Katholische Kirche zwischen Hoffnung und Resignation
Sozialethikerin Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins im dpa-Interview
Zum Jahresende hat die Nachrichtenagentur dpa Sozialethikerin Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster über die Lage der katholischen Kirche befragt. Das Interview ist hier zu lesen:
Hinter der katholischen Kirche liegt ein bewegtes Jahr. Der Ruf nach Reformen wurde lauter, ein Dialogprozess darüber startete. Mit der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals versucht die Kirche, Vertrauen zurückzugewinnen. Papst Benedikt XVI. forderte, eine von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche könne sich besser auf ihren Auftrag konzentrieren. Welchen Weg soll die katholische Kirche in Deutschland einschlagen?
Ist es nicht ein Widerspruch, sich aus der Welt ein Stück weit zurückzuziehen und sich auf das Evangelium zu besinnen, andererseits aber offensiv um neue Gläubige zu werben? Muss die Kirche nicht vielmehr mitten rein ins Leben, sich modernisieren?
Heimbach-Steins: „Die Besinnung auf das Evangelium mit einem Rückzug aus der Welt zu assoziieren, ist paradox: Die Kirche kann ihren Auftrag, das Evangelium des Mensch gewordenen Gottes in der Gegenwart glaubhaft zu verkünden, gar nicht erfüllen, wenn sie sich nicht sympathisch und solidarisch auf die Lebenswelten der heutigen Menschen einlässt und an den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen beteiligt. Sie muss eine Sprache sprechen, die die Zeitgenossen verstehen, und die Fragen aufgreifen, die die Menschen heute wirklich bewegen. Sie muss zugleich widerständig sein und Partei ergreifen, wo christliche Grundoptionen in Gefahr sind, wo Menschen ausgegrenzt und Rechte der Benachteiligten verletzt werden. Wo der Mensch sich scheinbar selbst genügt und die Frage nach Sinn und Ziel des Lebens, die Sehnsucht nach Heil und Erlösung banalisiert oder ausgeblendet wird, muss sie Einspruch erheben und die biblische Botschaft von Gott, der für alle Menschen Heil will, selbstbewusst vertreten.“
Welche Bilanz ist für 2011 zu ziehen, in dem der Ruf nach Reformen vorerst abgeschmettert, aber ein Dialogprozess gestartet wurde?
Heimbach-Steins: „An der Basis der Gemeinden und Verbände, in der endlich auch wieder öffentlich geführten theologischen Diskussion, beim Dialog-Auftakt in Mannheim ist manches in Bewegung gekommen im Jahr 2011. Das Theologen-Memorandum hat daran - aller Kritik und aller Häme zum Trotz - keinen geringen Anteil. Ehrlicherweise muss man aber sagen: Die Bilanz ist gemischt. Das Vertrauen in einen Aufbruch, für den Mannheim steht, ist fragil. Die Erwartungen an einen offenen Dialog und die Bereitschaft, sich darauf wirklich ohne Vorbehalte einzulassen, sind sehr unterschiedlich ausgeprägt - sowohl in den Reihen der Bischöfe als auch bei den Menschen an der kirchlichen Basis. Es gibt kräftigen Gegenwind, und es ist nicht leicht, die Kräfte zu bündeln, die die Notwendigkeit tiefgreifender Reformen sehen und diese ernsthaft verwirklichen wollen.“
War es ein Jahr der Suche, der vergebenen Chancen, der Hoffnung, des Aufbruchs?
Heimbach-Steins: „Sowohl als auch. Ermutigende Aufbruchssignale wie das Treffen in Mannheim und die Suche nach Mitteln und Wegen, den Aufbruch nachhaltig zu unterstützen, stehen Rückschlägen gegenüber, die in einer innerlich zunehmend gespaltenen Kirche und einem ebenso uneinigen Episkopat kaum zu verhindern sind. Ob Hoffnung oder Resignation obsiegen werden, scheint mir noch nicht entschieden.“
Welche Herausforderungen gibt es 2012?
Heimbach-Steins: „Die Struktur des Papstbesuchs kann durchaus als Ansage für die kirchliche Agenda auch der nächsten Jahre gedeutet werden: Präsenz im öffentlichen Raum und in der politischen Öffentlichkeit, Intensivierung der ökumenischen Verständigung im Vorfeld des Reformationsjubiläums, Klärung der innerkirchlichen Konfliktfelder und Kommunikationsmuster. In allen diesen Feldern ist die katholische Kirche herausgefordert. Sie muss sich auf schärfer werdende gesellschaftliche Anfragen an den tradierten religionsrechtlichen Status der christlichen Kirchen in der religiös pluralen Öffentlichkeit einstellen und sich dazu positionieren, anstatt sich zunehmend in eine Defensivposition drängen zu lassen. Dabei wird sie die Felder ihres Engagements - caritative Einrichtungen, Bildungswesen und andere - unter dem doppelten Vorzeichen der christlichen Erkennbarkeit und der diakonischen Verantwortung überprüfen müssen.“
Welchen Stellenwert hat dabei der Katholikentag im Mai in Mannheim?
Heimbach-Steins: „Der bevorstehende Katholikentag und die zweite Dialogkonferenz in Mannheim werden Prüfsteine dafür sein: Das Miteinander-Reden darf nicht praktisch folgenlos bleiben. Es gibt diesbezüglich eine große Sensibilität an der kirchlichen Basis. Um Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, muss die Kirche den Weg einer menschenrechtlichen Orientierung auch in der inneren Erneuerung und im Umgang mit den Opfern früherer Versäumnisse, Fehler und Verbrechen konsequent gehen.“
(Interview: Stefan Kruse, dpa)