Vom orientalischen Kult zur Reichsreligion

Münsteraner Archäologen entdecken Neues über eine bedeutende Gottheit der Antike

News Archaeologie

Eine 2009 entdeckte Bronze-Darstellung des Iupiter Dolichenus aus römischer Zeit.

Über eine bedeutende Gottheit der Antike haben Münsteraner Archäologen neue Zeugnisse in der Türkei gefunden. Eine jüngst entdeckte Bronzeskulptur und eine Basaltstele etwa könnten darüber Aufschluss geben, wie der Gott Iupiter Dolichenus im 2. Jh. n. Chr. in kürzester Zeit fast in der ganzen römischen Welt Bedeutung erlangte und vom Lokalkult zur Reichsreligion wurde, teilten Prof. Dr. Engelbert Winter und Dr. Michael Blömer vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) am Mittwoch in Münster mit. Die Frühgeschichte des Kultes und seine altorientalischen Wurzeln lagen lange im Dunkeln. Die Archäologen versprechen sich von der Fülle an Material, das sie im Heiligtum von Doliche in der Südosttürkei geborgen haben, neue Erkenntnisse.

Vor allem Soldaten verehrten Iupiter Dolichenus als Wettergott, der Allmacht und Fruchtbarkeit verkörperte, wie Prof. Dr. Winter erläuterte. Sie hätten den Kult durch ihre militärischen Netzwerke und den häufigen Austausch von Truppen „rasant“ im ganzen Reich verbreitet. So stelle die im Zentralheiligtum entdeckte Bronze den Gott – anders als im altorientalischen Ursprungskult – in römischer Militärtracht dar. Solche Zeugnisse der „Verwestlichung“ hätten Archäologen bereits an Rhein und Donau geborgen, sagte Michael Blömer. Ihr überraschender Fund in der Heimat des Gottes zeige aber nun, dass der Kult nie den Bezug zur Ursprungsstätte verloren habe. „Römische Soldaten müssen zur Verehrung des Gottes immer wieder nach Doliche gekommen sein“, so Blömer.

News Basaltstele

Eine 2007 geborgene Basaltstele aus römischer Zeit, die den Gott mit seiner weiblichen Partnerin zeigt.

Die ebenfalls aus römischer Zeit stammende Basaltstele verstärkt die Einschätzung der Münsteraner Wissenschaftler. Sie stellt Iupiter Dolichenus, etwa mit der Hörnerkrone, in altorientalischer Weise dar. Erst bei genauerem Hinsehen zeigen Details wie die Priestertracht und die Altarform, dass es sich um keine frühe östliche Darstellung, sondern um ein Stück aus römischer Zeit handelt. Blömer: „Trotz der Globalisierung des Kultes bleibt Doliche ein konstitutives Zentrum. Das im Westen veränderte Gottesbild kommt als Rückfluss wieder zurück und trifft auf traditionelle Formen der Verehrung.“


Entwicklung von Lokalkulten zu Reichsreligionen

News Prof Dr Engelbert Winter

Prof. Dr. Engelbert Winter erforscht seit 2001 das Heiligtum des Gottes Iupiter Dolichenus in der Südosttürkei.

Die Forschungsstelle Asia Minor der WWU erforscht unter Leitung von Prof. Dr. Winter das Heiligtum des Gottes Iupiter Dolichenus seit 2001 mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Das Projekt C9 des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ ist mit dem Grabungsprojekt vernetzt und untersucht die Veränderung religiöser Kulte aus Kleinasien und Nordsyrien von der späten Eisenzeit bis ins 3. Jh. n. Chr. Schwerpunkt ist die Entwicklung von Lokalkulten zu Reichsreligionen.

Zuletzt war ein Team aus 24 Wissenschaftlern und Studenten aus Deutschland, Italien, England und der Türkei mit 22 türkischen Arbeitskräften für 6 Wochen zu Grabungen im Zentralheiligtum von Doliche, das bei der Stadt Gaziantep auf dem Gipfel des 1.200 Meter hohen Berges Dülük Baba Tepesi liegt. Obwohl große Teile der Kultstätte zerstört sind, konnte nach Angaben von Prof. Winter eine umfangreiche Bebauung von der Frühzeit, dem 8. bis 4. Jh. v. Chr., bis in die christlich geprägte Spätantike und das Mittelalter freigelegt werden. Zudem gebe es viele wichtige Einzelfunde aus der römischen Zeit, deren Auswertung nun anstehe. Im Februar planen die Wissenschaftler einen Workshop in Münster mit öffentlichem Abendvortrag zu Iupiter Dolichenus. (vvm)