Von Pillen und Gebeten
Ethnologin Prof. Dr. Helene Basu zur Premiere ihres Dokumentarfilms über Geistbesessenheit in Indien
„Pillen und Gebete. Die Psychologie im Heiligenschrein“, ein Dokumentarfilm von Prof. Dr. Helene Basu über Geistbesessenheit in Indien, feiert am 26. April um 18 Uhr Premiere im Münsteraner Programmkino „Cinema“. Die Südasien-Expertin hat an den Gräbern muslimischer Heiliger mit der Kamera in der Hand beobachtet, wie traditionelle Heiler und Psychiater Kranke behandeln. Der Film entstand in ihrem Projekt am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU). Er ist deutsch untertitelt und kommt ohne Kommentar aus. Karten gibt es an der Kinokasse und im Vorverkauf unter 0251/30300.
Helene Basu forscht seit mehr als 20 Jahren in Indien und Pakistan. „Als Ursache psychischer Erkrankungen gelten dort häufig Schadenszauber und Besessenheit. Die Betroffenen suchen Hilfe an religiösen Zentren wie den Gräbern muslimischer Heiliger“, sagt die Ethnologin im Gespräch mit dem Zentrum für Wissenschaftskommunikation. Sie sei aber auch Psychiatern begegnet, die Geisteskrankheit auf Störungen der Gehirnfunktion zurückführen. Statt Gebeten und Trance-Ritualen böten sie an den heiligen Stätten Psychopharmaka an. „Mich interessiert, wie die unterschiedlichen Weltbilder aufeinandertreffen“, erläutert die Ethnologin.
In der Reihe ethnologischer Filme aus dem Cluster folgt am 10. Mai, ebenfalls um 18 Uhr im Cinema, die Uraufführung des Films „Fighting Spirits – Geister (be)kämpfen“ der Münsteraner Ethnologin Dr. Barbara Meier über Religion und Gewalt in Uganda.
INTERVIEW
Frau Professorin Basu, am Montag feiert im Cinema Ihr Dokumentarfilm „Pillen und Gebete“ über psychisch Kranke in Indien Premiere. Er entstand an einem islamischen Heiligenschrein. Wieso?
In Indien werden psychische Erkrankungen oft auf Schwarze Magie oder Besessenheit zurückgeführt; die Betroffenen gelten als Opfer von Schadenszauber. Übernatürliche Mächte haben aber immer zwei Seiten: Wer Schadenszauber übt, kann auch heilen; neben Dämonen können auch Götter von Menschen Besitz ergreifen. Die Betroffenen suchen daher Hilfe in religiösen Zentren – und dazu zählen die Gräber der Heiligen.
Wie sieht es an diesen heiligen Stätten aus?
Im Mittelpunkt steht das Grab des Heiligen, um das sich die Hilfesuchenden drängen. Da viele Menschen von Geistern gepeinigt werden, geht es laut und lebhaft zu. Die Kranken erleben eine Trance, manche schreien, manche wälzen sich auf dem Boden. Seit einiger Zeit gibt es dort aber auch eine psychiatrische Beratungsstelle, in der Vertreter der westlichen Schulmedizin Pillen verschreiben. Mich interessiert, wie die unterschiedlichen Vorstellungen von psychischen Krankheiten und ihrer Heilung aufeinandertreffen.
Ist die Psychiatrie in Indien auf dem Vormarsch?
Die indische Regierung und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fördern die Psychiatrie. Diese hat aber größere Chancen, den Menschen zu helfen, wenn sie sich mit der Religion verbündet, statt sie als Aberglauben zu bekämpfen. Deswegen sind manche psychiatrische Beratungsstellen direkt an den Tempeln und Schreinen angesiedelt. Die Ärzte widersprechen den traditionellen Deutungen der Krankheiten nicht. Damit gewinnen sie die Unterstützung der traditionellen Heiler und sind sehr erfolgreich.
Haben Sie auch mit den Anbietern Schwarzer Magie gesprochen?
Nein, leider nicht. Die mächtigen Heiler, zumeist Anhänger tantrischer Lehren, preisen ihre Dienste sehr offen über das Internet an. Dort steht dann eine Handynummer mit dem Hinweis: „Ich verfüge über Kräfte und mache alles.“ Mir gegenüber waren die Inserenten aber leider nicht besonders aufgeschlossen…
Macht Ihnen das alles keine Angst? Haben Sie sich in Indien bedroht gefühlt?
Nein, überhaupt nicht, obwohl ich oft allein unterwegs war. Einiges ist in seiner Fremdheit irritierend und ein wenig beunruhigend, aber ich hatte nie den Eindruck, ernsthaft in Gefahr zu sein.
Glauben Sie denn selbst an die Macht der Heiler und Magier?
Darum geht es nicht. Als Ethnologin bewerte ich nicht, was ich sehe, ich beschreibe es beziehungsweise versuche, andere Weltbilder zu verstehen. Ich entscheide auch nicht, ob die Hilfesuchenden besessen oder psychisch krank sind. Das einzig Wichtige ist für mich, zu begreifen, wie die Welt aus der Perspektive von Menschen in Indien aussieht. Es gibt verschiedene Vorstellungen von der Welt. Dabei geht es nicht darum, zu beurteilen, ob sie von unserem Standpunkt aus richtig oder falsch sind, sondern welche Bedeutung sie für jene haben, die damit ihr Leben leben. Auch unsere medizinischen Begriffe sind kulturell und historisch geprägt.
Aber ist es nicht unverantwortlich, was in den Tempeln geschieht? Es gibt Berichte von Patienten, die tagelang an Bäume gekettet werden. Können Sie als Wissenschaftlerin da wirklich unbeteiligt bleiben?
Auch in der Psychiatrie wurde Menschen häufig ihre Freiheit genommen, und Pillen haben manchmal schlimme Nebenwirkungen. Heilen heißt immer Kontrolle. Wenn Menschen festgebunden werden, dann erfolgt dies mitunter zu ihrem eigenen Schutz. Außerdem sind Kranke in den Schreinen selten allein, sondern werden von Verwandten begleitet, die gut auf sie aufpassen. 2001 gab es aber einen Unfall in einem rituellen Heilzentrum an einem muslimischen Heiligenschrein, bei dem einige Kranke sich nicht vor einem Feuer retten konnten. In der Folge gab es ein Urteil des höchsten indischen Gerichtshofes, demzufolge Heilorte nur noch mit einer staatlichen Lizenz betrieben werden sollten. Ein Ergebnis ist nun, dass Psychiater auch an Heiligenschreinen praktizieren.
Ist die Religion im Zeitalter der Globalisierung in Indien grundsätzlich auf dem Rückzug?
Das ist eine Frage, die ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ immer wieder diskutiere. Viele Angehörige der gebildeten Mittelschicht in den indischen Großstädten distanzieren sich von dem vermeintlich naiven Glauben der Landbevölkerung. Aber zur Moderne in Südasien gehört die Spitzentechnologie wie die Tradition, der Psychiater wie der traditionelle religiöse Heiler. Ein schönes Beispiel sind die Bollywood-Filme, in denen alles einträchtig nebeneinander existiert. Indien wird uns in Europa noch oft überraschen, weil wir unseren eigenen Weg in die Zukunft als viel zu selbstverständlich ansehen. (arn)