© Stadtarchiv Münster/Peter Worm

Stadtarchiv Münster

Das Stadtarchiv Münster ist im Speicher 8 der sogenannten „Speicherstadt“ untergebracht. Die Geschichte der Speicherstadt geht auf eine zielgerichtete Kriegsvorbereitung der Nationalsozialisten zurück: Die Heeresstandortverwaltung suchte damals ein verkehrstechnisch günstig gelegenes großes Gelände für den Bau eines Heeresverpflegungsamtes. In Coerde fand man durch die Lage an der Bahnlinie Münster-Rheine optimale Voraussetzungen. Kurz nach der Planung 1936 begannen die Bauarbeiten, die über drei Jahre dauern sollten. Die so entstandene Militärstadt verpflegte die die in Norddeutschland stationierten Garnisonen der Wehrmacht. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde sie von 1945 bis 1994 von der britischen Armee unter dem Namen Winterbourne Barracks als Kaserne genutzt. 1998 kaufte die Westfälisch-Lippische Vermögensverwaltungsgesellschaft, die Immobilientochter des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe die Anlage und baute sie für die zivile Nutzung um. Nach der Konversion gehörte das Stadtarchiv 2003 zu den ersten Mietern. Mit dem Umzug an den neuen Standort konnten die dringend benötigten Arbeits- und Magazinflächen gewonnen und langfristiges Entwicklungspotential gesichert werden. Den Nutzern steht seitdem ein moderner Lesesaal zur Verfügung. Seit 2016 verfügt das Stadtarchiv im Speicher 14 über weitere Lagerkapazitäten für Bestände des Zwischen- und Endarchivs. Im April 2022 kann ein weiteres, knapp 400m² großes Magazin im LWL-Zentralmagazin, das auch auf dem Gelände der Speicherstadt liegt, in Betrieb genommen werden.

Adolf Brenneke schreibt in seiner posthum erschienenen Archivkunde von 1953 über die Entstehung des Archivwesens, dass nach den geistlichen Institutionen „am frühesten die Städte für ihre Archivalien Sorge getragen“ hätten, denn „auf die sorgfältige Verwahrung dieser Dokumente, bei denen es sich um die eigentlichen Rechtsgrundlagen der Stadt handelte […] musste allein schon der Selbsterhaltungstrieb dringen“. Neben den Rechtstiteln, die vom Landesherrn oder dem Kaiser zugebilligt worden waren, enthielten die Stadtarchive Unterlagen zu anderen Städten und Städtebünden, zur innerstädtischen Organisation, den Stadtfinanzen und gegebenenfalls zur Rechtsprechung. Zudem waren sie Orte freiwilliger Gerichtsbarkeit, bei denen die Bürger*innen zum Beispiel Testamente hinterlegen konnten.

In Münster wurden die mittelalterlichen Bestände durch zwei Ereignisse dezimiert: Ein Großteil der frühen Zeugnisse gerät 1121 bei einer Belagerung der Stadt durch den Sachsenherzog Lothar von Supplinburg in Brand und wird vernichtet. Im Jahr 1534 verbrennen die Täufer gezielt fast alle Akten, Urkunden, Ratsprotokolle und Stadtrechnungen. Die heute noch vorhandenen mittelalterlichen Archivalien stammen vor allem von den frommen Stiftungen, deren Bestände zunächst nicht im Rathaus lagerten. Sie kamen erst mit der Auflösung des Hochstifts Münster 1802/03 und der Säkularisation vieler geistlicher Einrichtungen und Stiftungen ins Stadtarchiv. Die älteste noch im Stadtarchiv erhaltene Urkunde von 1184 stammt z.B. aus dem Archiv des Magdalenenhospitals.

Die Geschichte des Stadtarchivs kann bis in das letzte Drittel des 16. Jahrhunderts zurückverfolgt werden: Um 1570 erwähnt Hermann von Kerssenbrock in seiner Darstellung der Geschichte Münsters erstmals die „Schriverie“ als Ratsschreibstube, in der aller Wahrscheinlichkeit nach auch die Dokumente der Stadt verwahrt wurden. 1636 wurde das Archiv nachweislich in eigenen Räumlichkeiten im Schmiedeturm hinter dem Rathaus untergebracht. Aus dieser Zeit stammt auch das erste erhaltene Beständeverzeichnis der Stadtsekretäre Henrich und Bernhard Holland. Weitere Ordnungsarbeiten erfolgten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.

Im Jahr 1822 wird unter dem Bürgermeister Schweling für die Ordnung des Archivs der Sekretär Fatzmer angestellt. Fatzmer bewertet rund die Hälfte des vorhandenen Materials als wertlos und vernichtet sie. Die von ihm aufgestellte Ordnung scheint nicht lange vorgehalten zu haben, denn schon 1840 beginnt ein Herr Krabbe mit seiner Arbeit. Vermutlich handelt es sich bei ihm um den Domrendanten oder Domwerkmeister Anton Krabbe, der von 1851 bis 1875 als Domkapitelarchivar tätig war. Sein Arbeitsfortschritt ist in den ersten 17 Jahren nicht allzu groß, denn im Jahre 1857 schreibt Bürgermeister Offenberg an die Stadtverordneten, dass sich das Archiv in einem unglaublich desolaten Zustande befinde, dass der Inhalt der Sammlungen nicht bekannt und dass es ein Ding der Unmöglichkeit sei, ein bestimmtes Stück, das man suche, zu finden. Akten und Urkunden lägen auf dem Fußboden umher und es müsse dringend vermieden werden, dass ein Fremder das Archiv betrete.

Die Aussage Offenbergs, dass er mit „Fremden“ im Stadtarchiv rechnet, verweist auf einen Funktionswandel öffentlicher Archive: Ursprünglich verfolgte man mit ihrer Anlage und Ordnung den Zweck der Rechtssicherung und beschränkte die Nutzung auf einen kleinen Kreis an Personen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelt sich die moderne Geschichtswissenschaft, die sich aus historiographischen Gründen Zugang zu den in den Archiven lagernden Urkunden und Akten wünscht.

Raschere Arbeitsfortschritte bei der Erschließung des Ratsarchivs zeichnen sich ab, als Krabbe Unterstützung von einem Herrn Brockhausen erhält. Bis August 1858 wird für das Ratsarchiv die in Grundzügen noch heute bestehende Ordnung in 18 Sachgruppen (I-XVIII) eingerichtet, denen die Archivalieneinheiten zugeordnet sind.

Gegen 1870 scheint es erste bauliche und personelle Verbesserungen im Stadtarchiv gegeben zu haben. Magistrat und Stadtverordnetenversammlung entschieden sich im gleichen Jahr einen Archivar im Nebenamt zu beschäftigen. Gegen ein Honorar von 100 Talern jährlich kann der Gymnasial-Oberlehrer Adolph Hechelmann dafür gewonnen werden. Eine „Archiv-Commission“ fertigte eine „Dienst-Instruction“ für den Archivar und „Bestimmungen über die Benutzung des städtischen Archivs“ an. Eine der Hauptaufgaben der ersten Stadtarchivare bestand in der Führung einer städtischen Chronik. Das Amt wurde in der Folge von verschiedenen Persönlichkeiten ausgefüllt, die eine historische oder juristische Ausbildung an der Universität genossen hatten und hauptberuflich als Lehrer oder Rechtsanwälte tätig waren.

Nach über 40 Jahren der nebenamtlichen Leitung wurde 1913 erstmals ein hauptamtlicher Archivar in die Leitung des Stadtarchivs berufen, das damit gleichzeitig als eigenständige Institution etabliert und aus der engeren Stadtverwaltung herausgelöst wurde. Eduard Schulte vereinte als Historiker und Jurist die Qualifikationen seiner Vorgänger und füllte das Amt bis 1945 aus. Die Beurteilung seiner Person fällt in der Rückschau ambivalent aus. Denn der nach dem Ende des Dritten Reiches aus dem Dienst entfernte und vorübergehend inhaftierte Schulte war bereits seit 1930 in der NSDAP engagiert und hatte wichtige Parteiämter inne. In seiner langen Amtszeit legte er jedoch auch wichtige Grundlagen für die weitere Arbeit des Stadtarchivs und machte sich um die Erforschung der Münsterischen Stadtgeschichte verdient. Seine Entscheidung, das Archivgut zusammen mit der historischen Ausstattung des Friedenssaales im Rathaus bereits 1942 nach Schloss Wöbbel auszulagern, rettet das bedeutende historische Erbe der Stadt mutmaßlich vor der vollständigen Vernichtung. Besondere Verdienste erwirbt sich der am 13. September 1881 in Bocholt geborene Landgerichtsrat Josef Ketteler. Er opfert einen Großteil seiner Freizeit für die Erschließung der bis dato unzureichend geordneten Gerichtsunterlagen der alten Stadt Münster (mehr als 8.000 Verzeichnungseinheiten!). Dabei nutzt er Vorarbeiten und die Einteilung nach „Loculamenta“, die wohl in den letzten Jahren der fürstbischöflichen Zeit eingeführt wurde, und behält die heute noch bestehenden Teilbestände Judicialia, Causae civiles, Pupillar-Sachen, Discussions-Sachen, Scabinal-Sachen und Criminalia bei.

Seit 1945 ist das Stadtarchiv Teil der städtischen Kulturverwaltung. 1953 werden die Archivalien aus Wöbbel zurückgebracht und zunächst im historischen Krameramtshaus am Alten Steinweg untergebracht. 1978 kann dann das im Krieg erhalten gebliebene Kapellengebäude des Lotharinger Klosters an der Hörsterstraße bezogen werden. Der zunehmende Raumbedarf, der sich im historischen Gebäude nicht realisieren lässt, führte 2003 zu dem zuvor beschriebenen erneuten Umzug.

Peter Worm

 

Zum Weiterlesen

Franz-Josef Jakobi, Hannes Lambacher und Christa Wilbrand (Hg.): Das Stadtarchiv Münster und seine Bestände, Münster 1998.

Das Stadtarchiv Münster. Bilanz und Neubeginn (Hg.: Der Oberbürgermeister der Stadt Münster – Stadtarchiv), Münster 2003.

Hannes Lambacher: Das Stadtarchiv Münster in seinem neuen Dienstgebäude in der „Speicherstadt“. Vom Kornspeicher zum Aktenspeicher, in: Archivalische Zeitschrift 86 (2004), S. 357-391.

Die Speicherstadt Münster. Heeresverpflegungsamt und Reichstypenspeicher – Konversion und Denkmalschutz (hg. vom Institut für vergleichende Städtegeschichte durch Angelika Oelgeklaus), Münster 2008.