Historische Gefängnisse in Münster
Das Arretieren von Angeklagten in Kerkern oder Verliesen in früheren Zeiten hatte nichts mit unser heutigen Vorstellung eines Gefängnisses zu tun, sondern war noch im Denken der Strafjustiz des Mittelalters verhaftet: Gefangenschaft stellte keine Bestrafung dar, sondern war nur ein Mittel, um z. B. Geldzahlungen, die als Strafe auferlegt worden waren, zu erpressen, oder Missetäter bis zu einer Verurteilung festzuhalten und an der Flucht zu hindern. Die Gefängnisstrafe im heutigen Sinne – der Freiheitsentzug – war im Mittelalter noch unbekannt und gewann erst im Laufe des 18. Jahrhunderts an Bedeutung.
Orte für den Arrest von Gefangenen
Das vermutlich älteste „Gefängnis“ (Kerker) sowie ein Folterkeller waren in Münster im Mittelalter im so genannten Niesingturm (oder Weißeturm) untergebracht, einem Wehrturm aus dem 13. Jahrhundert, der zwischen dem Ludgeri- und dem Sevatiitor innerhalb der Stadtbefestigung lag und bereits 1776 abgebrochen wurde.
Er wird zwar erst im 16. und 17. Jahrhundert mehrfach in dieser Funktion erwähnt, eine ähnliche Nutzung in den Jahrhunderten zuvor kann jedoch nicht ausgeschlossen werden.
Auch andere Türme der Stadtmauer, u. a. der Buddenturm im Norden der Stadt, dienten im Spätmittelalter gelegentlich als Gefängnis, zwischen 1764 und 1879 auch als spezielles Militärgefängnis für straffällig gewordene Soldaten der münsterischen Garnison. Das Ludgeritor wird Mitte des 15. Jahrhunderts einmal als Gefängnis erwähnt, auch soll sich in einem kleinen namenlosen Turm an der Stadtmauer zwischen dem Hörster- und dem Neubrückentor in der Nähe des späteren Zwingers im unteren Raum ein „Stock“ (Fußblock) für Gefangene befunden haben. Offenbar wurde dieses Türmchen schon mit der Errichtung des Zwingers in den 1520er Jahren abgebrochen.
Kerker zur Arretierung von Gefangenen wurden meist dort eingerichtet, wo ausbruchsichere Räume vorhanden waren, die nicht ständig genutzt wurden und in denen die Gefangenen nicht störten.
So wurden auch einige Räume unter dem Rathaus, der heutige Ratskeller, schon zur Zeit der Täufer in den Jahren 1534 und 1535 als Gefängnis genutzt. Nach größeren Umbaumaßnahmen 1653 wurden dort zwei Räume eingerichtet, die nur von oben durch Luken zugänglich waren und in denen die Gefangenen ohne Licht und Frischluftzufuhr ausharren mussten.
Im benachbarten Stadtweinhaus wurden von 1847 bis 1891 in der nördlichen Hälfte des Erdgeschosses einige Räume ebenfalls als Arrestzellen der dort untergebrachten militärischen Hauptwache zur Festsetzung von straffällig gewordenen Soldaten genutzt. Auch die Schreiberei (Schriverie) hinter dem Rathaus, in der u. a. die Kanzlei des Rates untergebracht war, diente zeitweise als Polizeigefängnis. In der Südwestecke gab es seit dem 16. Jahrhundert gewölbte Gefängniszellen, die ebenfalls nur von oben zugänglich waren. Im Volksmund wurde dieses Gefängnis auch Höffken oder Hoveken genannt.
Das Gefängnis des Domkapitels, das über eine eigene Gerichtsbarkeit und Strafjustiz verfügte, befand sich im 17. Jahrhundert im Haus der Kameralen am Horsteberg 6 hinter dem Dom über dem Keller im Erdgeschoss. Das Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg 1944/1945 zerstört, die Fundamente sind heute noch teilweise innerhalb der Platzgestaltung erkennbar.
Orte für Freiheitsentzug und Züchtigung
Am Ausgang des Mittelalters setzte ein Umdenken im Umgang mit Straftätern auf der einen, aber auch mit zuvor tolerierten Menschen am Rande der Gesellschaft auf der anderen Seite, ein. Daher wurde Mitte des 16. Jahrhunderts in England ein erstes so genanntes „Zuchthaus“ errichtet, das auch als Armen-, Waisen- und Arbeitshaus diente, in dem mittellose und die öffentliche Ordnung störende Personen „verwahrt“ werden konnten. Der Begriff „Zuchthaus“ stammt vom „Tuchthuis“ in Amsterdam (1594/95) und leitet sich von „Zucht“ an der Grenze von Erziehung und Bestrafung ab. In Deutschland entstanden vergleichbare Häuser zunächst vor allem in den großen Hansestädten.
Auch die Stadtväter von Münster ließen sich von dieser Idee inspirieren. 1566 wurde beschlossen, das für „boshafte Kinder“ ein Gefängnis errichte werden sollte. Offenbar kam es jedoch nicht zur Ausführung. 1619 gab es erneut Überlegungen, in Münster ein spezielles „Zuchthaus“ im Zwinger einzurichten, aber auch dieser Plan wurde nicht verwirklicht.
Erst 1731 reifte erneut der Wunsch zur Errichtung eines solchen Gebäudes. Nach den Plänen des fürstlich-münsterischen Generalmajors Johann Conrad Schlaun (1695–1773) sollte der Zwinger zu einem „Gefengnus“ umgebaut und daneben auf dem Kalkplatz ein neues einflügeliges „Zuchthaus“ errichtet werden.
Schlauns Ziel war hierbei die möglichst effiziente und kostensparende Unterbringung und Überwachung der Gefangen. Zwischen 1732 und 1734 wurden der bereits etwa 200 Jahre alte Zwinger zu einem Untersuchungsgefängnis mit 18 Einzelzellen auf drei Etagen umgebaut und zwischen 1734 und 1738 die neue „Zucht- und Besserungsanstalt“ für 40 männliche und 40 weibliche Gefangene errichtet. Es war der erste Gefängnisbau dieser Art im Bistum Münster.
Die ersten „Züchtlinge“ wurden bereits im Oktober 1737 eingewiesen und fertigten wollene Tücher. Die „Zuchthausfabrik“ florierte – anders als erhofft – nicht, daher stellte man 1756 den Arbeitsbetrieb auf eine Hanf- und Flachsspinnerei um. Der Zwinger blieb weiterhin das Untersuchungsgefängnis und „Gefangenenhaus“ für jene, über deren weiteres Schicksal noch nicht entschieden worden war.
Durch den Reichsdeputationshauptschluss vom 25. Februar 1803 und die anschließende Säkularisierung kirchlichen Eigentums gingen das Zuchthaus und das Gefängnis vom Fürstbistum Münster in den Besitz der Preußischen Regierung über. Die Funktion beider Häuser blieb jedoch weiterhin bestehen. Die noch um 1800 als vorbildlich beschriebenen Zustände im Zuchthaus verschlechterten sich im Laufe der nächsten Jahrzehnte drastisch, der Anteil der „Criminalgefangenen“ war aufgrund der allgemeinen Verarmung der Bevölkerung und der daraus resultierenden dramatisch gewachsenen Kriminalitätsrate stetig gestiegen. Das Zuchthaus, früher ein Ort der Abschreckung, nun ein Instrument der Organisation einer großen Zahl von Gefangenen, war daher inzwischen viel zu klein geworden. Seit 1810 waren in Preußen sämtliche „Straf- und Korrektionsanstalten, Zuchthäuser und Strafgefängnisse“ dem Polizeiministerium unterstellt, dem späteren Ministerium des Inneren. Die „Gerichtsgefängnisse“, in Münster der Zwinger, dienten ausschließlich der Untersuchungshaft.
Diverse Umbauten, Anbauten und Veränderung am münsterischen Zuchthaus konnten die Zustände jedoch nur kaschieren, nicht aber beheben, 1837 beherbergte es bereits 360 Gefangene. Da keine Erweiterung des Zuchthauses auf dem bestehenden Areal möglich war, sollte nach den 1840 bis 1843 von Oberbaurat Carl Ferdinand Busse (1802–1868) in Berlin entwickelten Bauplänen an der Gartenstraße in der Nähe des alten Zuchthauses ein fortschrittliches Gefängnis errichtet werden. Dieser von 1844 bis 1853 errichtete Neubau umfasste 456 Einzel- und 80 Gemeinschaftsschlafzellen.
Für das alte Zuchthaus und den Zwinger erbrachte dies trotzdem kaum eine Entlastung, 1856 waren dort noch immer 443 Gefangene untergebracht.
Bei den Planungen für das neue Kreisgericht (heute Amtsgericht) am Neuplatz (heute Schlossplatz) gab es daher bereit 1846 Überlegungen, dort ein vereinigtes Gerichts- und Gefängnisgebäude zu errichten. 1850 bis 1852 wurde zunächst das Gericht fertiggestellt, das Gefängnis sollte an der Stubengasse gebaut werden. Erst zwischen 1871 und 1875 wurde dann doch am Neuplatz ein Gefängnis für 104 Gefangene errichtet.
Trotzdem wurden der Zwinger und das Zuchthaus bis 1905 als „Hilfsgefängnis“ weiter genutzt. Der Zwinger wurde 1911 von der Stadt Münster erworben, das Zuchthaus 1914 abgebrochen. Damit verschwand einer der ältesten Zuchthausbauten Deutschlands und das älteste Bauwerk Johann Conrad Schlauns in Münster.
Bernd Thier
Zum Weiterlesen
Jost Schäfer: Zur historischen Bedeutung des Strafgefängnisses in Münster, in: Denkmalpflege in Westfalen-Lippe Ausgabe 1 (2015), S. 9–17.
Bernd Thier: Der Zwinger als Gefängnis (1732–1911), in: Barbara Rommé (Hg.), Der Zwinger. Bollwerk – Kunstwerk – Mahnmal, Münster 2007, S. 25–33.
Bernd Thier: Vom Kerker zum Zuchthaus – Orte des Strafvollzugs in Münster vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert, in: Denkmalpflege in Westfalen-Lippe 21, Heft 2 (2015), S. 60–67.