Wenn Religion anders gelebt als gelehrt wird

Studie zur Familienreligion zeigt überraschende Religionsvielfalt schon im Alten Israel

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Schon in der Antike ist Religion oft anders gelebt als gelehrt worden. Das ergab eine umfassende Studie aus dem Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster zur Familienreligion im Alten Israel. „Vor mehr als 2.500 Jahren wichen die Glaubensvorstellungen der Familien oft von der Theologie der Priester, Propheten und Gelehrten ab“, sagte der evangelische Theologe Prof. Dr. Rainer Albertz am Dienstag in Münster. „Speise-, Trank- und Räucheropfer, Gebete und Segenssprüche dienten dem Schutz der Familie und folgten dem Wunsch nach Wohlstand und reicher Nachkommenschaft. Mit der offiziellen Theologie hatten sie wenig zu tun.“

Das Nebeneinander der familiären und der offiziellen Ebene belegt nach den Worten des Forschers eine überraschende „religionsinterne Vielfalt“. Die religiöse Pluralität der Moderne stelle sich vor diesem Hintergrund als „uraltes Phänomen“ dar. „Wenn Eltern heute ihre Kinder nicht aus christlicher Überzeugung taufen lassen, sondern zum Schutz vor möglichen Gefahren, gleicht das der Familienreligion Israels. Im Zentrum der Gebete damaliger Familien standen nicht etwa die Rettung Israels aus Ägypten oder die Präsenz Gottes in Jerusalem, sondern die Erschaffung und der Schutz eines jeden durch Gott.“

Erstmals hat der Forscher gemeinsam mit dem evangelischen Theologen Prof. Dr. Rüdiger Schmitt das religiöse Leben in Familien und Haushalten des Alten Israel vom 11. bis 7. Jahrhundert vor Christus rekonstruiert. „Bei der Auswertung einer Fülle von archäologischen Kleinfunden und Texten aus Privathäusern sind wir auf die religiöse Vielfalt gestoßen. Die Familien griffen auf Elemente älterer oder benachbarter Religionen zurück, die sich von der offiziellen Theologie der eigenen Religion unterschieden“, so Prof. Schmitt. „Die Familienreligion hatte bis in das sechste Jahrhundert vor Christus hinein ihre eigenen Symbole. Zudem prägten die Frauen diese Frömmigkeit – anders als die offizielle Religion, die von Männern dominiert war.“

„Die Riten kreisten um das Wohlergehen der Familie“

Wie gering die Unterschiede zwischen der Familienreligion Israels und den Nachbarkulturen waren, zeigt die Auswertung von 3.000 hebräischen Namen auf Siegeln und Tonscherben, wie Prof. Albertz erläutert. 90 Prozent der Eltern gaben demnach ihren Kindern religiöse Namen wie Elisa („Mein Gott hat [mich] gerettet“) oder Joas („Jahwe ist [mein] Schutz“). Oft ging es in den Namen auch um die Geburt des Kindes, die als Gottes Schöpfungshandeln verstanden wurde. Ähnliche Inhalte weisen 1.400 untersuchte Namen aus Nachbarkulturen wie Phönizien, Syrien, Ammon und Moab auf. „Zwar wurden andere Götter angebetet, doch das von ihnen Erhoffte war fast identisch“, so der Forscher. „Dies ist umso erstaunlicher, als sich die Religion Israels auf der offiziellen Ebene scharf von den Religionen der Umwelt abgrenzte.“

Die Auswertung der archäologischen Befunde ließ spezielle Ritualgeräte wie Figurinen, Kultständer und Räuchergeräte erkennen. „Die Riten kreisten stets um das Wohlergehen der Familie“, so Prof. Schmitt. „Sie sollten Grundbedürfnisse wie Wohlstand, Sicherung der Ernährung, Nachkommenschaft, Stabilität und häuslich-nachbarschaftlichen Frieden sichern.“ Im Exil dienten die religiösen Praktiken später dem Erhalt der nationalen und religiösen Identität, wie die Studie ergab. Sie wirkten dann auch prägend auf die Gestaltung der nachexilischen offiziellen Religion ein.

Für die Rekonstruktion der Familienreligion im Alten Israel haben die Wissenschaftler in den vergangenen sechs Jahren zahlreiche Bibeltexte und eine Fülle an archäologischen, epigraphischen und ikonographischen Quellen ausgewertet. Die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Studie ist unter dem Titel „Family and Household Religion in Ancient Israel and the Levant“ im US-amerikanischen Eisenbrauns-Verlag erschienen. Das Thema Familienreligion hat sich erst in den vergangenen zehn Jahren als eigenständiger Forschungsgegenstand etabliert. Die Studie stellt die erste Gesamtschau dar und verbindet verschiedene Forschungsansätze miteinander.

Der evangelische Theologe Prof. Dr. Rainer Albertz ist Hauptantragsteller des Exzellenzclusters. Er leitet das Projekt C1 zum Thema „Distinktion und Integration in der Gründungsurkunde Israels“. Der evangelische Theologe Prof. Dr. Rüdiger Schmitt ist Nachwuchsgruppenleiter der Graduiertenschule und erforscht am Exzellenzcluster das Thema „Sakralisierung des Krieges im Alten Testament“. (vvm/bhe)


Hinweis: Rainer Albertz und Rüdiger Schmitt, Family and Household Religion in Ancient Israel and the Levant, 696 Seiten, Winona Lake, Indiana: Eisenbrauns, 2012.

Prof. Dr. Rainer Albertz und Prof. Dr. Rüdiger Schmitt
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