Homosexualität in der indischen Rechtssprechung
Jurist Yeshwant Naik analysiert rechtliche Modernisierungsdynamik in Indien
Mit der Umstellung des indischen Rechts zu Fragen der Homosexualität auf internationale menschenrechtliche Standards befasst sich eine Monographie des Rechtswissenschaftlers Dr. Yeshwant Naik von der WWU. Der Jurist veranschaulicht an dem Beispiel, wie die Modernisierungsdynamik eine „Traditionskrise“ im indischen Recht auslöst. Das Buch entstand im Rahmen des Cluster-Projektes A2-7 „Pluralismus und Normbegründung in der Moderne“ von Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Thomas Gutmann. „Die zögerliche Umstellung des indischen Rechts der Homosexualität auf internationale Standards und die damit verbundene Traditionskrise passt sich in unsere Überlegungen zu einer Theorie der ‚Normativen Moderne‘ im Projekt A2-7 ein,“ so Thomas Gutmann. Das Buch trägt den Titel „Homosexuality in the Jurisprudence of the Supreme Court of India“ („Homosexualität in der Rechtsprechung des Obersten Gerichts Indiens“). Es ist im Verlag Springer International in Cham und Neu-Delhi erschienen.
Dr. Naik zeigt in seiner Studie anhand von Urteilen zur Homosexualität, wie sich die Rechtsprechung des Obersten Gerichts Indiens innerhalb der vergangenen zehn Jahre verändert hat. Die Auffassung des Gerichts zu Streitpunkten wie Gleichheit, Familie, Ehe und Menschenrechten untersucht Naik in internationaler Perspektive. Er vergleicht mit Hilfe der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und internationaler Konventionen, wie stark die legale und soziale Diskriminierung der Gemeinschaft von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender in Indien ausfällt. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichts kontrastiert Naik zudem mit Überlegungen, welche alternativen Lebens- und Familienformen nach internationalem und indischem Recht als „Familien“ Anspruch auf Anerkennung und Schutz erheben können.
Herausforderung für Patriarchat und hegemoniale Männlichkeit
Die rechtswissenschaftliche Analyse ergänzt der Autor um eine sozialanthropologische: Das Buch zeigt, so Thomas Gutmann, dass homosexuelle Männlichkeit in Indien trotz ihrer Marginalisierung Patriarchat und hegemoniale Männlichkeit herausfordert. „Es stößt in eine Forschungslücke, indem es gegenwärtige homosexuelle Männlichkeit erzählerisch nachvollzieht und die aufkommenden schwulen Lebensstile in Indien untersucht.“ Die Analyse vereine aktuelle Forschungsansätze zur Homosexualität mit einem besonderen Blick auf die Verhältnisse in Indien. Dr. Naik diskutiert seine Forschungsergebnisse mithilfe der Theorie des „Lebenden Rechts“ des österreichischen Rechtssoziologen Eugen Ehrlich. (dak/vvm)