Meine Promotion am Germanistischen Institut
Ich heiße Jie und komme aus der Volksrepublik China, aus Xi’an, das ist die Hauptstadt der Provinz Shaanxi. Ich habe an der Fremdsprachenuniversität Xi’an (XISU) Germanistik studiert und dort meinen Masterabschluss erworben. Im Jahr 2011 war Frau Prof. Dr. Martina Wagner-Egelhaaf als Gastdozentin an meiner Universität und hat sehr interessante Vorlesung und Seminare über die deutsche Literatur angeboten. Ich war in dieser Zeit mit meiner Masterarbeit über den österreichischen Schriftsteller Peter Handke beschäftigt. Deshalb wollte ich über diesen Autor weiter forschen und habe Frau Wagner-Egelhaaf gefragt, ob ich mich bei ihr promovieren kann. Es hat geklappt und ich habe mich dann für ein chinesisches Promotionsstipendium beworben. So bin ich nach Münster gekommen und konnte mit meiner Promotion beginnen. Vor meiner Zeit in Deutschland kannte ich Münster und seine Universität nicht, aber als ich hier ankam, hat mir die Stadt sofort gefallen. Auch heute finde ich die Stadt immer noch schön und es war eine gute Entscheidung, nach Münster zu kommen.
Auch mit der Wahl meines Promotionsthemas bin ich sehr zufrieden. Das Thema meiner Arbeit hießt: Peter Handke. Eine Poetik des Alltäglichen. Peter Handke ist ein bedeutender Autor der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Zugleich wird er aber auch kontrovers diskutiert. Sein Publikum schätzt ihn einerseits sehr, ihn treffen jedoch auch immer wieder Vorwürfe von Kritikerinnen und Kritikern.
Vor meiner Promotion habe ich mich auch schon im Rahmen meiner Masterarbeit mit Peter Handke befasst, damals mit seinem ersten Roman „Die Hornissen“ , die ich in meiner Dissertation vertiefen wollte. 2012 hatte Handke den „Versuch über den Stillen Ort“ geschrieben. Als stillen Ort meinte Handke die Toilette, für die Literatur ist das schon ein ungewöhnliches Thema. Das erregte mein Interesse und ich wollte weitere Erkenntnisse über Handke’s „Versuch“-Serie, über seine Schreibweise, gewinnen. Im 2013 ist ein letzter Roman aus dieser Serie – „Versuch über den Pilznarren“ erschienen.
Handke ist sehr populär in China und das Interesse der chinesischen Leser an seinen Texten ist groß. Einige seiner Werke wurden auch bereits ins Chinesische übersetzt. Außerdem gab es schon Tagungen und Lehrveranstaltungen über Handke an meiner Universität. Chinesische Literaturwissenschaftler betrachten Handke als wichtigen Vertreter der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Nachdem ich nun in Deutschland meine Promotion verfasst habe und mich in diesem Zusammenhang intensiv mit der Forschung zu Handke auseinandergesetzt habe, habe ich mir ein sehr viel differenzierteres Bild von ihm angeeignet und viele verschiedene Facetten und Richtungen der Handke-Forschung kennengelernt. Ich hoffe, dass meine Erkenntnisse nun die chinesische Forschung zu Peter Handke erweitern und bereichern können.
Rückblickend muss ich natürlich auch festhalten, dass es anfangs sehr schwierig für mich war, in Deutschland zu leben und zu arbeiten. Obwohl ich damals bereits sieben Jahre Germanistik in China studiert hatte, hatte ich bei meiner Ankunft in Münster noch Probleme mit der deutschen Umgangssprache, der Schriftsprache und den Besonderheiten der deutschen Kultur. Die größten Probleme bereitete mir das wissenschaftliche Schreiben und Arbeiten, welches sich in China und Deutschland durchaus unterscheidet. Um sich in einem völlig neuen Land einzuleben und wohlzufühlen, muss man offen sein, und bereit sein, andere Perspektiven einzunehmen.
Beim Erwerb wissenschaftlicher Fertigkeiten hat mir in erster Linie meine Doktormutter, Frau Prof. Dr. Wagner-Egelhaaf, sehr geholfen. Sie hat mich bei Problemen stets unterstützt und mir dadurch sowohl wissenschaftlich als auch mental sehr geholfen und motiviert. Darüber hinaus habe ich auch verschiedene literaturwissenschaftliche Veranstaltungen am Germanistischen Institut der Universität Münster besucht, um mit den wissenschaftlichen Arbeitstechniken vertraut zu werden. Des Weiteren besuchte ich Doktoranden- und Forschungskolloquien, um in Diskussionen zu kommen und neue Anregungen zu erhalten. Ferner habe ich noch eine Tandempartnerin an der Uni, die mir sehr dabei geholfen hat, mein Deutsch zu verbessern und mich in Münster einzuleben.
Während meiner Zeit in Münster habe ich mich sehr auf meine Promotion konzentriert und somit viel Zeit in der Uni verbracht. Aber ich habe natürlich auch einige deutsche und chinesische Freunde gefunden. Wenn wir uns verabredet haben, haben wir oft zusammen gekocht, sind ins Kino gegangen oder auch mal zusammen verreist. Auch bei den Freizeitaktivitäten habe ich so meine Deutschkenntnisse enorm verbessert.
Neben den Veranstaltungen und Lehrenden am Germanistischen Institut bietet auch das International Office der Uni Münster und das dazugehörige internationale Zentrum „Die Brücke“ eine gute Anlaufstelle für internationale Studierende. Insbesondere bei Fragen rund um die Organisation des Studiums und Lebens in Münster, wird man hier gut beraten.
Obwohl ich also von vielen Seiten Unterstützung bekam, wäre es schön gewesen, wenn es mehr unterstützende Angebote im Bereich des wissenschaftlichen Arbeitens für internationale Promovierende gegeben hätte. Auch bei einigen organisatorischen Dingen wäre etwas mehr Unterstützung wünschenswert gewesen. So hat es mich beispielsweise sehr viel Zeit gekostet, eine Wohnung zu finden und mich in der Stadt zu orientieren. Um möglichst viel Kontakt zu anderen Studierenden zu bekommen, wollte ich in einem internationalen Studentenwohnheim wohnen. Bis ich dort aber ein Appartement bekam, musste ich ein Semester lang warten. In China ist das Studentenleben diesbezüglich ganz anders organisiert und die Studierenden müssen sich nicht selbst um eine Wohnung kümmern, weshalb mir und anderen chinesischen Studierenden die Situation hier zunächst sehr fremd war. Das Erledigen alltäglicher Dinge hat sehr viel Zeit und Kraft gekostet, was meine Forschung anfangs durchaus beeinträchtigt hat.
Nun ist meine Zeit in Münster schon fast vorbei und ich werde bald in meine Heimat zurückkehren. Dort werde ich zunächst an der XISU als Sprachassistentin arbeiten und die chinesischen Studierenden im Bereich Deutsch als Fremdsprache (DaF) unterrichten. Weil ich aber meine Promotion in der modernen deutschen Literatur geschrieben habe und mich dementsprechend sehr dafür interessiere, hoffe ich, eine Dozentenstelle im Bereich der deutschen Gegenwartsliteratur zu bekommen.
Um in China eine wissenschaftliche Laufbahn an der Universität einschlagen zu können, muss man promovieren. Dementsprechend eröffnet eine Promotion gute Berufsperspektiven. Man sollte sich allerdings gut überlegen, ob man so viel Zeit in eine Promotion investieren möchte. Eine Promotion in Deutschland ist ganz anders als das Studium oder eine Promotion in China. Man muss sehr selbständig arbeiten und die deutschen (wissenschaftlichen) Konventionen kennenlernen, was viel Zeit und Kraft kostet. Als ausländische Promovierende muss man viel mehr lernen und arbeiten als die deutschen Promovierenden, die in ihrem gewohnten Umfeld sind. Eine Promotion in Deutschland beinhaltet dementsprechend natürlich viel Stress und einige Schwierigkeiten, die man vorher nicht einschätzen kann. Darauf sollte man vorbereitet sein und einen starken Willen haben. Im Nachhinein zahlt es sich aus, wie viel man gelernt hat. Ich habe in Deutschland, einem zuvor relativ fremden Land für mich, nicht nur sehr viel für meine berufliche Zukunft, sondern auch für meine persönliche Lebenserfahrung gelernt. Die Zeit in Münster ist für mich eine unvergessliche Erfahrung. Außerdem sind auch die beruflichen Perspektiven und Chancen in China mit einem deutschen Promotionsabschluss sehr gut.