„Der Staat als irdischer Gott“
Philosoph Siep zur Idee vom absoluten Staat und seinem Verhältnis zu den Religionen
Unter dem Titel „Der Staat als irdischer Gott“ ist ein neues Werk des Philosophen Prof. Dr. Ludwig Siep vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ erschienen. Der Wissenschaftler befasst sich darin mit der Idee eines „absoluten“ Staates, die in der politischen Philosophie der Neuzeit eine lange Geschichte hat, sowie mit dem Verhältnis des Staates zu Religionsgemeinschaften und zur globalen Wirtschaft. Die Neuerscheinung trägt den Untertitel „Genese und Relevanz einer Hegelschen Idee“ und ist jüngst im Mohr Siebeck Verlag erschienen.
„In der Gegenwart wird über den ‘Gottesbezug‘ von Verfassungen ebenso gestritten wie über eine ‘Staatsvergottung‘, durch die Menschenrechte gefährdet würden“, erläutert Prof. Siep. Die Idee eines „absoluten“ Staates habe eine lange Geschichte in der politischen Philosophie der Neuzeit, die bei Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) gipfelt. Ihr Ziel war die Emanzipation des Staates von der Religion und den wirtschaftlichen Interessen. Die Rechte und Freiheiten, die er sichern sollte, wurden durch seine unbegrenzte Souveränität aber auch gefährdet. „Daraus lassen sich Konsequenzen für die gegenwärtige Diskussion nach der ‘Wiederkehr der Religionen‘ ziehen“, so der Wissenschaftler. „Der säkulare Staat bleibt notwendig für die Sicherung der Grundfreiheiten gegen religiöse Mächte und Privatinteressen. Er muss dazu höchste Instanz der Rechtsetzung bleiben – er kann nicht ‚postsäkular‘ werden.“
Der Philosoph unterstreicht, wenn Religionsgemeinschaften glaubwürdig, auch nach innen, die Menschenrechte verteidigen und den unparteiischen Staat akzeptieren, brauche dieser keine „sittliche“ oder gar „sakrale“ Autorität. „Wenn Religionen Menschenrechte bejahen, kann der Staat auf zivilreligiöse Aura verzichten.“ Zur Zügelung der globalen Wirtschaft müsse er aber Souveränität an überstaatliche Organe abgeben. „Dabei darf es nicht zu Zuständen ohne legitimes Gewaltmonopol, sogenannte failed states (gescheiterte Staaten), kommen.“
Zur Entstehung der philosophischen Idee des „absoluten Staates“ erläutert Prof. Siep, dass Philosophen in der Epoche der Französischen Revolution (1789-1799) den Staat in einer freiheitsgefährdenden Konkurrenzsituation mit den Kräften der Religion und der Wirtschaft gesehen hätten. „Er konnte sie nur durch eine eigene Sinnstiftung für die Menschen bestehen. Es musste sich lohnen, für den Staat im Notfall auf alle privaten Interessen zu verzichten und ihm mindestens ebensolche Opfer zu bringen wie dem Glauben.“ Diese Überhöhung sollte dem Wissenschaftler zufolge selber im Interesse des Schutzes der Rechte der Individuen stehen – ganz anders als in totalitären, rechtsverachtenden Staaten des 20. Jahrhunderts. „Der staatlichen Souveränität standen aber nur unzureichend entwickelte Abwehrrechte und – jedenfalls in der deutschen Tradition – kein Widerstandsrecht gegenüber.“
Das neue Buch von Prof. Siep legt wesentliche Forschungsergebnisse seines Cluster-Projektes A5 „Der Staat als weltliches Absolutes“ dar, in dem er die These vom absoluten Staat, der religiösen Inhalten und Autoritäten nicht unterzuordnen ist, sowohl historisch als auch in Bezug auf gegenwärtige Diskussionen untersuchte. Dazu wurden sowohl klassische Autoren des 16. bis 19. Jahrhunderts untersucht als auch gegenwärtige Diskussionen um religiöse und säkulare Begründungen der Menschenwürde. Das laufende Projekt A2-17 „Anthropologie, Autonomie und Individualismus als normative Grundlagen der Idee des Rechtsstaates“ schließt daran an. Es untersucht die liberalen Theorien des Rechtsstaates im Vormärz, vor allem des Staatswissenschaftlers Robert von Mohl (1799-1875), auf ihre philosophisch-anthropologische Begründung hin. (exc/vvm)