Demokratisierungsprozesse nach 1989
Symposium in Berlin zum 75. Geburtstag von Ehrhart Neubert
Die Transformationsprozesse in Ost- und Westdeutschland nach 1989 stehen im Mittelpunkt eines Symposiums in Berlin, das der Exzellenzcluster „Religion und Politik“ zum 75. Geburtstag des DDR-Oppositionellen und evangelischen Theologen Dr. Ehrhart Neubert veranstaltet. Dabei geht es besonders um die kulturellen Prägungen und den institutionellen Neuanfang in Ostdeutschland in den Jahren nach der Wende, wie der Religionssoziologe Prof. Dr. Detlef Pollack und der Historiker Prof. Dr. Thomas Großbölting, die zur Konferenz einladen, erläutern. Die Veranstaltung trägt den Titel „Informalität und Formalität im Prozess der Demokratisierung“. Sie findet vom 21. bis 22. September in der Vertretung des Freistaats Thüringen beim Bund statt.
Der Theologe Ehrhart Neubert, der 2005 das Bundesverdienstkreuz erhielt, wird auf dem Symposium mit Prof. Pollack über seinen Lebensweg vom Pfarrer zum Parteiengründer sprechen. Der Politiker engagierte sich in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) in der Oppositionsbewegung und war Mitarbeiter verschiedener Friedenskreise. Er gehörte 1989 zu den Gründungsmitgliedern der Partei „Demokratischer Aufbruch“ (DA), die 1990 in der CDU-Ost aufging. Die ehemalige Ministerpräsidentin des Landes Thüringen, Christine Lieberknecht (CDU), spricht ein Grußwort. Anmeldungen zur Tagung sind am Lehrstuhl von Prof. Pollack unter areer_01@uni-muenster.de möglich.
„Die DDR war ein überorganisierter, autoritärer Staat und zugleich durch ein hohes Maß an informellen Sozialbeziehungen gekennzeichnet“, erläutert Prof. Pollack. Mit ihrem Untergang sei nicht nur das westliche Institutionensystem auf den Osten übertragen und das alte politisch-rechtliche System durch ein neues ersetzt worden. „Vielmehr stießen auch die mit dem neuen System verbundenen Erwartungen auf Haltungen, Gewohnheiten und Mentalitäten, die durch 40 Jahre DDR geprägt worden waren. Auf der einen Seite löste dieses spannungsvolle Aufeinandertreffen vielfältige Prozesse der Anpassung, Abstoßung, Verweigerung und der Selbstbehauptung sowie der produktiven Aneignung aus, aufgrund derer die politische Kultur des deutschen Ostens einem umfassenden Transformationsprozess ausgesetzt wurde.“ Auf der anderen Seite habe dieses Zusammentreffen auch den Westen beeinflusst, etwa die dortige Institutionenordnung, die Kommunikation in den Parteien und Gewerkschaften, das Rechtssystem und die öffentliche Diskussionskultur.
Die Veranstaltung geht dem Spannungsverhältnis zwischen alten politischen, sozialen und kulturellen Prägungen und den durch die westliche Institutionenordnung gestellten neuen Herausforderungen sowie den Veränderungen dieses Spannungsverhältnisses im unmittelbaren Gefolge der sogenannten Friedlichen Revolution nach. In sechs Vorträgen aus der Geschichts-, Sozial- und Politikwissenschaft sollen grundlegende Probleme dieser Transformationsphase ebenso zur Sprache kommen wie Einzelaspekte, etwa was die Arbeit der Runden Tische, die Parteienbildung oder auch die Stasi-Aufarbeitung angeht.
Den Abschluss des Symposiums bildet eine Podiumsdiskussion. Neben Ehrhart Neubert sprechen die Rechtswissenschaftlerin Rosemarie Will, ehemaliges Mitglied der Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) und ehemalige Verfassungsrichterin des Landes Brandenburg, der Autor und sächsische Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Lutz Rathenow und die DDR-Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe, Brandenburger Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur. (ska/vvm)