„Die Religion wird nicht verschwinden“
Religionssoziologe Prof. José Casanova aus Washington diskutierte mit Mitgliedern des Exzellenzclusters
Welche Rolle nimmt die Religion in der Moderne ein, und wie wird sie sich weiter entwickeln? Über diese Fragen diskutierten 25 Mitglieder des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ am Freitagabend mit einem ausgewiesenen Experten: Prof. Dr. José Casanova von der Georgetown University in Washington. „Die Religion wird nicht verschwinden“, betonte der renommierte Wissenschaftler, der dem Exzellenzcluster auch als Mitglied des Beirats verbunden ist. Eingeladen hatten ihn der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Ulrich Willems sowie die Cluster-Arbeitsgruppen „Multiple Modernities“, „Religionssoziologie“ und „Modernediskurse“.
Casanova sprach sich im Exzellenzcluster entschieden dafür aus, die europäische Sichtweise auf Religion zu überwinden: Religiös geprägte Gesellschaften dürften nicht als „weniger modern“ abgestempelt werden. Auch die Vorstellung, Religion sei in grundsätzlicher Weise mit Gewalt verbunden und müsse für eine freie und tolerante Gesellschaft überwunden werden, sei typisch europäisch und nicht auf andere Gesellschaften zu übertragen.
Religion entwickelt sich nach Ansicht des Religionssoziologen auch keineswegs zu einer unbedeutenden und rein privaten Angelegenheit. Im Gegenteil, viele Menschen weltweit seien sich erst in jüngster Zeit ihrer Religion bewusst geworden: „Die meisten Hindus bezeichnen sich erst seit der Globalisierung selbst als Hindus.“ Auch in Deutschland ist die Religion Casanova zufolge wieder wichtiger für die Selbstbeschreibung von gesellschaftlichen Gruppen geworden: „Vor vierzig Jahren gab es hier nur Türken, aber keine Muslime. Jetzt gibt es hier Muslime, aber keiner spricht mehr von Türken“, spitzte er seine Beobachtungen zu.
Die These vom Niedergang der Religion in der Moderne hatte der Wissenschaftler schon in seinem 1994 erschienenen Buch „Public religions in the modern world“ mit Nachdruck bestritten. Casanova führte dabei vor allem die die Entwicklung des Katholizismus in Spanien, Polen, Brasilien und den USA hin zu einer aktiven zivilgesellschaftlichen Kraft als Beispiel an. Das Buch gilt inzwischen als Klassiker der Religionssoziologie. (arn)