„Gewaltpotential religiöser und politischer Konfrontationen“
Beitrag von Literaturwissenschaftlerin Martina Wagner-Egelhaaf zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Salman Rushdie
Der indisch-britische Schriftsteller Salman Rushdie erhält am 22.10.23 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Die Literaturwissenschaftlerin Martina Wagner-Egelhaaf hat am Exzellenzcluster das Verhältnis von Religion, Politik und Literatur auch am Beispiel von Salman Rushdies Werken erforscht. In einem Beitrag für religion-und-politik.de beleuchtet sie die Auszeichnung des Schriftstellers auch im Lichte der aktuellen Lage im Nahen Osten.
Friedenspreis in friedloser Zeit
von Martina Wagner-Egelhaaf
Preisverleihungen werden von langer Hand geplant. Als in der Öffentlichkeit im Sommer bekannt wurde, dass in diesem Jahr der indisch-britische Schriftsteller Salman Rushdie den renommierten Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhält, waren der schreckliche Terroranschlag auf Israel durch die Hamas und die israelische Gegenoffensive noch nicht geschehen. Kulturpolitische Ereignisse werden nicht selten von politischen Entwicklungen eingeholt und überholt, so dass sie, plötzlich neu gerahmt, in veränderter Beleuchtung als von den Organisator*innen des Festakts ursprünglich geplant erscheinen. Seit nunmehr 73 Jahren wird der Preis, der 1950 begründet wurde, um Frieden und Völkerverständigung zu befördern, in einem feierlichen Akt in der Frankfurter Paulskirche verliehen. Die Verleihung erfolgt im Rahmen der Frankfurter Buchmesse, da man der Literatur, wie schon der erste Preisträger, der Schriftsteller Max Tau unterstrich, eine besonders friedensfördernde Rolle zuerkannte. Dass der Friede etwas immer Gefährdetes, Unverwirklichtes, erst in der Zukunft zu Verwirklichendes ist, bildet den Tenor fast aller in der Paulskirche gehaltenen Friedensreden. Und doch lässt die Verleihung des Preises an Salman Rushdie in diesem Jahr aufmerken. Mit seinem 1988 erschienenen Roman The Satanic Verses, aufgrund dessen der iranische Revolutionsführer Ayatollah Khomeini eine Fatwa gegen den Autor aussprach, schien er nicht eben zum Frieden in der Welt beizutragen.
Die Rushdie-Affäre brachte zahlreiche radikalisierte Muslime auf die Straßen, die den Tod des Autors forderten. Rushdie überlebte, weil er sich jahrelang unter Polizeischutz versteckte, aber sein japanischer Übersetzer überlebte einen Anschlag nicht, sein dänischer Übersetzer wurde bei einem Attentat schwer verletzt. Dass Rushdie selbst 33 Jahre nach Verkündung der Fatwa bei einem Anschlag auf ihn schwer verletzt wurde und dabei ein Auge verlor, macht ihn einmal mehr zur Symbolfigur, die mit ihrem Leben für die Freiheit des Wortes einsteht. Der Stiftungsrat des Friedenspreises würdigt ihn als „einen der leidenschaftlichsten Verfechter der Freiheit des Denkens und der Sprache – und zwar nicht nur seiner eigenen, sondern auch der von Menschen, deren Ansichten er nicht teilt“. Vor dem Hintergrund des jüngsten Krieges in Nahost erinnert der Friedenspreis für Rushdie einmal mehr an das Gewaltpotential religiöser und politischer Konfrontationen. Umso mehr steht gerade Rushdie für die Kraft und das Vermögen des Einzelnen, dem Wahnsinn von Kriegen in aller Welt das freie, das kritische, aber vor allem das ehrliche Wort entgegenzusetzen als Basis für einen Frieden, in dem alle Parteien gleichberechtigt zu Wort kommen. Wo Spiel und Ironie festgefügte Positionen unterlaufen, auch und gerade als unumstößlich erachtete eigene, kann Neues entstehen und sich ein Horizont für Dialog und Austausch öffnen. (exc/vvm)