„Es gibt nicht den einen Islam“
Politologen empfehlen, Suche nach einheitlichem Islam-Ansprechpartner aufzugeben
Die deutsche Politik sollte nach Einschätzung von Wissenschaftlern die Suche nach einem einheitlichen Ansprechpartner der Muslime aufgeben. „Dieser Wunsch entspringt den Vorstellungen von Verwaltungsstrukturen. Wir brauchen stattdessen Modelle, die den Pluralismus im Islam akzeptieren“, sagte der Duisburger Politikwissenschaftler Prof. Dr. Andreas Blätte am Freitag in Münster. Der münstersche Politologe Prof. Dr. Klaus Schubert fügte hinzu, „es gibt nicht ‚den einen Islam‘, sondern zahlreiche religiöse Strömungen. Erst wenn wir die Vielfalt akzeptieren, kommen wir in der Integrationspolitik weiter.“
Die Wissenschaftler äußerten sich auf einer Fachtagung „Zum Verhältnis von Politik und Islam“ des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU). Auch die Bochumer Religionswissenschaftlerin Raida Chbib hob die Bandbreite der islamischen Verbände und Gruppierungen hervor. Neben den im Koordinationsrat der Muslime (KRM) vereinigten großen Verbänden gebe es zahllose unabhängige, oft multiethnische Moscheegemeinden sowie autonome Projekte von Muslimen im sozialen Bereich. „Das muslimische Netzwerk ist viel facettenreicher als lange angenommen“, unterstrich die Expertin.
Gesellschaft muss zur Integration bereit sein
Innerhalb der Gemeinden sei zudem ein offenerer Umgang mit theologischen Fragen festzustellen, erläuterte Chbib unter Verweis auf Studien. Der Trend gehe zu einem intellektuelleren Umgang mit dem Koran und zu mehr Meinungsvielfalt. Die drei Forscher beklagten, dass die Muslime noch zu oft über einen Kamm geschoren würden. Dabei unterschieden sich etwa Sunniten, Schiiten und Aleviten stark in ihren Vorstellungen und Frömmigkeitsformen. Die meisten Politiker sähen daran vorbei, sagte Schubert. Als Ausnahme nannte er NRW-Integrationsminister Armin Laschet (CDU), der für einen differenzierteren Umgang mit den Muslimen eintrete als die meisten übrigen Landesminister. Das sei in der CDU allerdings nicht leicht zu vermitteln.
Dabei habe die Große Koalition bemerkenswerte Innovationen in der Integrationspolitik gebracht, erklärten Schubert und der Organisator der Tagung, Hendrik Meyer. „Mit der Einrichtung der Deutschen Islam Konferenz (DIK) und dem Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM) fand eine symbolische Einbeziehung des Islam in die bundesdeutsche Verbändelandschaft statt.“ Die Integration könne allerdings nicht allein durch eine politische Steuerung gelingen. Auch die Gesellschaft müsse dazu bereit sein. Schubert und Meyer sind am Exzellenzcluster mit dem Projekt „Der Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland: Integration durch politische Steuerung?“ beteiligt.
Weitere Themen der Tagung waren die öffentliche Wahrnehmung des Islam, Fragen der „Ghettoisierung“ von Muslimen in Städten und die Geschlechtergleichheit unter Muslimen. Die Veranstaltung fand in Kooperation mit dem Franz Hitze Haus in Münster und dem Institut für Politikwissenschaft der WWU statt. (vvm)