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Rathaus

Das Rathaus ist sowohl Ort als auch Symbol der städtischen Selbstverwaltung. Getragen durch ein Ratsgremium hat sich die Stadt im Laufe des 12. Jahrhunderts von den Ansprüchen des bischöflichen Stadtherrn losgelöst. Um 1170 erfolgte die Verleihung des Stadtrechts und parallel dazu bildete sich nach und nach eine Ratsverfassung heraus. Genauer datieren lässt sich die Entwicklung indes nicht, da durch die Vernichtung aller Urkunden während der Täuferherrschaft (1534/35) hierfür die Quellen fehlen.

Symbol städtischen Selbstbewusstseins

Spätmittelalterliche Rathäuser zeugen häufig von einem ausgeprägten städtischen Selbstbewusstsein. Dies zeigt sich einerseits an den sehr repräsentativen Bauten. Das münsterische Rathaus ist hierfür ein wunderbares Beispiel. Bis heute lässt sich der Bürgerstolz nicht nur an der Größe des Baus und der prächtigen Figurenausstattung ablesen, sondern auch an den beiden Stadtwappen. Zu finden sind diese links und rechts unterhalb des Wappens des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation (dieses befindet sich zu Füßen der Königsfigur mit Zepter und Reichsapfel, die mal als König Salomon, mal als Karl der Große gedeutet wird). Andererseits ist die Platzierung des Rathauses zu beachten, das im Fall Münsters für den Stadtherrn gut sichtbar gegenüber vom Fürstenhof am Domplatz 1 errichtet wurde. Bischof und Stadtrat und damit die beiden Machtzentren im Stadtraum waren so durch eine Sichtachse verbunden.

Schaugiebel des Rathauses um 1890
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Entstanden ist das Münsteraner Rathaus aus dem Schöffenhaus am Markt, das 1320 um einen Vorbau erweitert und schon bald danach als borgere hues bezeichnet wurde. Am Beginn des 15. Jahrhunderts setzte sich dann die Bezeichnung als Rathaus durch. In diese Zeit fallen auch weitere Umbauten und Erweiterungen. Sie spiegeln auf ihre Weise die politische Bedeutungszunahme des Rates, aber auch die wirtschaftliche Stärke der Stadt als Mitglied der Hanse. So entstand damals der noch heute das Gebäude prägende und weithin sichtbare, auf fünf vorgesetzten Säulen ruhende reich verzierte Schaugiebel.

Bau mit vielen Funktionen

Rathäuser waren dabei von Anfang an Multifunktionsbauten. Das war auch in Münster nicht anders. Natürlich repräsentierte der Bau zunächst einmal die städtische Macht und war Versammlungsort des Rates (der heutige Friedenssaal war das erste Ratszimmer, 1576/77 kam nach Umbauten noch eine kleine Ratskammer im hinteren Teil des Rathauses hinzu). Auch das städtische Archiv und die Rüstkammer mit Waffen, Munition und weiterer Ausrüstung für den Verteidigungsfall waren im Rathaus untergebracht. Die im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts durch eine bauliche Erweiterung entstandene Bürgerhalle im Erdgeschoss des Rathauses diente zudem als Versammlungsort der Münsteraner Bürgerschaft. Hier kam sie mit dem Rat zu Beratungen über städtische Angelegenheiten oder Schwörtage zusammen. Und alljährlich am Thomastag (20. Dezember) wurden hier die städtischen Verordnungen vor der versammelten Bürgerschaft verlesen und so in Erinnerung gerufen, welche rechtlichen Bestimmungen denn nun galten. Im Übrigen war die Zahl der Bürger vergleichsweise klein, da nur ein Teil der männlichen Haushaltsvorstände das Bürgerrecht besaß. Im mittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Münster mit einer Einwohnerzahl zwischen 10.000 und 15.000 dürfte die Zahl zwischen ein- und zweitausend gelegen haben.

Sitz der städtischen Gerichte

Daneben diente das Rathaus als Sitz der städtischen Gerichte. Bis heute zeugt davon die Gerichtsschranke im Friedenssaal, mit der an Gerichtstagen das Gericht vom Publikum getrennt wurde. An die Funktion des Ratssaals als Ort der Ratsgerichte erinnert zudem eine an der Decke aufgehängte längliche Tafel mit der Inschrift: „Audiatur et altera pars – Men hoere beide Parte“. Ermahnt wurde damit das Gericht, vor der Urteilsfindung stets beide Parteien anzuhören. Einen weiteren Mahnspruch für Rat und Gericht kann man am Kronleuchter entdecken. Auf dem äußeren Ring an der Deckenaufhängung des Leuchters wird in Goldbuchstaben Kap. 1, Vers 1 aus dem Buch der Weisheit zitiert – „Diligite iustitiam, qui iudicatis terram“ (Liebt Gerechtigkeit, ihr Herrscher der Erde).

Der vom Bischof eingesetzte Stadtrichter mit seinen schon bald vom Rat bestellten zwei Beisitzern tagte ebenfalls im Rathaus bzw. unter der Bogenhalle im Freien. Dieser aus heutiger Sicht vielleicht etwas überraschende Gerichtsort war für weltliche wie geistliche Gerichte nicht ungewöhnlich (siehe Paradies). Aber im späten 16. Jahrhundert wurde dann doch ein ‚Gerichtsstübchen‘ für das Stadtgericht im nördlichen Teil der Bogenhalle eingerichtet. Mit der Funktion des Rathauses als Gerichtsort verbunden waren auch einige wenige Gefängniszellen im Rathauskeller und in der Schreiberei hinter dem Rathaus, die aber v.a. als Untersuchungsgefängnis genutzt wurden.

Kaufhaus und Ort des Marktrechts

Preußische halbe Ruthe an der Nordseite
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Schließlich diente das Rathaus aufgrund der großen Räume an bestimmten Tagen auch als Spiel-, Tanz- und Kaufhaus. Keller und Dachboden wurden zudem als Lagerräume genutzt. Noch heute kann man dies an den – inzwischen allerdings zugemauerten – schmucklosen Fenstern in der Mittelachse des Giebels erkennen, an denen ursprünglich Einrichtungen zum Hochziehen der Waren angebracht waren. An die Bedeutung des Rathauses als Kaufhaus erinnert noch die Tafel mit der „Preußischen Halben Ruthe“ an der Nordseite. Solche an öffentlichen Orten in der Nähe des Marktgeschehens angebrachten Referenzmaße waren ausgesprochen typisch. Sie sollten sicherlich auch Betrug vorbeugen, waren aber zugleich als Information für fremde Kaufleute von Bedeutung, da die Maßeinheiten lange Zeit von Ort zu Ort erheblich variierten. Es ist anzunehmen, dass vor der preußischen Halben Ruthe bereits andere Maße an dieser oder ähnlich prominenter Stelle angebracht waren.

Das Sendschwert hängt während des Sends am Rathaus
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Noch heute erinnert zudem das an der linken Ecke des Rathauses während des dreimal im Jahr stattfindenden Sends (Jahrmarkt) angebrachte Sendschwert an das Marktrecht, dass der Rat früher ausübte. Die Bezeichnung als Send geht darauf zurück, dass die Märkte ursprünglich im Anschluss an die alljährlich im Frühjahr und Herbst abgehaltenen Synoden (Versammlung der führenden Geistlichen des Bistums) stattfanden. Als dritter Termin trat dann der Paulus-Freimarkt um den 29. Juni hinzu. Das Schwert steht dabei symbolisch für den Marktfrieden und ein damit verbundenes verschärftes Strafrecht: So sollten etwa Gewalttaten an diesen Tagen unnachsichtig und (bis 1578) im Fall von Körperverletzungen und einfachen Totschlägen auch anders als üblich mit dem Tode bestraft werden. Dass dieses verschärfte Marktrecht durchgängig umgesetzt wurde, darf bezweifelt werden. Aber es zeugt vom Bemühen, den Stadtfrieden trotz des bunten Markttreibens und der vielen Gäste zu wahren. Am Rathaus findet sich das Sendschwert übrigens erst seit 1578. Davor wurde – wie es in der Chronik des Herrmann von Kerssenbrock (1519-1585) von 1573 heißt – ein öffentliches und gut sichtbares Zeichen an einen der Türme der Hauptkirche „ausgehenkt“ wurde. Das heutige Sendschwert ist übrigens eine Kopie, das Original wurde am 24. Oktober 2000 entwendet und ist bislang nicht wieder aufgetaucht.

Die Gerichtsschranke im Friedenssaal
© Stadtmuseum Münster

Friedenssaal

Heute überregional besonders bekannt ist das Münsteraner Rathaus für die in Friedenssaal umbenannte große Ratskammer. Damit wird daran erinnert, dass in diesem Raum am 15. Mai 1648 der im Rahmen der Westfälischen Friedensverhandlungen mitverhandelte Teilfrieden zwischen Spanien und den Niederlanden geschlossen wurde. Mit diesem Friedensschluss endete der sog. Achtzigjährige Krieg zwischen beiden Mächten. Diese Geburtsstunde der niederländischen Souveränität ist auf einem berühmt gewordenen Gemälde von Gerhard ter Borch zu sehen (heute im Stadtmuseum), das zugleich die älteste Darstellung der Ratskammer ist. Daran, dass in Münster neben Osnabrück zwischen 1643 und 1648/49 die Westfälischen Friedensverhandlungen stattfanden, erinnern an den Wänden des Friedenssaals auch 37 Porträts von Gesandten und Fürsten, die an den Verhandlungen teilgenommen hatten. Allerdings waren die eigentlichen Verhandlungen gar nicht im Friedenssaal geführt worden.

Ulrike Ludwig

 

Zum Weiterlesen

Wilfried Ehbrecht: Rat, Gilden und Gemeinde zwischen Hochmittelalter und Neuzeit, in:  Franz-Josef Jakobi (Hg.): Geschichte der Stadt Münster, Bd. 1, Münster 1993, S. 91-144.

Max Geisberg: Die Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, Bd. 41: Die Stadt Münster, Teil 2. Die Dom-Immunität, die Marktanlage, das Rathaus, Münster 1976.

Uwe Goppold: Stadtrichter, Rat und Landesherr: Die Ratskur in Münster während des 17. Jahrhunderts, in: In Schlögl, Rudolf (Hrsg.), Interaktion und Herrschaft. Die Politik der frühneuzeitlichen Stadt, Konstanz 2004, S. 93-112.