Über die zukünftige Gestalt der Theologie
Audio-Aufnahmen der „Gifford Lectures“ von Religionswissenschaftler Perry Schmidt-Leukel online – Druckfassung für 2017 angekündigt
Die Vorträge des Religionswissenschaftlers und Theologen Prof. Dr. Perry Schmidt-Leukel zum Thema „Interreligiöse Theologie“ im Rahmen der renommierten Gifford-Lectures in Schottland sind ab sofort als Audio-Mitschnitte im Internet verfügbar. Die Universität Glasgow bietet die fünf Vorträge als Audio-Stream zum Nachhören an. In der Vortragsreihe präsentierte der Wissenschaftler des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ erstmals eine neue Theorie der Religionsvielfalt. Eine erweiterte Buchfassung der Vorlesungen erscheint im Frühjahr 2017 im amerikanischen Verlag Orbis Publishers.
Prof. Schmidt-Leukel hielt die „Gifford Lectures“ im vergangenen Oktober an der Universität Glasgow als erster Deutscher seit 25 Jahren. Die Einladung zu den Giffords ist eine der höchsten internationalen akademischen Auszeichnungen auf dem Gebiet der Religionsphilosophie und Theologie.
Neue Theorie zur religiösen Vielfalt
Die Gifford-Reihe trug den Titel „Interreligious Theology: The Future Shape of Theology“ („Interreligiöse Theologie: Die zukünftige Gestalt der Theologie“). Darin präsentierte Prof. Schmidt-Leukel Forschungsergebnisse des Projekts C2-16 „Interreligiöse Theologie“ am Exzellenzcluster. Der erste Vortrag „Interreligious Theology: Whither and Why“ erläutert Prinzipien und Methodik der religionsübergreifenden Theologie. Die Vorträge zwei bis vier führen dies beispielhaft aus, anhand der muslimischen, christlichen und buddhistischen Bekenntnisse zu Muhammad als dem letzten Propheten, zu Jesus als Sohn Gottes und zu Gautama als dem Buddha. Eine „Fraktale Theorie zur religiösen Vielfalt“ präsentiert Prof. Schmidt-Leukel im Abschlussvortrag, „Towards a Fractal Theory of Religious Diversity“.
„Herkömmliche Theologien geben nicht ausreichend Antwort auf die wachsende Herausforderung der religiösen Vielfalt und Konflikte“, so Prof. Schmidt-Leukel. „Statt Theologie weiterhin religionsspezifisch zu betreiben, sollten wir auf eine interreligiöse Theologie setzen.“ Diese „Theologie der Zukunft“ zeige, dass Religionen wie Christentum, Islam und Buddhismus einander viel ähnlicher seien als bislang angenommen und zwar mit Blick auf ihre jeweilige interne Vielfalt. „Das, was die Religionen voneinander unterscheidet, findet sich oft in anderer Form auch als Unterschiede innerhalb der eigenen Religion wieder. Diese Erkenntnis erlaubt die Ausweitung ökumenischer Theologie zur interreligiösen Theologie“, so der Religionswissenschaftler.
Fraktales Verständnis von religiöser Vielfalt
Prof. Schmidt-Leukel hat die „Fraktale Theorie der Religionsvielfalt“ in Anlehnung an die Fraktal-Theorie des Mathematikers Benoît Mandelbrot (1924-2010) entwickelt, nach der Objekte in der Natur wie Farnpflanzen oder Blumenkohl aus verkleinerten Kopien ihrer selbst zusammengesetzt sind. Interreligiöse Theologie kann nach Schmidt-Leukel von einem fraktalen Verständnis religiöser Vielfalt unterstützt werden. „Grundlegende Muster religiöser Vielfalt spiegeln sich in der Vielfalt innerhalb jeder Religion und letztlich innerhalb der im einzelnen Menschen angelegten religiösen Möglichkeiten wider.“ Zwischen einem konservativen Verständnis von Theologie und einer interreligiösen Theologie bestehe also mehr Kontinuität als gedacht.
Die vier schottischen Universitäten Edinburgh, Glasgow, St. Andrews und Aberdeen laden bereits seit 1888 alle ein bis zwei Jahre zu der Vorlesungsreihe ein. Der Richter und Rechtsanwalt Adam Lord Gifford (1820-1887) stiftete sie zur Förderung der „natürlichen Theologie im weitesten Sinn“. Heute verstehen die Universitäten dies im Sinne einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit Religion, die der Frage nach der Vernünftigkeit und möglichen Wahrheit von Religion nachgeht.
Prof. Perry Schmidt-Leukel ist seit 2009 Direktor des Seminars für Religionswissenschaft und Interkulturelle Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster und Mitglied des Exzellenzclusters „Religion und Politik“. Von 2000 bis 2009 war er Professor für Religionswissenschaft und Systematische Theologie der Universität Glasgow. Seine Forschungsschwerpunkte lauten Theologie der Religionen, Interreligiöse Beziehungen, Christlich-buddhistischer Dialog, interreligiöse Theologie und Pluralismusfähigkeit der Religionen. (ska/vvm)