Von „Ruhe- und Schlafkämmerlein“ auf dem Friedhof
Germanistin entdeckt spannende Unterschiede zwischen katholischen und evangelischen Grabinschriften
Von überraschenden Erkenntnissen über Grabinschriften kann im Totenmonat November die Münsteraner Sprachhistorikerin Anna-Maria Balbach berichten. Erste Untersuchungen gäben Hinweise darauf, dass sich die Spaltung zwischen Katholiken und Protestanten nach der Reformation gerade in der Bestattungskultur deutlicher zeige als bisher vermutet, sagte die Nachwuchswissenschaftlerin des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) am Freitag vor dem Totensonntag. Die Konfessionen hätten sich zwischen 1500 und 1800 nicht zuletzt in der Sprache der Grabinschriften deutlich voneinander entfernt. „Veränderungen bei Inschriften und Namengebung lassen zum Teil eine bewusste Abgrenzung von Katholiken und Protestanten erkennen“, so Balbach. Sie arbeitet am Cluster im Rahmen des Projekts „Konfessionalisierung der Sprache in der Frühen Neuzeit?“ unter der Leitung des Germanisten Prof. Dr. Jürgen Macha und untersucht mehr als 1.000 Grabinschriften aus dem gemischtkonfessionellen Gebiet Bayerisch-Schwabens.
Den Wandel der Grabinschriften wies Balbach an einigen Kernmerkmalen nach. Auf protestantischen Steinen etwa in Augsburg fehle nach der Reformation die vormals überall verwendete Fürbitte für das eigene Seelenheil. „Diese Tendenz geht wohl auf Martin Luther zurück, der sich 1517 gegen den Ablasshandel und in der Folge ebenso gegen andere Praktiken zur menschlichen Erlangung des Seelenheils aussprach. Für ihn war allein Gottes Gnade ausschlaggebend.“ Die Inschriften weichen laut der Sprachhistorikerin außerdem in der so genannten Sterbeformel voneinander ab. Während die Katholiken den Tod mit der Formulierung „ist gestorben“ anzeigten, wählten die Protestanten Aussagen wie „ist entschlafen“ oder „ist verschieden“. Auch finde sich auf katholischen Inschriften durchgängig die Nennung des Namens oder des Todesdatums der Verstorbenen, die Protestanten hingegen rückten gegen 1650 von solchen persönlichen Angaben ab. Sie betitelten ihre Grabsteine familienbezogen mit „Ruhekämmerlein“ oder „Schlafkämmerlein“ und gäben nur den Familiennamen an.
Hinzu kommt laut Balbach als protestantisches Merkmal ein oft umfangreiches Bibelzitat, das auf katholischen Grabmälern kaum erscheint. „Man stößt hier auf zwei verschiedene Wortwahlen und Textformen innerhalb der christlichen Glaubensgemeinschaft“, stellte Balbach fest. Das Zusammenleben beider Konfessionen führte in Augsburg offenbar dazu, dass sich Katholiken und Protestanten im täglichen Aufeinandertreffen in der Stadt verstärkt voneinander abgrenzten. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich nach den Worten der Wissenschaftlerin bei der Namensgebung entdecken, die sich in den Inschriften widerspiegelt. Spätestens ab 1650 tauften Augsburger Katholiken ihre Söhne verstärkt auf den Namen Joseph, einen Namen, der in protestantischen Familien dagegen so gut wie gar nicht vergeben wurde. Dort seien neben Johann Georg vor allem alttestamentliche Namen beliebt gewesen. Bei katholischen Mädchen habe der Name Maria dominiert und über die Jahre sogar noch an Popularität gewonnen. Protestanten hätten indes Sybille oder Judith bevorzugt. Balbach resümierte: „Die Glaubensüberzeugung reichte offenbar weit und tiefgreifend in den Alltag des Lebens hinein.“ (log)