Die Lord's Resistance Army: Gewalt und Christentum in Ostafrika
Das Projekt untersucht, wie am Beispiel des 22-jährigen, aktuellen Konfliktes in Norduganda, seinen Ursachen, dem Verlauf und insbesondere seiner Beilegung Religion und Politik miteinander verwoben sind. Elemente aus Christentum, Islam und traditioneller Kosmologie werden in Mythen und Ritualen zu Metaphern verarbeitet und bei dramatischen Inszenierungen der von Geistern besessenen Rebellenführer und Propheten vermittelt. Ferner werden die verschiedenen Verfahren untersucht, mit denen in der Nachkriegssituation der Acholi-Gesellschaft Nordugandas der Friede, beziehungsweise „Normalität“ (wieder-)erlangt werden soll: auf supranationaler Ebene (Internationaler Strafgerichtshof), auf nationaler Ebene (Friedensvertrag, Amnestien, Armee) sowie auf lokaler Ebene (Rituale). Welche dieser mitunter widersprüchlichen Verfahren unter welchen Bedingungen eine gesellschaftliche Akzeptanz erfahren, beziehungsweise warum sie scheitern, ist Gegenstand der Analyse.
Ziel des Projektes ist, durch ethnologische Forschung Informationen zu sammeln und zu analysieren, um somit die gesellschaftliche Problemstellung, wie man sie in Uganda und anderen Regionen Afrikas antreffen kann, fundiert beurteilen zu können. Die Untersuchung des ugandischen Konfliktes in seinen kosmologischen und historischen Bezügen erweitert die Fragestellung des Exzellenzclusters, weil sich der Zusammenhang von Politik und Religion in afrikanischen Gesellschaften durchweg anders darstellt als in Europa. Die fachliche Pluralität innerhalb des Exzellenzclusters ermöglicht im Gegenzug einen erweiterten Zugang zu Themen wie beispielsweise Rechtspluralismus, Prophetentum und Bibeltexte. Aufgrund der Einbettung in den Exzellenzcluster hat die Forschung das Potential, die Methodik interdisziplinärer Konfliktforschung maßgebend zu beeinflussen. Die Arbeit in diesem Projekt soll der Anfertigung einer Habilitationsschrift sowie der Produktion des inzwischen fertiggestellten ethnologischen Filmes „Fighting Spirits, Geister (be-)kämpfen“ dienen.
Kosmologische Gewalt und Konfliktursachen
Ergebnisse aus Interviews mit Vertretern staatlicher Institutionen und Kirchen sowie mit Acholi-Informanten im Norden verweisen auf ein sehr komplexes, heterogenes Bild der Konfliktursache und der Konfliktbeilegung und erlauben somit die Forschungsfragen präziser zu formulieren. Gewalterfahrung bei den Acholi erweist sich zunehmend als primär religiöse Erfahrung. Insofern, als dass sowohl Ursachenbündel des Konfliktes, sein Verlauf und die eigentlichen Gewalttaten bis hin zu verschiedenen Ansätzen der Konfliktbeilegung in kosmologische Bezüge gestellt werden, wird erlittene, physische Gewalt als kosmologische Gewalt gedeutet. Wie die Forschung erwiesen hat, trifft dieses Deutungsmuster auf alle sozio-morphologischen Ebenen der Gesellschaft zu. Individuelles Leid wird ebenso in sozio-kosmologischen Austauschbeziehungen verortet wie die Befindlichkeiten von Familien, Klanen und der gesamten Gesellschaft. Von einzelnen Personen erlebte Gewalt, Krankheit und Unglück werden stets auf gesellschaftliche Befindlichkeiten übertragen. Somit weiten sich zunächst persönlich erfahrene Probleme in die Gemeinschaft aus und nehmen dabei in ihren Ausmaßen enorm zu. Die Rhetorik der Gewalt kommt in Norduganda aktuell zum Ausdruck und ist insbesondere im Filmprojekt als kosmologischer Gewaltbegriff dokumentiert.
Aufgrund der durch Diktaturen seit den 70er Jahren sowie der letzten beiden Kriegsjahrzehnte in Norduganda bedingten „Lücke“ der ethnologischen Forschung, leistet das Projektes einen Beitrag zur Grundlagenforschung. Von der „klassisch“ ethnologischen Arbeit abgesehen, sind die Ereignisse in Norduganda im Rahmen einer „Modernitätsdebatte“ zu verorten. Viele der verschiedenen Zugänge und Theorien zur Moderne, die im Cluster kontrovers diskutiert werden, sind auf das ostafrikanische Fallbeispiel nicht problemlos anwendbar. Das Konzept der entangled modernity von Randeria jedoch, ermöglicht einen methodischen Zugang zu der Komplexität der ugandischen Verhältnisse. Hierbei geht es um die historisch „verwobenen“ Konflikthintergründe einerseits, aber in besonderem Maße auch um die verschiedenen Verfahren zur Konfliktregulierung, die in Norduganda derzeit zur Anwendung kommen.
Der Friedensprozess, der genauso alt ist, wie der Konflikt selbst, steckt in Uganda in einem Überangebot an Verfahren (Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag; Friedensverhandlungen, Amnestiegesetze und Armeeeinsätze auf staatlicher Ebene; vermeintlich traditionelle „Friedensrituale“ auf lokaler Ebene) fest. Der Begriff des religiösen, beziehungsweise rechtlichen Pluralismus erscheint vor Ort nicht ausreichend, die Beziehungen und Wechselwirkungen der einzelnen, teilweise widersprüchlichen Zugänge tiefergehend zu erfassen. Aus „emischer“ Perspektive wird die Sinnzuschreibung oftmals als fundamentaler Bruch mit der „Tradition“ empfunden. Die Unterscheidung zwischen einem „modernem“ Krieg und den Beutezügen und Blutfehden früherer Zeiten wird am Wandel der Waffentechnik von Speeren zu Gewehren von den Menschen veranschaulicht.
Allerdings zieht die „Modernisierung“ der kriegerischen Auseinandersetzung Prozesse der Intensivierung von Geistervorstellungen nach sich. Alte und neue Formen von Propheten, die sich in der Form von Geistbesessenheit mitteilen, gehen mit Prozessen der Säkularisierung, Globalisierung und Militarisierung einher. Performanz, Inszenierung und „rituelles Drama“ gehören zum analytischen „Werkzeug“, das im aktuellen Geschehen die Instrumentalisierung von Ritualen für friedenspolitische Ziele zu konstatieren und unterscheiden hilft.
Ethnologische Langzeitperspektive
Die ethnologische Perspektive – anders als die normativ ausgerichtete Friedens- und Konfliktforschung – erweist sich im Rahmen diverser Kontakte mit Vertretern anderer Disziplinen, die sich in der Region mit Konflikten befassen, als notwendige Voraussetzung für das Verständnis von gewaltsamen Konflikten. Insbesondere die ethnologische Langzeitperspektive, die durch das Clusterprojekt ermöglicht wird, erlaubt die Dokumentation und Interpretation von Deutungsprozessen und Wandel der Rechtfertigungsmuster der beteiligten Akteure (unter anderem Rebellen, Bevölkerung, staatliche Organe und Geberorganisationen). Die Frage, wie beinahe vergessene Rituale vor Ort von Außenstehenden als local knowledge gefördert und inszeniert werden, und ob letztlich eine gesellschaftliche Akzeptanz erlangt wird, kann nur durch eine langfristige Beobachtung befriedigend beantwortet werden. Auch innerhalb der Ethnologie gibt es diesbezüglich kaum Vorbilder. Nur die Langzeitperspektive wird erweisen, wem durch welche Prozesse eine Deutungsmacht zugeschrieben wird und ob kosmologische Beziehungen flexibel gestaltet und praktiziert werden können.
Im Rahmen der sozialen Rekonstruktion der Acholi-Gesellschaft herrscht ein medikalisierter, körperbezogener und individualisierter Diskurs um gesellschaftliche und soziale „Heilung“. Es steht derzeit noch aus, den lokalen und internationalen Sprachgebrauch und die verbreiteten biologistischen Metaphern zu untersuchen. Bisher hat sich gezeigt, dass sich die Begriffe bei den Acholi und im internationalen Entwicklungsdiskurs von Gewalt als sozialem „Trauma“, Ritual als „kollektiver Therapie“ beziehungsweise Rebellen als „Krebsgeschwür“ der Gesellschaft zwar durchaus ähneln, ihnen aber völlig verschiedene Konzepte zugrunde liegen. Dass Religion und Politik in dieser Region als untrennbare Einheit empfunden wird, ist aus ethnologischer Sicht seit langem bekannt.
Allerdings muss für das Beispiel der Acholi untersucht werden, wie diese Einheit angesichts von Diskrepanzen mit dem modernen ugandischen Staat und dem Druck der Globalisierung konkret erlebt wird. Ferner sollen Daten zum Konzept der Person und zur Rolle von Männlichkeitsbildern Aufschluss über einen „Kriegerethos“ der Acholi und damit über die gesellschaftliche Stellung der Rebellen geben. Die Mythen, die die kosmologische Grundlage für die politische Struktur der Acholi darstellen, müssen in ihren lokalen Varianten dokumentiert werden. Die Beziehungen zwischen den Klanen und ihrem Land sind für das Verständnis von politischer und ritueller Autorität heute grundlegend.