Abstracts zu den Vorträgen
Maila Seiferheld-Dahlke
„Küern, dat kann keiner mehr, dat is vorbi“ – Faktoren des Rückgangs des Münsterländer Platt
Die Studien zur niederdeutschen Sprache der letzten Jahrzehnte kommen allesamt zur gleichen Diagnose: Das Plattdeutsche ist eine moribunde Sprache. Der Rückgang der niederdeutschen Dialekte in Norddeutschland vollzieht sich in solch einem Ausmaße, dass von einem bevorstehenden ‚Sprachentod‘ die Rede sein muss. In den letzten dreißig Jahren hat sich die Anzahl der Plattdeutschsprecher*innen halbiert. In Nordrhein-Westfalen geben nur noch 5% an, sehr gut Platt sprechen zu können. Im Münsterland kann schon fast von einer monoglossischen Situation die Rede sein, ‚reines Plattdeutsch‘ spricht hier kaum noch jemand. Diese Entwicklungen scheinen in der Mitte des 20. Jahrhunderts begonnen zu haben, ein Sprachwechsel fand in den Familien statt: Das Niederdeutsche wurde durch den hochdeutschen (Sub-)Standard als Alltagssprache ersetzt, kompetente Plattsprecher entschieden sich gegen die Transmission ihres Dialekts an die nächste Generation. Offensichtlich ist aktuell der letztmögliche Zeitpunkt, um Dialektsprecher nach der Motivation zu fragen für die Nicht-Weitergabe ihres Dialekts als Erstsprache. Die im Rahmen des Projektes Dialektatlas Mittleres Westdeutschland erhobenen subjektiven Spracheinstellungsdaten sollen diesbezüglich für die Region des Münsterländer Platt ausgewertet werden.
Sharon Lohse
Westmünsterländisch im Generationenvergleich – eine Apparent Time-Untersuchung
Obwohl das Westmünsterland als „relativ dialektfest“ (Smits 2011: 33) gilt, ist selbst diese Region vom starken Rückgang der Dialektkompetenz nicht ausgenommen (vgl. Kremer & Van Caeneghem 2007). U. a. der Funktionsverlust der Mundart führte dazu, dass Dialekte als Kommunikationssprache vom Hochdeutschen immer mehr verdrängt wurden und weiter werden. Besonders betroffen ist der niederdeutsche Sprachraum. Der Vormarsch des Standarddeutschen beschleunigt den Prozess des dialektalen Sprachwandels auf mehreren Ebenen (vgl. Smits 2011). So werden nicht nur standardsprachliche lexikalische Elemente, sondern auch grammatische Strukturen in den Dialekt transferiert. Um dies konkreter zu untersuchen, werden im vorliegenden Beitrag jeweils acht Gewährspersonen zweier Generationen miteinander verglichen und erste Ergebnisse präsentiert. Die Datengrundlage bilden Aufnahmen aus vier Orten im Kreis Borken, welche im Rahmen des Dialektatlas Mittleres Westdeutschland aufgezeichnet wurden.
Sarina Langer
Processing of English-German Translation Ambiguity – Evidence from Primed Translation Recognition
It is a predominant phenomenon across languages that a word in one language may have more than one corresponding translation in another. Research has found that translation ambiguity has a negative effect on the speed and accuracy of language processing in both beginning L2 learners and proficient bilinguals. The present study builds on Eddington and Tokowicz (2013) and investigates translation ambiguity in the backward translation direction from L2 English to L1 German, aiming at gaining a better understanding of how semantic similarity and dominance of possible German translations affect the processing of translation-ambiguous English words. Twenty-one students of English (M = 22.5 years) and twenty-one students from other faculties (M = 23.7 years) were shown English-German word pairs and had to decide whether the two words were translation equivalents. Based on previous research and models of bilingual memory, processing was expected to be faster and more accurate for unambiguous words compared to translation-ambiguous words and for dominant translations compared to subordinate ones. Moreover, it was predicted that semantic similarity of translations and a high L2 proficiency would facilitate the processing of translation ambiguity.
Eike Deeken
Zur Markierung von Polaritätskontrasten im Deutschen
Uns stehen als Gesprächspartner*innen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, um Polarität zu kodieren. Im Deutschen findet die Markierung präferiert mit Verumfokus statt (vgl. Turco et al. 2014: 102f). Ziel des Vortrags ist es, ein Forschungsdesign zu präsentieren, im Zuge dessen Sprecher*innen innerhalb eines Map-Task Dialogs auf negativ polare Fragen eines Confederate Speaker reagieren (vgl. Andorno & Crocco 2018), um Antworten bzw. Korrekturen mit Verumfokus oder affirmativer Partikel zu elizitieren.
Miri Maya Riewe
Namenwahl und Namenwirkung oraler Kontrazeptiva
Ein orales Kontrazeptivum ist ein durch den Mund zu verabreichendes empfängnisverhütendes Mittel, im Volksmund bekannt als die ‚Pille’. Und obwohl es sich dabei um ein verschreibungspflichtiges Medikament handelt, werden durch einen Großteil der Produktnamen für Antibabypillen Assoziationen wie Schönheit oder Weiblichkeit hervorgerufen.
Produktnamen für Antibabypillen scheinen demnach viele der Funktionen gewöhnlicher Produktnamen nach Janich (2013: 65) zu erfüllen wie zum Beispiel das Werben. Jener Funktion lässt sich eine erhebliche Bedeutung beimessen, da das Werben mit verschreibungspflichtigen Medikamenten durch das Heilmittelwerbegesetz beschränkt wird und lediglich die Werbung bei Ärzten, die mit jenen Arzneimitteln erlaubterweise Handel treiben, legal ist (§ 10 Absatz 1 HWG).
Aus dieser Beschränkung ergibt sich das Forschungsinteresse, herauszufinden in welcher Weise die Produktnamen oraler Kontrazeptiva das Verschreibungsverhalten der Gynäkologen*innen beeinflussen und wie die einzelnen Produktnamen auf die Verwenderinnen wirken.
Paul Meuleneers
Twitter und die Debatte um 219a – eine frame-semantische Untersuchung
Insbesondere durch ein für die ARD entstandenes „Framing-Manual“ von Elisabeth Wehling sind die Begriffe Frame bzw. vielmehr Framing seit einiger Zeit in Debatten in Deutschland weit verbreitet. Frame-Konzepte gibt es in verschiedenen Fachdisziplinen. Gemeinsam ist den Ansätzen aber, dass Frames als Ordnungsstrukturen von Wissen begriffen werden. Verstehen ist dabei frame-dependent, die Verwendung von Frames in der Kommunikation unvermeidbar, da sie konstitutiv für die Kognition sind (Musolff 2019: 3).
In diesen vorrangig kognitiven Strukturen können auch Ideologien Niederschlag finden. Daher erscheint es sowohl interessant als auch relevant, die in politischen Diskursen aufgerufenen Frames zu untersuchen. Im Vortrag soll diese Untersuchung anhand von in Tweets zur Debatte um den Paragrafen §219a bzw. allgemeiner zum Schwangerschaftsabbruch aufgerufenen Frames vorgenommen werden.
Isabell Gneiser
Vorwurfsaktivitäten in der WhatsApp Kommunikation
Die Handy Kommunikation bietet uns die Möglichkeit über eine Entfernung hinweg, Kontakt zu Personen aufzunehmen und somit Bekanntschaften oder soziale Beziehungen zu pflegen. Diese Möglichkeit wird zunehmend genutzt und Informationen können ohne großen zeitlichen Aufwand kommuniziert werden. Aufgrund der Spontanität und der geringen Planungszeit der Nachrichten machen wir uns häufig keine Gedanken darüber, wie diese von unserem Gesprächspartner aufgefasst und interpretiert werden. Das Ziel dieser Untersuchung ist, aufzuzeigen, wie wir unserem Gesprächspartner in der Kommunikation über WhatsApp Fehlverhalten vorwerfen und das vergangene Verhalten des Gesprächspartners in diesem Zuge als negativ bewerten. Der Blick auf einige Stichproben authentischer Kommunikation über das Messenger System WhatsApp zeigt, dass mehr oder weniger verfestigte Muster existieren, die auf keine Willkürlichkeit der Formulierung in den spontanen Äußerungen hinweisen. Die Vorwurfskonstruktionen werden gattungsanalytisch auf diese interaktiven Handlungsmuster hin analysiert, wobei die Form und jeweilige Funktion dargestellt wird. Durch die Analyse lassen sich kommunikative Verfahren und verfestigte sprachliche Handlungsmuster von Vorwurfsaktivitäten aufdecken, ohne dass die Vorwurfsaktivität als solche explizit erwähnt werden muss.
Helena Budde
„Alexa, erzähl mir einen Witz“ – Die Interaktion zwischen Menschen und natürlichsprachlichen Assistenzsystemen
Natürlichsprachliche Assistenzsysteme verfügen über extrem viele Skills, die den User*innen nützlich sein sollen. Von der Terminkoordination, bis hin zu Bestellungen, die direkt online über das Assistenzsystem getätigt werden können - die Einsatzgebiete scheinen schier endlos zu sein. Eine Besonderheit stellt dabei die Interaktion zwischen dem Menschen und dem System durch natürlich gesprochene Sprache dar.
Wie kann das Assistenzsystem die User*innen verstehen? Und was passiert, wenn es das nicht tut? Wie also gelingt es User*innen erfolgreich mit einem artifiziellen System zu interagieren? Um diesen Fragen nachzugehen, muss die Linguistik sich der Thematik theoretisch vom Feld der Gesprächsanalyse her annähern. Außerdem sind Untersuchungen zum User*innenverhalten anzustellen, um die Interaktion zwischen Menschen und Assistenzsystemen fruchtbar zu analysieren.
Verena Scheperjans
Zur Interaktion mit Künstlicher Intelligenz
Die technische Entwicklung von künstlichen Intelligenzen lässt auch in der Linguistik viele neue Fragen aufkommen. Denn durch den Wechsel der Form eines Kommunikationspartners, wie es bei Interaktion mit KI zu finden ist, entsteht eine neue Interaktionssituation, die bei der Analyse der Interaktion berücksichtigt werden muss.
Deppermann beschreibt, dass alle „Arten von Kompetenzen, die für die Konstitution interaktiven Handelns von Belang sind, (…) in Form von Wissensbeständen organisiert“ sind. Dieses Wissen ist ein durch kognitive Prozesse erzeugtes soziales Konstrukt, das aktiv im Gespräch produziert wird. (Deppermann 2018: 104-107). Die Konversationsanalyse kann die Strukturen dieser Wissensorganisation aufdecken und beschreiben. Durch einen solchen Konversationsanalytischen Zugang soll im Vortrag anhand von authentischen Daten die Frage diskutiert werden, inwieweit der Austausch eines Kommunikationspartners durch eine künstliche Intelligenz das interaktive Handeln beeinflusst, inwieweit KI wissen und verstehen kann und ob dies Einfluss auf die Definition der MMI als ‚Interaktion‘ hat.
Alina Kleinschmidt
Variationen im Pronomengebrauch und Umsetzungsmöglichkeiten für Sprachassistenten
Bei einer aufmerksamen Beobachtung sprachlicher Interaktionen kann man Gebrauchsstandards entdecken, die sich deutlich von der in der Schule gelernten ‚klassischen‘ Grammatik abheben. Dabei zeigt sich beispielsweise, dass wir unseren Pronomengebrauch in Bezug auf verschiedene Aspekte variieren können. Infolge dieser Beobachtung wird auf der Basis authentischer Gesprächsdaten eine Kollektionsanalyse durchgeführt, die als Gebrauchstoken Personalpronomen (Sg. f.), also Varianten von oder für sie, untersucht. Den grammatiktheoretischen Rahmen für die Analyse bildet die Interaktionale Konstruktionsgrammatik nach der Grammatik als aus Routinen entstandene Abstraktion verstanden wird (vgl. Imo & Lanwer 2019: 64).
Aber wenn wir unsere Kommunikationsweise auch in der Interaktion mit künstlichen Intelligenzen beibehalten, welche Möglichkeiten haben beispielsweise Sprachassistenten einen variierenden Pronomengebrauch zu ‚verstehen‘. Vor dem Hintergrund dieser Fragestellung werden verschiedene computerlinguistische Herangehensweisen und Systemarchitekturen skizziert, die das ‚Verstehen‘ mündlicher, spontansprachlicher Äußerungen ermöglichen sollen.