Projekte

DFG-Forschungsgruppenprojekt: Referenzielle Praxis im Wandel: Das Pronomen man in der Diachronie des Deutschen

Logo der Forschungsgruppe Praktiken der Personenreferenz
© Forschungsgruppe Praktiken der Personenreferenz

Das auf vier Jahre ausgelegte Projekt ist Teil der DFG-geförderten  Forschungsgruppe Praktiken der Personenreferenz: Personal-, Indefinit- und Demonstrativpronomen im Gebrauch an den Universitäten Hamburg, Münster und Duisburg-Essen, die an synchronen und diachronen, mündlichen und schriftlichen, interaktionalen und multimodalen Daten Funktionen von Pronomen im Gebrauch herausarbeitet.

 

Antje Dammel, Lena Christoffer, Laura Duve, Nele Zohren
Projektteam: Antje Dammel, Lena Christoffer, Laura Duve, Nele Zohren
© Lena Christoffer

Gegenstand des Projekts

Das historisch ausgerichtete Teilprojekt unserer Arbeitsgruppe geht in einem gebrauchsbasierten Ansatz zum einen diachron den Spuren der Entstehung des Pronomens man aus generischen Nominalphrasen mit Mann/Mensch nach, die sich im Alt- und Mittelhochdeutschen noch finden. Es  ermittelt Konstruktionsmuster und Funktionsspektren historischer man-Verwendungen im Zusammenspiel mit ihren Konstruktionsalternativen (z.B. anderen Pronomen und Passivformen). Zum anderen untersucht das Projekt retrochron, wie sich heutige nicht-prototypische Verwendungen von man, vor allem die selbstreferenzielle mit Sprecherbezug, entwickelt haben können.

Weil historische Funktionsspektren von Pronomen nur auf der Basis schriftlicher Texte zugänglich sind und sich in Textgattungen je spezifische Gebrauchsweisen verfestigen, kann nur ein breiter Vergleich verschiedener Gattungen ein differenziertes Bild liefern. Dazu werden neben den Referenzkorpora der älteren Sprachstufen des Deutschen auch Samples von Texten monologischer, wissens- und informationsvermittelnder Gattungen (Pesttraktate, Bäderkunden und Zeitungen) und dialogbezogener Gattungen (Komödien, Sprachlehrwerke und Verhörprotokolle) des 16.-18. Jh. einbezogen. Nur so können gattungsspezifische und gattungsübergreifende Verwendungen des Pronomens und seiner Alternativen ermittelt werden.

Beispiel Sprachlehrwerk: Johannes Angelus von Sumaran: Das Newe Sprachbuch, München 1620/1621 (Digitalisat Bayerische Staatsbibliothek: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11281230?page=416,417)
Beispiel Sprachlehrwerk: Johannes Angelus von Sumaran: Das Newe Sprachbuch, München 1620/1621 (Digitalisat Bayerische Staatsbibliothek: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11281230?page=416,417)
© Bayerische Staatsbibliothek

DFG-Projekt: Grammatik und Soziopragmatik inoffizieller Personennamen in Dialekten des Deutschen

  • 05/2018 bis 12/2021
  • Mitarbeiterin: Theresa Schweden, M.A.
  • Studentische Hilfskräfte: Katja Burger, Eva Groh und Philipp Dondrup, Lukas Theobald

 

Gegenstand des Projekts

In den meisten kleineren Dorfgemeinschaften werden zur Referenz auf ortsansässige Personen dialektal variierende inoffizielle Personennamen mit vorangestellten Familiennamen (s Bachmanns Anna, de Schmidte Karl) gebraucht. Bisher wurden diese Referenzformen nur punktuell und vielmehr unter grammatischen als unter soziopragmatischen Gesichtspunkten untersucht. Sie erweisen sich jedoch sowohl aus sprachhistorischer als auch aus soziolinguistischer Perspektive interessant. So stellen sie z.B. die letzte Rückzugsdomäne des synthetischen Genitivs in den deutschen Dialekten dar und entwickeln ihre eigene durch die Strukturen in ländlichen Ortsnetzwerken geprägte Pragmatik.

Theresa Schweden
| | Fokusgruppenkorpus "Referenz auf Personen im Dialekt"
Interview-1018333 1920
© pixabay

Forschungsdaten auf dem Publikationsserver miami

Nach Projektabschluss ist aus den Forschungsdaten ein Korpus aus 12 anonymisierten Fokusgruppendiskussionen hervorgegangen. Die können über den Publikationsserver miami der ULB als txt- und PDF/A-Dateien heruntergeladen und als Datenbasis für sprachwissenschaftliche Untersuchungen verwendet werden. Die Fokusgruppen stellten eine der direkten Erhebungsmethoden dar. Da die Gewährspersonen darin gemeinsam Positionen zu Verwendungskontexten verschiedener Namenvarianten im Dialekt aushandeln, weisen die Daten eine hohe Güte auf. Sie eignen sich unter anderem dazu, gruppeninterne Kommunikation und das Konstruieren von Narrativen zum gruppenspezifischen Sprachgebrauch in gesprochener Sprache zu untersuchen. 

  • Publikationen

    Aus dem Projekt sind folgende Publikationen hervorgegangen, die den Forschungsgegenstand aus verschiedenen Perspektiven beleuchten:

    Dammel, Antje/Roolfs, Friedel /Casemir, Kirstin (2021): „Personennamen in Be­we­gung.“ In: Beiträge zur Namenforschung 56 (1-2), 1–16.

    Dammel, Antje/Schweden, Theresa  (2022): Fokusgruppenkorpus „Personenreferenz Im Dialekt“. [Electronic ed.]. https://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hbz:6-14019710094; DOI: https://doi.org/10.17879/14019719070.

    Schweden, Theresa (2019): „Möllers Karl, Schulten Mama und Schmidtenbuur: Sozio­pragmatik der Personenreferenz im Niederdeutschen synchron und diachron.“ In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 86 (2), 134–154.

    Schweden, Theresa (2021a): „S (Bachmanns) Anna. Die Rolle der Herkunftsfamilie in Referenz und Namengebung in dörflichen Kommunikationsgemeinschaften.“ Lin­guistik Online 107 (2): Pragmatik der Genuszuweisung, 41–59.

    Schweden, Theresa (2021b): „Zwischen Toponym und Anthroponym. Ein topo­no­masti­scher Ansatz zur Analyse dörflicher Hausnamen als geographisches Re­ferenz­system.“ In: Dräger, Kathrin/Heuser, Rita/Prinz, Michael (Hgg.): Topo­ny­me. Stand­ortbestimmung und Perspektiven (Germanistische Linguistik 326). Berlin/Boston: De Gruyter, 109–128.

    Schweden, Theresa (angenommen a): „de Stoiber Edmund und Fischers Helene. In­offi­zielle Personennamen im Spannungsfeld von Privatheit und Öffentlichkeit.“ Lingu­istik Online (Sonderheft Bewegte Namen im Varietätenspektrum und im Sprach­kontakt).

    Schweden, Theresa (angenommen b): Personenreferenz im Dialekt. Grammatik und Pragmatik inoffizieller Personennamen in Dialekten des Deutschen. (Reihe Empirische Linguistik/Empirical Linguistics). Berlin/Boston: De Gruyter.

    Schweden, Theresa (angenommen c): „Müllersch is alles, was dazugehört. Familienkollektiva in deutschen Dialekten.“ Beiträge zur Namenforschung 57.

    Weitere Publikationen sind in Vorbereitung und werden  ergänzt.

  • Abschlussworkshop „Referenz auf Personen in Variation(en)“

    Am 15./16. Oktober 2021 fand am Germanistischen Institut der WWU ein Projektabschlussworkshop statt, der über den Tellerrand des Projektthemas auf weitere Mittel zur Personenreferenz sowie auf andere Sprachen und Varietäten blickte. So rückten auch Forschungsfelder über Onomastik und Dialektologie hinaus in den Fokus.  Die Beiträge erscheinen 2023 in der Zeitschrift „Beiträge zur Namenforschung" (BNF Bd. 58, H. 2-3).

    Hier geht es zur Tagungswebseite.

  • Zusammenfassung der Ergebnisse

    Was haben wir untersucht?

    Zwischen 2018 und 2021 hat das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Forschungsprojekt untersucht, wie man in den deutschen Dialekten und im Niederdeutschen über dritte Personen spricht. Denn dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten.

    Neben dem Vornamen ((der) Peter) und dem vollständigen amtlichen Namen ((der) Peter Müller) kann man auch die umgekehrte Reihenfolge „Familienname Vorname“ ((der) Müller Peter, (der) Müllers Peter, s Müllers Peter) verwenden. In kleineren Dörfern spielen außerdem sogenannte Hausnamen (manchmal auch Hofnamen oder Spitznamen genannt) eine Rolle. Dabei handelt es sich um inoffizielle Namen für ein Gebäude und die darin lebende Familie.

    Besonders hat uns interessiert, über wen man in welchen Situationen wie spricht. Bei welchen Personen reicht es aus, lediglich den Vornamen zu verwenden? Von welchen Faktoren hängt es beispielsweise ab, ob man den Familiennamen vor dem Vornamen nennt? Wann kann man den Familiennamen hingegen nicht vor dem Vornamen nennen? Und warum gehen Hausnamen nach und nach verloren?

    Außerdem ist uns beim Zusammentragen verschiedener bereits durchgeführter Studien aus einzelnen Dialekten aufgefallen, dass es bei denjenigen Namen, bei denen der Familienname zuerst genannt wird, kleine, aber sprachwissenschaftlich bedeutsame Unterschiede gibt. Mancherorts sagt man Müllers Peter, woanders hingegen s Müllers Peter, wieder woanders der Müllers Peter. Bisher hat es sich noch niemand zur Aufgabe gemacht, diese Formen umfassend für das bundesdeutsche Gebiet zu beschreiben und entsprechende Karten zu erstellen. Genau hier setzt unser Projekt an.

    Wie sind wir vorgegangen?

    Um diese unterschiedlichen Erkenntnisinteressen und Forschungsfragen zu verfolgen, haben wir ganz verschiedene Untersuchungsmethoden ausgewählt, die sich gegenseitig ergänzen und insgesamt genommen sehr verlässliche Daten liefern. Einige dieser Methoden, wie Fra-gebögen und Übersetzungsaufgaben, haben sich bereits in der klassischen Dialektforschung etabliert. Andere wiederrum entstammen Nachbardisziplinen wie der qualitativen Sozialforschung. Glücklicherweise untersuchen mehr und mehr sprachwissenschaftliche Forschungs-projekte aktuell Phänomene aus der sogenannten Dialektpragmatik. Das ist die Wissenschaft, die sich mit Verwendungskontexten und kommunikativen Funktionen bestimmter dialektaler Eigenarten befasst. So konnten zum Beispiel Methoden aus dem Mainzer Projekt Das Anna und ihr Hund übernommen werden.

    Karte 1: Erhebungsorte des Projekts
    © Schweden

    Um die verschiedenen sprachlichen Formen umfassend in einer Karte darzustellen, haben wir auf einen klassischen Fragebogen zurückgegriffen, der digital verbreitet wurde. Um je-doch tiefer in einige Dialekte einzutauchen, sind wir in insgesamt dreizehn deutsche Orte in verschiedenen Dialektgebieten gereist und haben dort DialektsprecherInnen befragt. Ausgewählt haben wir dafür Gruppen von 5-9 Personen – die meisten im Alter von 45-90 Jahren –, die in ihrem Wohnort gut vernetzt und vertraut im Umgang miteinander sind. Auch hier haben wir ver-schiedenen Methoden bedient – von Übersetzungen über aufgezeichnete Tischgespräche bis hin zu einem abschließenden Gruppeninterview, einer sogenannten Fokusgruppe. Im Anschluss an die Erhebungen wurden von diesen Interviews sogenannte Transkripte erstellt, das heißt, sie wurden für die sprachwissenschaftliche Auswertung verschriftet und mit wichtigen Informationen, wie Akzent und Gesprächspausen, versehen. Karte 1 zeigt alle Erhebungsorte des Projekts.

    Im Projekt haben wir Gerichtsprotokolle aus dem späten 16. und frühen 17. Jahrhundert untersucht, mit denen wir zeigen konnten, dass diese Strukturen ursprünglich gar nicht mit Namen auftraten. Stattdessen fand sich statt des Familiennamens eine Berufsbezeichnung und statt des Vornamens eine Verwandtschaftsbezeichnung, so etwa Else, Peter Müller des Schneiders Tochter. Im Gegenwartsdeutschen sind solche sprachlichen Strukturen verschwunden und halten sich nur noch bei Namen hartnäckig. Dort machen sie die Herkunft einer Person kenntlich: (d)(e)s Müllers Frieda 'Frieda, die aus der Familie Müller stammt'. Sie werden meist für weibliche Personen verwendet, die mittlerweile einen neuen Heiratsnamen tragen. Andere Attribute, die den Besitzer anzeigen, werden mittlerweile meist dem Substantiv nachgestellt (die Frau des Müllers) oder durch andere sprachliche Formen ersetzt (die Frau vom Müller oder umgangssprachlicher: dem Müller seine Frau).

    Neben -s gibt es auch andere Genitivendungen am Familiennamen, die heute außer bei Namen nicht mehr gebräuchlich sind, so zum Beispiel -en (Schulzen Peter) oder eine Kombination aus -en und -s: Schulzens Peter.

    Karte 2: Verschiedene Typen mit der Reihenfolge „Familienname Vorname“, Kartenerstellung mit QGIS und Natural Earth
    © Theresa Schweden, Natural Earth

    Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick
    Verbreitung – Wo sagt man eigentlich was?

    Werfen wir zuerst einen Blick auf das große Ganze und schauen uns an, was der Online-Fragebogen über die Verbreitung der verschiedenen sprachlichen Formen ergeben hat. Ge-teilte Kreise zeigen an, dass jeweils zwei oder mehr Formen in einem Ortspunkt verwendet wurden. Das leere Areal im (Nord-)Osten kommt dadurch zustande, dass sich dort nur wenige TeilnehmerInnen akquirieren ließen.


    Karte 2 lässt darauf schließen, dass die einzelnen Typen klare, wenn auch verschieden große Areale bilden. Die gelben Punkte (der Müller Peter, de Müller Peter oder d Müller Peter) weisen einen süddeutschen Typ aus. Dieser tritt immer zusammen mit dem bestimmten Artikel der, dem, den oder die auf. Das kleine rote Areal im Südwesten, das sich bis ins westliche Mitteldeutschland zieht, dokumentiert den wenig verbreiteten Typ (d)(e)s Müllers Peter (in Baden-Württemberg und der Schweiz ds Müllers Peter). Er geht auf ehemalige Genitive zurück, die ursprünglich meist die Funktion erfüllten, Ehefrauen oder Töchter einem Haus-vorstand zuzuordnen. Beim Artikel (e)s handelt es sich um eine lautlich verschliffene Form des Genitivartikels des. Das -s am Ende des Familiennamens ist dementsprechend aus einer Genitivendung (wie bei Vaters Hut/Goethes Faust) entstanden.

    Karte 3: Bezeichnungen für ganze Familien, Kartenerstellung mit QGIS und NaturalEarth
    © Theresa Schweden, Natural Earth

    Wenden wir uns nun Karte 3 zu: Deckungsgleich zum Areal für den Typ s Müllers Peter finden wir auch die Bezeichnung s Müllers für ganze Familien. Wie die Mainzer Wissenschaftlerinnen Damaris Nübling und Mirjam Schmuck bereits erforscht haben, handelt es sich dabei um eine Verkürzung der Genitivkonstruktionen, die von den SprachnutzerInnen irgendwann als Mehrzahl interpretiert wurden: s Müllers sind in Urlaub gefahren. Die entscheidende sprachliche Brücke, durch die diese Umdeutung stattfinden konnte, war hier wohl das Substantiv Haus, das in vorindustrieller Zeit noch sowohl ein Gebäude als auch alle Personen umfasste, die darin lebten: Ich geh in des Müllers Haus > Ich geh in s Müllers.

    Die grünen Punkte auf Karte 2 zeigen den Typ Müllers Peter. Auch er geht auf einen ehemaligen Genitiv zurück, der jedoch weiter im Norden ohne einen Artikel vorm Substantiv gebraucht wurde. Dieser Typ ist in Deutschland am weitesten verbreitet, ähnlich der Bezeichnung Müllers für die Mitglieder einer Familie. Die Form hat eine besonders große Reichweite und wird auch im Standarddeutschen verwendet (siehe grüne Punkte auf Karte 3). In Westmitteldeutschland, in einigen sogenannten moselfränkischen und ripuarischen Dialekten, wird übrigens bei Familiennamen, die auf -er enden, statt des -s am Ende des Familien-namens ein -sch gesprochen. Hier heißt es also (der) Müllersch/Müllisch Peter.

    Die blauen Punkte auf Karte 2 (der Müllers Peter) finden sich schließlich dort, wo die anderen drei Typen sich überlappen, nämlich in Süd- und Mitteldeutschland. Es ist anzunehmen, dass sich dort Mischformen herausgebildet haben. Diese führen die ehemalige Genitivendung, haben aber keinen Artikel im Genitiv, sondern einen bestimmten Artikel im Nominativ, Dativ oder Akkusativ (der/dem/den). Daraus resultieren schließlich auch Bezeichnungen wie die Müllers für ganze Familien (blaue Punkte auf Karte 3).

    In den meisten Ortsdialekten finden wir lediglich einen der Typen mit der Reihenfolge „Familienname Vorname“. Doch in manchen Orten, vor allem im südwestdeutschen Raum, können SprecherInnen zwischen zwei Formen wählen. In einer Sprache kommt es selten vor, dass mehrere Ausdrücke für dieselbe Sache grundlos nebeneinander bestehen. In solchen Fällen gibt es meist kleine, aber entscheidende Unterschiede im Gebrauch. Genau diese galt es in den Erhebungen in den einzelnen Orten herauszuarbeiten.

    Verwendungskontexte – Und wann genau sagt man was? Den Familiennamen oder doch den Vornamen zuerst?

    In allen Erhebungsorten haben sich einige allgemeingültige Bedingungen gezeigt, unter de-nen der Familienname vor dem Vornamen genannt wird. Eine entscheidende Rolle spielt dabei, über wen, aber auch mit wem man spricht. Sowohl die GesprächspartnerInnen als auch die Personen, über die gesprochen wird, müssen ortsgebunden sein, den ortstypischen Dialekt oder das ortstypische Platt sprechen und aktiv am Ortsgeschehen teilnehmen.

    Beim Kriterium Ortsgebundenheit setzen nun die feinen Unterschiede zwischen den ver-schiedenen sprachlichen Formen ein: Der Typ der Müller Peter kann für jede ortsansässige Person verwendet werden und stellt vor allem im Bayern sogar die ganz gewöhnliche Form dar, um über Personen zu sprechen. Dagegen sind die oben vorgestellten ehemaligen Genitive (Müllers Peter und s Müllers Peter) lediglich Personen vorbehalten, die aus einer seit mehreren Generationen ortsgebundene Familie stammen. Diese Formen legen den Fokus auf die Herkunftsfamilie und können deshalb auch nur mit dem Geburtsnamen einer Person verwendet werden, nicht mit einem nachträglich erworbenen Heiratsnamen. So kann eine Petra Schmidt geborene Müller nur (s) Müllers Petra oder die Schmidt(e) Petra sein, nicht aber (s) Schmidte Petra. Eine Person in ihre Herkunftsfamilie einzuordnen, ist bei diesen sprachlichen Strukturen also wichtiger, als sie als Individuum erkennbar zu machen.

    Regelmäßiger sozialer Kontakt und eine Sichtbarkeit innerhalb des Ortes sind außerdem ent-scheidende Voraussetzungen für die Reihenfolge „Familienname Vorname“. Es ist dazu nicht in allen Orten nötig, dass man diese Personen duzt. Es reicht aus, wenn man sie kennt oder lediglich ihrer Herkunftsfamilie zuordnen kann. Umgekehrt werden zugezogenen und oft wenig integrierten Personen diese sprachlichen Formen nicht zuteil. Hier wird meistens die Reihenfolge (der) Peter Müller gewählt. Ist eine Person umgekehrt aus dem Ort weggezogen, wird ihr der Status des Gruppenmitglieds üblicherweise nicht abgesprochen, solange sie in einer ortsgebundenen Familie verortet werden kann. Sie wird demnach nicht anders benannt.

    Reihenfolge von Vor- und Familienname nach Einwohnerzahl
    © Schweden

    Sind Orte nicht allzu groß, kennen sich Personen untereinander und wissen sich innerhalb des Ortes einzuordnen. Entsprechend ergaben die Antworten aus der Onlineumfrage, dass ab einer Einwohnerzahl von 15.000-20.000 Personen (ab der Größe, die das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung als „Kleine Mittelstadt“ bezeichnet) die Häufigkeit der Ver-wendung vorangestellter Familiennamen drastisch abnimmt.

    Die Grafik veranschaulicht, wie viele TeilnehmerInnen, die aus Orten bis 20.000 Einwohner stammen, in ihren Antworten die Reihenfolge „Familienname Vorname“ verwendet haben (grüne Linie) und wie viele stattdessen lediglich von „Vorname Familienname“ Gebrauch gemacht haben (rote Linie). Auf der X-Achse sind die Einwohnerzahlen der jeweiligen Wohn- oder Heimatorte dargestellt. Dabei fällt zum einen auf, dass die Personen, die den Fragebogen bearbeitet haben, mehrheitlich aus kleineren Dörfern stammen. Zum anderen ist an den gestrichelten bereinigten Trendlinien erkennbar, dass bei einer Einwohnerzahl von ca. 16.000 ein Wendepunkt erreicht ist, ab dem weniger Fragebögen mit der Reihenfolge „Familienname Vorname“ eingegangen sind als solche mit „Vorname Familienname“.

    Andere Möglichkeiten, über Personen zu sprechen

    Zuletzt stellt sich noch die Frage nach der Nutzung von Hausnamen. Diese können als inoffiziellste Formen betrachtet werden, mit denen man sich auf Personen beziehen kann. Sie werden nur innerhalb der entsprechenden Ortsgrenzen verwendet, manchmal auch in Nachbarorten. Würde eine Sprecherin einen Hausnamen dort benutzen, wo niemand eine Person dem entsprechenden Haus zuordnen kann, könnte ihr Gesprächspartner diese Personen gar nicht erst identifizieren.

    Hausnamen leiten sich aus Vornamen oder Berufen der ursprünglichen HausbewohnerInnen ab. Zum Beispiel könnte ein Hausname (s) Hannese lauten oder aber auch (s) Schmidts oder – als Kombination aus beiden – (s) Schmidthannese. Hausnamen können in kleinen Dörfern noch heute Personen und Orte benennen. Oben haben wir bereits gesehen, dass das Substantiv Haus in vorindustrieller Zeit eine Einheit aus Gebäude und Personen bezeichnete. Haus-namen zeugen noch heute von diesen historischen Sozialstrukturen.

    Werden Personen über ihr Haus identifiziert, werden Hausnamen ebenfalls vor dem Vornamen genannt, zum Beispiel s Schmidthannese Peter (der offiziell beispielsweise Peter Müller heißt). Weil Hausnamen nie schriftlich fixiert wurden, werden sie jedoch sukzessive abgebaut und jüngere OrtsbewohnerInnen kennen und nutzen Sie bereits nicht mehr. Dies variiert jedoch von Ort zu Ort stark, je nachdem wie viele ortsgebundene Personen dort noch leben und wie viel Zuzug von außen stattfindet.

    Reihenfolge von Vor- und Familienname nach Altersgruppen
    © Schweden

    Ein Abbau kann im Übrigen auch für die Reihenfolge „Familienname Vorname“ verzeichnet werden. Sie wird für und von jüngeren Personen seltener oder gar nicht verwendet. Dies ergaben nicht nur die Erhebungen in den einzelnen Orten, sondern auch die Ergebnisse aus dem Online-Fragebogen. Aus der Grafik geht hervor, dass es bei der Gruppe der 1981-1990-Geborenen einen entscheidenden Wendepunkt gibt: Später geborene Personen reichten häufiger Antworten ein, in denen sie nur „Vorname Familienname“ verwendeten, als solche mit „Familienname Vorname“. Insgesamt waren die meisten TeilnehmerInnen zwischen 51 und 60 Jahren.

    Lediglich mit dem Vornamen bezieht man sich auf Personen, die allen am Gespräch Beteiligten sehr nahestehen, wie Familienmitglieder oder enge Freunde.
    Jeder der untersuchten Orte hat selbstverständlich seine eigenen Besonderheiten. In manchen Gemeinden wird hauptsächlich Dialekt oder Platt gesprochen, in anderen selten oder ledig-lich in bestimmten Situationen. In einigen duzen sich alle EinwohnerInnen, andere sind da-gegen anonymer. In Ballungsregionen gibt es regen Zuzug, andere Dörfer hingegen werden kontinuierlich kleiner. All das spielt in die Art und Weise hinein, wie über Personen gesprochen wird, und wie sich ein Ortsdialekt verändert.

    Resümee: Welche Schlüsse lassen sich aus unserer Forschung ziehen?

    Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass in den verschiedenen Dialekten von vielen inei-nanderspielenden Faktoren abhängt, wie man über Personen spricht. Das Inventar an sprach-lichen Formen, auf das SprecherInnen heute zurückgreifen, ist maßgeblich durch die histori-schen, aber auch die aktuellen sozialen Strukturen der untersuchten Orte geprägt.

    Weil Hausnamen und die Reihenfolge „Familienname Vorname“ sich im Abbau befinden und in vielen Dialekten nur noch bei der älteren, ortsgebundenen Generation in Gebrauch sind, hat unser Forschungsprojekt eine der letzten Gelegenheiten ergriffen, diese sprachlichen Phänomene zu erheben und wissenschaftlich zu untersuchen.

    Dieser kurze Artikel konnte selbstverständlich nicht alle umfangreichen Projektergebnisse einbeziehen. Wie so oft in der Wissenschaft eröffnet das ergiebige Datenmaterial ungeahnte Perspektiven und wirft viele neue Forschungsfragen auf, die es zu beantworten gilt.

    Wissenschaftliche Literatur zum Thema

    • Bach, Adolf (1952): „Die Verbindung von Ruf- und Familiennamen in den deutschen, insbesondere den rheinischen Mundarten.“ In: Rheinische Vierteljahrsblätter 17, 66–88.

    • Berchtold, Simone/Dammel, Antje (2014): „Kombinatorik von Artikel, Ruf- und Familiennamen in Varietäten des Deutschen.“ In: Friedhelm Debus/Heuser, Rita/Nübling, Damaris (Hgg.), Linguistik der Familiennamen. (Germanistische Linguistik 225-227). Hildesheim u.a.: Olms, 49–280.
    • Cornelissen, Georg (2013): „Terstegen vom Stegerhof. Hofnamen und bäuerliche Familiennamen am Niederrhein.“ In: Cornelissen, Georg/Frankewitz, Stefan (Hgg.): Bauern, Höfe und deren Namen am Niederrhein. Geldrisches Archiv. Band 13. Goch: B.o.s.s.-Dr.-und-Medien, 29–68. 
    • Cornelissen, Georg (2014): „Genitivierungen bei vorangestellten Familiennamen im Kleverländischen. Rezente und diachrone Befunde.“ In: Debus, Friedhelm/Heuser, Rita/Nübling, Damaris (Hgg.): Linguistik der Familiennamen. (Germanistische Linguistik. 225-227), Hildesheim u.a.: Olms, 281–296. 
    • Cornelissen, Georg (2016): „'mit doep- unnd toname'? Personennamen als Teil einer Sprachgeschichte des Dorfes – mit Beispielen vom Niederrhein.“ In: Roolfs, Friedel Helga (Hg.): Bäuerliche Familiennamen in Westfalen. Münster: Aschendorff, 71–81. 
    • Cornelissen, Georg/Hänel, Dagmar (Hgg.) (2013): Leben im niederrheinischen Dorf. Das Beispiel Hünxe. Köln: Greven Verlag.
    • Flores Flores, W. A. (2014): Zur Grammatik der Familiennamen im Luxemburgischen. Kombinationen mit Rufnamen, Bildung des Plurals und Movierung der Familiennamen. In: In: Debus, Friedhelm/Heuser, Rita/Nübling, Damaris (Hgg.): Linguistik der Familiennamen. (Germanistische Linguistik. 225-227), Hildesheim u.a.: Olms, 297–319
    • Krier, Fernande (2014): Flektierte Familiennamen im Luxemburgischen. Dialectologia et Geolinguistica 22 (1): 5–15.
    • Kunze, Konrad/Paul, Hans-Joachim (1999): dtv-Atlas Namenkunde. Vor- und Familiennamen im deutschen Sprachgebiet. (dtv. Band 3234). München: Deutscher Taschenbuch-Verlag.
    • Nübling, Damaris/Schmuck, Mirjam (2010): „Die Entstehung des s-Plurals bei Eigennamen als Reanalyse vom Kasus- zum Numerusmarker. Evidenzen aus der deutschen und niederländischen Dialektologie.“ Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 77 (2): 145–182.
    • Ramge, Hans (2017): Hessische Familiennamen. Namengeschichten, Erklärungen, Verbreitungen. Heidelberg u.a.: verlag regionalkultur.
    • Ramge, Hans (2020): „Conczels Gredechen und Kommelhenne.“ In: Bopp, Dominika u.a. (Hgg.): Wörter - Zeichen der Ver-änderung. (Studia linguistica Germanica. Band 137). Berlin/Boston: De Gruyter, 293–318.
    • Roolfs, Friedel Helga (2016): „Anna Bergmanns und Maria Witten. Parentale Femininmovierung von Familiennamen in westfälischen Varietäten.“ In: Roolfs, Friedel Helga (Hg.): Bäuerliche Familiennamen in Westfalen. Münster: Aschendorff Verlag, 57–69.
    • Weiß, Helmut (2014): „Really weird subjects. The syntax of family names in Bavarian.“ In: Grewendorf, Günther/Weiß, Helmut (Hgg.): Bavarian syntax. Contributions to the theory of syntax. (Linguistik aktuell. Bd.. 220). Amsterdam: John Benjamins, 203–222.