Von einbalsamierten Mäusen und Stress vor Weihnachten
Historiker Prof. Dr. Althoff zur Kultur des Schenkens damals und heute
Warum sind vor Weihnachten alle Menschen im Geschenkestress? Worum geht es beim Schenken überhaupt – heute und in früheren Zeiten? Längst nicht immer handelte es sich um einen Akt der Nächstenliebe, weiß Historiker Prof. Dr. Gerd Althoff. „Gaben erwarten Gegengaben. Diese Vorstellung existiert in allen Zeiten und Kulturen“, so der Wissenschaftler am Freitag in Münster.
„Mit Geschenken konnte man sich Frieden, Unterstützung, Huld erkaufen!“ Ähnlich wie heute habe es im Mittelalter Luxusgeschenke gegeben, die als Statussymbol fungierten. Auch Originalität sei bei der Wahl der Gaben großgeschrieben worden, sagte der Mediävist. Er äußerte sich im Gespräch mit dem Zentrum für Wissenschaftskommunikation des Exzellenzclusters "Religion und Politik" der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU).
Interview
Herr Professor Althoff, warum setzen sich vor Weihnachten alle Leute unter Geschenke-Stress?
Mit Geschenken werden sehr wichtige Botschaften übermittelt: In ihnen manifestiert sich auf symbolische Weise, welchen Stellenwert der Beschenkte für uns hat, welche Beziehung wir zu ihm haben und weiterhin haben wollen. Ein Geschenk sollte deshalb originell und zugleich persönlich, nicht zu billig, aber auch nicht zu teuer sein. So etwas zu finden, kann schon Stress machen – nicht nur, aber auch zu Weihnachten.
Ist das Schenken denn ein Akt der puren Nächstenliebe?
Das kann es sicher sein. Doch wussten schon die Römer: do ut des; ich gebe, damit du gibst. Gaben erwarten Gegengaben. Diese Vorstellung existiert in allen Zeiten und Kulturen. Die Gegengabe konnte vielfältiger Art sein. Mit Geschenken konnte man sich Frieden, Unterstützung, Huld erkaufen! Wir sagen noch immer: Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft. Mit Geschenken unterstreicht man die Existenz von sozialen, aber auch geschäftlichen oder politischen Beziehungen. So etwas funktioniert nicht als Einbahnstraße, sondern fordert geradezu die Erwiderung. Allerdings wäre es eine Normverletzung, dies zu thematisieren. Die mit dem Schenken verbundene Erwartung wird nicht offen ausgesprochen.
Gab es in den Gesellschaften der Vormoderne auch schon gesellschaftliche Regeln für das Schenken?
Es gab eher noch striktere Regeln als heute, gegen die zu verstoßen nicht ratsam war. Geschenke hatten den Rang der Beschenkten zu beachten. Interessanterweise hatte der Ranghöhere üppiger zu schenken, als er selbst beschenkt wurde. Damit zeigte er seine überlegenen Möglichkeiten und seine Großzügigkeit. Gerne deklarierte man Leistungen, die erzwungen waren, als Geschenke. Jährliche Geschenke an den König waren nichts anderes als Abgaben oder Tribute. Die Fiktion der Freiwilligkeit wahrte jedoch das Gesicht der Schenker. Umgekehrt konnte man mit Geschenken auch provozieren: Dadurch, dass man zu viel oder zu wenig schenkte, missachtete man den Rang des Gegenübers. Der Zusammenhang von Rang und Geschenken führte überdies zu übertriebenem Wettbewerb, weil jeder am reichhaltigsten schenken und andere überbieten wollte. Davon profitierten dann manchmal die Armen.
Was schenkten sich die Menschen in früheren Zeiten?
Natürlich gab es ähnlich wie heute Luxusgeschenke, die als Statussymbol fungierten. Könige besaßen etwa einen ganzen Zoo mit seltenen Tieren, die sie geschenkt bekommen hatten. Viele heutige Nationalmuseen enthalten in ihrem Kernbestand Geschenke an die Könige oder Fürsten früherer Zeiten. Begehrt war, vergleichbar mit heute, alles das, was selten oder einzigartig war. Schon Karl der Große soll einen Bischof einmal damit düpiert haben, dass er ihm für teures Geld eine einbalsamierte Hausmaus als seltenes Tier aus dem Orient verkaufen ließ. Der Bischof gab ein Vermögen aus, um etwas zu besitzen, was sonst niemand besaß. Daran sollte man vielleicht denken, wenn der weihnachtliche Kaufrausch einsetzt. (vvm)