Vermittlungsakteure, -strukturen und -leistungen der aktuellen Internetöffentlichkeit
Journalismus im Internet
Zeitraum | Februar 2006 bis August 2008 |
Leitung | Prof. Dr. Christoph Neuberger |
Bearbeitung | Christian Nuernbergk M.A., Melanie Rischke M.A. |
Finanzierung | DFG-Sachmittelförderung |
Schlagworte | Internetöffentlichkeit, Öffentlichkeit, Journalismus, Internetjournalismus, Journalistische Recherche im Internet, Weblogs, Partizipation, Nutzerbeteiligung |
Abstract
(English Abstract below) Das Projekt „Journalismus im Internet“ beschäftigte sich explorativ mit der Frage, wie Leistungen der aktuellen Öffentlichkeit im Kontext des Internet erbracht werden, welche Strukturen sich dafür herausbilden und welche Akteure sie erbringen. Mit „Vermittlungsleistungen“ sind Beobachtungs-, Validierungs- und Orientierungsleistungen gemeint, die in den traditionellen Massenmedien Redaktionen mit beruflich tätigen und ausgebildeten Journalisten erbringen, die sich an ein disperses Massenpublikum richten.
Trotz des vereinfachten kommunikativen Zugangs zur Öffentlichkeit sind auch im Internet vermittelnde Instanzen zwischen Kommunikatoren und Rezipienten notwendig, welche die medienspezifischen Vermittlungsprobleme bearbeiten. Neben den Websites von Presse und Rundfunk, deren Angebote noch weitgehend massenmedial strukturiert sind, sind im Internet Angebotstypen wie Weblogs, Nutzerplattformen, (Nachrichten-)Suchmaschinen und Portale entstanden, die unter dem Gesichtspunkt ihres Beitrags zur Herstellung aktueller Öffentlichkeit bisher nicht vergleichend untersucht worden sind.
In zwei Richtungen setzte das Forschungsvorhaben an:
Wie expandieren traditionelle, d.h. professionell-redaktionelle Vermittlungsstrukturen ins Internet? Welche neuen, d.h. technischen und partizipativen Vermittlungsstrukturen bilden sich heraus?
In dem zweijährigen Projekt sind hierzu vorbereitend Leitfadeninterviews und eine qualitative Inhaltsanalyse von Metatexten über das Verhältnis von Weblogs und Journalismus durchgeführt worden. Im Rahmen einer Inhaltsanalyse wurden über 1.200 Internetangebote darauf geprüft, ob sie journalistische Leistungen erbringen. Die hierüber ermittelte Grundgesamtheit journalistischer Internetangebote bildete die Basis für weitere Untersuchungen auf der von Juni bis Oktober 2007 eine standardisierte Befragung der Anbieter durchgeführt wurde. Die als Vollerhebung angelegte Untersuchung bildete das empirische Kernstück des Projekts. Um auch Entwicklungen nachvollziehen zu können, sind dabei zum Teil frühere Studien fortgeschrieben worden.
Wichtige Ergebnisse:
Im Rahmen des Projekts wurden 183 Internetredaktionen aus Deutschland befragt. Damit haben sich 44% aller ermittelten Redaktionen an der Erhebung beteiligt. Die Forschungsergebnisse lassen vermuten, dass weder partizipative noch technische Angebote den beruflich ausgeübten Journalismus verdrängen.
„Ergänzung statt Konkurrenz“ – mit dieser Formel lassen sich die Ergebnisse der Studie zusammenfassen. Im Kernbereich des Internetjournalismus dominieren nach wie vor die Online-Angebote der traditionellen Massenmedien. Nur wenige partizipative Angebote erfüllen journalistische Mindestanforderungen. Weblogs und Nutzerplattformen stellen insgesamt lediglich 5% der als journalistisch identifizierten Internetangebote. Auch die Zahl der Nachrichtensuchmaschinen, Portale und weiteren Nur-Internetangebote ist hier noch überschaubar.
Weblogs und Redaktionen beobachten sich gegenseitig, sie übernehmen Themen und kommentieren einander. So ließ sich nachweisen, dass rund drei Viertel der Internetredaktionen in Weblogs recherchieren, sie suchen vor allem nach Themenideen. 99% der Redaktionen nutzen die Enzyklopädie Wikipedia, und zwar in erster Linie als Nachschlagewerk (83%). Ihre Zuverlässigkeit schätzen sie als hoch ein.
Die Studie ergab, dass viele Redaktionen mit den Möglichkeiten der Nutzerbeteiligung experimentieren. So gestatten zwei Fünftel der befragten Anbieter ihren Nutzern, redaktionelle Beiträge zu kommentieren. Auch „Web 2.0“-Anwendungen werden in das Angebot integriert: 55% der Angebote verfügen über Weblogs, Videoblogs oder Podcasts. Differenziert ermittelt wurde, in welchem Maße das technische Potenzial des Internets bei der Gestaltung der Internetangebote ausgeschöpft wird. Erforscht wurde auch, welche Konsequenzen die Nutzerbeteiligung hat.
Die Projektergebnisse zeigen, dass im Internet Marktgrenzen weiter gezogen werden als in den traditionellen Medien. Für Tageszeitungen, Publikumszeitschriften und Rundfunkanbieter stammen die wichtigsten Konkurrenten überwiegend nicht mehr aus dem Ursprungsmarkt. Auch im Internet setzen Qualitätsmedien die Maßstäbe: „Spiegel Online“ wird von 61% der Befragten als Vorbild für die eigene Arbeit angegeben.
Zwar droht der professionelle Journalismus durch die neuen Anbieter im Internet nicht ersetzt zu werden, dennoch hat er ein gravierendes Problem: Werbekunden und Leser wandern ins Internet ab. Journalistische Websites erzielen hohe Reichweiten, aber das Publikum zeigt bisher keine Zahlungsbereitschaft. Vor allem die Tageszeitungen spüren den Wettbewerbsdruck, der vom Internet ausgeht. Der Journalismus, diesen Schluss lassen die Ergebnisse zu, gerät dadurch in ein Dilemma: Einerseits muss er sich im Internet engagieren, andererseits fehlt ihm dort ein Geschäftsmodell.
Das im April 2009 veröffentlichte Buch „Journalismus im Internet“ (VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden; Weitere Buchinformationen) umfasst neben den Ergebnissen des DFG-Projekts auch Gastbeiträge zum Thema, darunter eine auf Internetjournalisten bezogene Sonderauswertung der repräsentativen Befragung „Journalismus in Deutschland II“.
In der Fachzeitschrift Media Perspektiven ist in der Ausgabe 04/2009 eine ausführlichere Zusammenfassung der Projektergebnisse erschienen.
Methode
Standardisierte Befragungen, quantitative und qualitative Inhaltsanalysen, Leitfadeninterviews
Publikationen
- Neuberger, Christoph/Nuernbergk, Christian/Rischke, Melanie (2009): Journalismus im Internet: Zwischen Profession, Partizipation und Technik. Ergebnisse eines DFG-Forschungsprojekts. In: Media Perspektiven. H. 4, S. 174-188. Online-Dokument
- Neuberger, Christoph/Nuernbergk, Christian/Rischke, Melanie (Hg.) (2009): Journalismus im Internet: Profession – Partizipation – Technisierung. Wiesbaden: VS Verlag. Verlagsinformationen
- Neuberger, Christoph/Nuernbergk, Christian/Rischke, Melanie (2008): Konkurrenz, Komplementarität, Integration? Zum Beziehungsgeflecht zwischen Weblogs, Wikipedia und Journalismus – Ergebnisse einer Befragung von Nachrichtenredaktionen. In: Raabe, Johannes et al. (Hg.): Medien und Kommunikation in der Wissensgesellschaft. Konstanz: UVK (=Schriftenreihe der DGPUK), S. 105-117.
- Neuberger, Christoph/Nuernbergk, Christian/Rischke, Melanie (2008): Der Leser: Unser neuer Mitarbeiter. In: Message, Internationale Zeitschrift für Journalismus. H. 1, S. 10-16.
- Neuberger, Christoph/Nuernbergk, Christian/Rischke, Melanie (2007): Weblogs und Journalismus: Konkurrenz, Ergänzung oder Integration? Eine Forschungssynopse zum Wandel der Öffentlichkeit im Internet. In: Media Perspektiven. H. 2, S. 96-112. Online-Dokument