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Körbe am Turm von St. Lamberti

In den Jahren 1534 und 1535 herrschte die religiöse Gemeinschaft der Täufer in Münster. Am Prinzipalmarkt finden sich zahlreiche Erinnerungszeichen an diese Zeit. Besonders prominent sind die Körbe am Turm von St. Lamberti, die letztlich an eine Hinrichtung erinnern. Doch dieses Strafgericht ist längst nicht der einzige Berührungspunkt mit der Rechtsgeschichte.

Münster zählte am Anfang des 16. Jahrhunderts etwa 10.000 Einwohner. In der wehrhaften Handelsstadt verfügten vermögende Bürger über große Autonomie. Rein rechtlich lag die Hoheit aber beim Bischof, der in seiner Herrschaft von Adeligen und dem Klerus unterstützt wurde. Seit 1530 hatten reformatorische Ideen in Münster Fuß gefasst und der Bischof musste 1533 sogar bestätigen, dass außerhalb des Doms und der Stiftskirchen evangelisch gepredigt wurde. Der einflussreichste Theologe dieser Jahre in Münster war Bernhard Rothmann, ein Vertreter des Täufertums.

Prinzipalmarkt mit Lambertikirche
© KHK EViR/Lennart Pieper

Einige Forscher nennen das Täufertum den „radikalen Zweig“ der Reformation. Als theologischer Kern der vielfältigen Bewegung gilt die Idee, dass man nur aus freier Entscheidung ein Christ sein kann. Kinder zu taufen, war aus dieser Sicht falsch: Erst Erwachsene können demnach eine solche Entscheidung fällen. Die Nichtanerkennung der Kindstaufe und die Durchführung einer weiteren Taufe führte zum Spottnamen „Wiedertäufer“.

Bereits die bloße Ablehnung der Kindstaufe war im April 1529 auf dem Reichstag zu Speyer von Katholiken und Lutheranern unter Todesstrafe gestellt worden. Die Idee, einzig und allein erwachsene Freiwillige zu taufen, bedrohte zu sehr damalige Vorstellungen einer Einheit von Kirche, weltlicher Macht und Gesellschaft.

Dennoch ließen sich im Januar 1534 rund 1.400 Menschen in Münster im Sinne der neuen Lehre taufen. Daran erinnert heute am Prinzipalmarkt ein Bodendenkmal aus drei Teilen vor den Häusern mit den Nummern 29, 34 und 41. Faksimiles verweisen auf die Eintragungen in Taufregister, ein eingelassenes Gefäß enthält nicht nur Wasser aus einem historischen Brunnen am Prinzipalmarkt, sondern auch aus dem biblischen Jordan.

Bodendenkmal am Prinzipalmarkt
© Jan Matthias Hoffrogge

Zu Beginn des Jahres 1534 gab es somit drei große religiöse Gruppen in der Stadt: Katholiken, die ihre Messen im Dom und in den Stiftskirchen feierten, diejenigen Anhänger der Reformation, die sich stärker an Martin Luther orientierten, und eben die Täufer. Ihre Anwesenheit in der Stadt bot dem Bischof nun Anlass und Legitimation, seine Stadthoheit gewaltsam wiederherzustellen. Während er ein Belagerungsheer anwarb und erste Katholiken und Lutheraner die Stadt verließen, gewann die täuferische Fraktion die Ratswahlen am 23. Februar 1534. Unter Gewaltandrohungen wiesen die Täufer danach Andersgläubige aus der Stadt. Im Gegenzug strömten zahlreiche Täufer aus umliegenden Gebieten in das „Neue Jerusalem“. Eine Einheit von christlicher Gemeinde und Einwohnerschaft war nun wiederhergestellt – zumal mit dem ausgewiesenen Klerus und der Auflösung der Klöster die bisherigen Immunitäten verschwanden.

In den Folgemonaten schufen die Täufer unter dem Eindruck der bischöflichen Belagerung eine neue Rechtsordnung nach biblischen Vorbildern. Insbesondere die Einführung der Mehrehe und die Selbstkrönung Jan van Leidens zum König fanden die Aufmerksamkeit der Nachwelt. Allzu gern übersehen wurde dagegen, dass die Täufer keine ‚verarmten Verrückten aus der Fremde‘ waren, sondern aus fast allen Teilen der Stadtgesellschaft stammten und als „Menschen des 16. Jahrhunderts“ (Ernst Laubach) verstanden werden müssen.

"Wiedertäufer-Kapitell" am Rathaus
© Jan Matthias Hoffrogge

Nach mehrmonatiger Belagerung fiel die Stadt am 25. Juni 1535. Der siegreiche Bischof entzog ihr zunächst die alten Privilegien, insbesondere das Recht, den Stadtrat zu wählen. Täuferisch gesinnte Bürger wurden enteignet. Und drei der wichtigsten Anführer, die man ergreifen konnte, wurden am 22. Januar 1536 öffentlich auf dem Prinzipalmarkt gemartert und hingerichtet. Ihre Leichen legte man zur dauerhaften Abschreckung in Eisenkörbe. Von links nach rechts gesehen wurden sie Bernd Knipperdollinck (nahe am eigenen Wohnhaus mit der Nr. 41), Jan van Leiden und Bernd Krechting zum Grab. Die Körbe wiegen jeweils etwa 250 Kilogramm und hängen bis heute im Original am Lamberti-Kirchturm, während das Stadtmuseum Kopien aus dem späten 19. Jahrhundert zeigt.

Portraits der drei Hingerichteten fertigte Heinrich Aldegrever in den Monaten ihrer Gefangenschaft an. Künstlerisch weniger überzeugend ist demgegenüber ein „Wiedertäufer-Kapitell“ am Rathaus. Hier und bei vielen anderen Gelegenheiten – in Opern, Romanen, Predigten Bischof von Galens, nationalsozialistischer Propaganda, Studentenzeitungen, Leserbriefen zur Zukunft der Körbe, oder auch im Fußballstadion – manifestiert sich die ‚zweite Geschichte‘ der Täufer, ihre fortwährende Indienstnahme für die eigene Gegenwart.

Jan Matthias Hoffrogge

 

Zum Weiterlesen

Jan Matthias Hoffrogge: Der „Wiedertäufermythos“. Münsters umstrittener Erinnerungsort, Münster 2018.

Ralf Klötzer: Die Täuferherrschaft von Münster. Stadtreformation und Welterneuerung, Münster 1992

Hubertus Lutterbach: Das Täuferreich von Münster. Ursprünge und Merkmale eines religiösen Aufbruchs. Wurzeln und Eigenarten eines religiösen Aufbruchs, Münster ²2021.