"Hinduismus und Buddhismus nicht so friedfertig wie angenommen"

Religionswissenschaftler Prof. Dr. Perry Schmidt-Leukel über vermeintlich tolerante Religionen

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Prof. Dr. Perry Schmidt-Leukel

Hinduismus und Buddhismus sind nach den Worten des Münsteraner Religionswissenschaftlers Prof. Dr. Perry Schmidt-Leukel nicht so tolerant und friedfertig wie oft angenommen. „Religiöse Gewalt ist nicht auf Juden, Muslime und Christen beschränkt“, sagte der Experte am Dienstagabend in der Ringvorlesung des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU). Zwischen Buddhisten und Hindus gebe es viele Spannungen, die sie nur in einem offenen und selbstkritischen Dialog überwinden könnten. „Den wird es aber nicht geben, solange sie sich in der Illusion wiegen, eigentlich kein Problem miteinander zu haben“, so Schmidt-Leukel.

Religionsfragen spielten laut dem Experten etwa im Bürgerkrieg zwischen hinduistischen Tamilen und buddhistischen Singhalesen in Sri Lanka durchaus eine wichtige Rolle. Die Verfassung des Inselstaates gebe dem Buddhismus eine Vorrangstellung. „Dieser Anspruch ist tief in der buddhistischen Tradition Sri Lankas verwurzelt, der zufolge es in Sri Lanka – zum Schutz des Buddhismus – nur buddhistische Regierungen geben darf.“ Mit diesem Argument werde auf buddhistischer Seite auch heute noch der Krieg gegen die mehrheitlich hinduistischen Tamilen gerechtfertigt. Auch in anderen südasiatischen Ländern lebten Buddhisten und Hindus keineswegs immer gleichberechtigt und friedlich zusammen. So habe beispielsweise die Verfassung in Nepal bis 2006 einseitig den Hinduismus als Staatsreligion begünstigt. Und in Indien, dem Ursprungsland beider Religionen, sei der Buddhismus völlig untergegangen. Erst seit den 50er-Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts gebe es dort wieder eine kleine, streng anti-hinduistisch orientierte buddhistische Minderheit, die sogenannten „Ambedkar-Buddhisten“. „Der Untergang des Buddhismus in Indien hängt auch mit den jahrhundertelangen Konflikten zwischen Hinduismus und Buddhismus zusammen, die sich zeitweise in blutigen Verfolgungen niederschlugen.“

Wechselseitige Feinseligkeiten seit den Ursprüngen

Das Verhältnis zwischen Hinduismus und Buddhismus ist seit seinen Ursprüngen von wechselseitigen Feindseligkeiten geprägt, wie der Religionswissenschaftler erläuterte. „Schon die ältesten buddhistischen Schriften kritisierten die brahmanische Religion, aus der sich der Hinduismus entwickelte, radikal. Sie lehnten die Autorität der alten religiösen Texte ebenso ab wie die hinduistischen Gottesvorstellungen, die traditionelle Lehre über die Natur des Selbst, die Opferung von Tieren, die Führungsrolle der Brahmanenkaste und das Kastensystem allgemein.“ Zur „langen, konfliktreichen und komplizierten Geschichte“ von Buddhismus und Hinduismus gehört laut Schmidt-Leukel aber auch, dass sich die beiden Religionen gegenseitig stark beeinflussten und einander „gewissen Wahrheitselemente“ zuerkannten. „Doch die jeweils eigene Überlegenheit stand nie zur Diskussion“, sagte der Religionswissenschaftler. Deswegen habe das gemeinsame Erbe oft nicht zu einer Verständigung zwischen den beiden Religionen geführt, sondern die Konflikte eher noch verschärft.

Prof. Dr. Perry Schmidt-Leukel leitet am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ das Forschungsprojekt A15 „Pluralismusfähigkeit der Religionen / Interreligiöse Theologie“. Die Ringvorlesung „Integration religiöser Vielfalt“ des Exzellenzclusters beleuchtet im Wintersemester aktuelle Fragen ebenso wie historische Beispiele von der Antike über das vormoderne China und Indien bis zum mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa. Beteiligt sind Historiker, Soziologen, Juristen, Judaisten, Theologen, Religionswissenschaftler und Ethnologen. Kommenden Dienstag, 16. November, spricht Historiker Prof. Dr. Michael Borgolte über „Juden, Christen und Muslime im Mittelalter“. Die Ringvorlesung beginnt wie immer um 18.15 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses (Domplatz 20-22). (arn)