„Interkultureller Austausch durch Übersetzen – Tandem-Übersetzungsworkshop für Studierende aus Deutschland und Tunesien”, Tunis 2017
Im Januar 2017 fuhren vierzehn Studierende des Instituts für Arabistik und Islamwissenschaft der WWU zu einem Übersetzungsworkshop nach Tunis. Dort trafen sie auf Deutschstudierende des Institut Supérieur des Sciences Humaines de Tunis (ISSHT, Universität Tunis El Manar) und des Institut Supérieur des Langues Appliquées et d’Informatique de Béja (ISLAIB). Fünf Tage lang arbeiteten sie in Tandemgruppen aus vier bis fünf TeilnehmerInnen aus Tunis und Münster an der Übersetzung aktueller literarischer und essayistischer Texte arabisch- und deutschsprachiger AutorInnen in die jeweils andere Sprache.
Ziel des Workshops war zum einen, den Studierenden beider Institute die Möglichkeit zu geben, die jeweilige Fremdsprache zu praktizieren. Gemeinsam feilten sie an den zuvor erstellten Übersetzungen und diskutierten Übersetzungsvarianten – wobei jeweils eine Seite für die Ausgangssprache, die andere für die Zielsprache besonders kompetent war. So trainierten sie nicht nur das Übersetzen insbesondere literarischer Texte, sondern vertieften auch das Gefühl für die andere Sprache. Nicht weniger wichtig war es jedoch, miteinander ins Gespräch zu kommen und sich über Interessen, Erfahrungen und Ansichten zu verschiedensten Themen auszutauschen. Für die Münsteraner Studierenden war es besonders interessant zu hören, wie die tunesischen Studierenden die Jahre nach der Revolution erlebt haben und wie sie die aktuelle Situation einschätzen. Bereichert wurde der Workshop zudem durch einen Vortrag, in dem Lamia Taktak, Professorin für arabische Literatur am ISSHT, wichtige AutorInnen, Themen und Entwicklungen der modernen tunesischen Literatur vorstellte.
Einen Höhepunkt bildete sicherlich das Treffen mit zwei der AutorInnen, Massaouda Boubaker und Walid Soliman. Hier hatten die Studierenden die Möglichkeit, – auf Arabisch – Fragen zu den im Rahmen des Workshops übersetzten Texten zu stellen, und die beiden AutorInnen sprachen über ihr Schreiben und ihre Ansichten zur Rolle der Literatur im Allgemeinen und im postrevolutionären Tunesien im Besonderen. Bemerkenswert war, dass für beide – trotz der Unterschiede in Alter, Hintergrund und Schreibstil –, das gesellschaftliche Engagement der Literatur von großer Bedeutung ist. Dabei betonten sie jedoch gleichzeitig den besonderen Charakter literarischer Texte, der nicht zuletzt in ihrer Uneindeutigkeit liege, die unterschiedliche Lesarten eröffne und auch jenseits des Entstehungskontexts – und dann möglicherweise ganz anders – verstanden werden könne. Das Treffen fand im Goethe-Institut statt, deren Direktorin, Judith Mirschberger, uns freundlicherweise einen Raum zur Verfügung stellte, uns persönlich begrüßte und uns einen Einblick in die Aktivitäten des Instituts gab.
Der Workshop wurde von allen Seiten als äußerst erfolgreich und bereichernd wahrgenommen. Nachdem sich das Konzept des Tandem-Übersetzungsworkshops bewährt hat, streben wir an, diesen Austausch fortzusetzen und möglicherweise weitere Universitäten in Tunis einzubeziehen. Außerdem arbeiten wir an einer Vereinbarung zum Studierendenaustausch zwischen den beiden Universitäten.
Übersetzt wurden Texte aus
Elke Heidenreich: Alles kein Zufall (2016)
Wladimir Kaminer: Liebesgrüße aus Deutschland (2011)
Moritz Rinke: Erinnerungen an die Gegenwart (2014)
محمد صغيّر أولاد أحمد: القيادة الشعرية للثورة التونسية (2013)
مسعودة بوبكر: أظلّ أحكي (2012)
وليد سليمان: ساعة أينشتاين الأخيرة (2008) وكوابيس مرحة (2015)
Leitung:
Anis Ben Amor, Dozent für deutsche Sprache, Landeskunde und Übersetzung am Institut Supérieur des Sciences Humaines de Tunis (ISSHT), Universität Tunis El Manar
Barbara Winckler, Juniorprofessorin für Arabische Literatur und Kultur der Moderne am Institut für Arabistik und Islamwissenschaft, Westfälische Wilhelms-Universität Münster (barbara.winckler@uni-muenster.de)
Der Workshop wurde veranstaltet von der Arab-German Young Academy of Sciences and Humanities (AGYA) in Kooperation mit der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und der Universität Tunis El Manar am Institut Supérieur des Sciences Humaines de Tunis (ISSHT), 16.-20. Januar 2017. Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
Fünf Tage intensiver deutsch-tunesischer Austausch
Vom 16. bis 20. Januar 2017 fand in Tunis ein Tandem-Übersetzungsworkshop statt, in dessen Mittelpunkt die Übersetzung literarischer Texte arabisch- und deutschsprachiger AutorInnen in die jeweils andere Sprache stand. Gearbeitet wurde in Tandemgruppen aus Studierenden aus Tunis und Münster.
„Ich kannte Tunesien bislang nur aus den Medien als das erste arabische Land, das vor über sechs Jahren gegen seinen diktatorischen Herrscher aufbegehrte. Nun wirkliche Menschen mit ihren Geschichten hinter diesem Bild kennenzulernen und Gedanken über verschiedenste Aspekte des Lebens auszutauschen, war außergewöhnlich bereichernd.“ Diese Aussage wird wohl für viele der deutschen TeilnehmerInnen des vom BMBF finanzierten Workshops zutreffen. Möglich gemacht wurde diese Begegnung von Barbara Winckler, Juniorprofessorin für Arabische Literatur und Kultur der Moderne in Münster, und Anis Ben Amor, Dozent für deutsche Sprache, Landeskunde und Übersetzung am Institut Supérieur des Sciences Humaines de Tunis (ISSHT) – beide Mitglieder der Arab-German Young Academy of Sciences and Humanities (AGYA), unter deren Dach der Workshop stattfand.
In der Woche vom 16. bis 20. Januar 2017 trafen Studierende des Instituts für Arabistik und Islamwissenschaft der WWU auf Deutsch-Studentinnen des ISSHT der Université de Tunis El Manar. Die gemeinsame Zeit war in jeder Hinsicht ein voller Erfolg. Die TeilnehmerInnen profitierten sowohl auf sprachlicher Ebene – für viele war es das erste Mal, mit arabischen Muttersprachlerinnen auf Hocharabisch zu kommunizieren – als auch auf inhaltlicher Ebene, da wir – angeregt durch die Texte – über verschiedenste gesellschaftlich relevante Themen ins Gespräch kamen – von Bürokratie, über Digitalisierung und Religiosität bis hin zum Nahostkonflikt.
Innerhalb dieser Woche besprachen und übersetzten wir täglich in Gruppen von vier bis fünf Studierenden aus Tunesien und Deutschland aktuelle Texte wichtiger deutscher GegenwartsautorInnen ins Arabische sowie Texte der jüngsten tunesischen Literatur ins Deutsche. Das tunesisch-deutsche DozentInnenteam um Barbara Winckler, Anis Ben Amor und Zahida Marouani war stets präsent und führte uns kompetent durch diese Woche voller neuer Erfahrungen und auch Überraschungen. Von allen wurde die relativ freie Form des Workshops positiv hervorgehoben, dank der die TeilnehmerInnen viel Einfluss auf den Fortgang der Diskussionen hatten. Die bei einer so freien Gestaltung nicht ausbleibenden Missverständnisse (z.B. die Unmöglichkeit, in Tunesien deutsch-arabische Wörterbücher zu finden oder teils unterschiedliche Diskussions- und Arbeitskulturen) wurden von allen Seiten als Herausforderung angenommen und ließen den ein oder anderen schmunzeln. Frau Winckler und Herrn Ben Amor, aber auch dem Engagement der TeilnehmerInnen ist es hoch anzurechnen, dass der Workshop trotz einiger Unwägbarkeiten so professionell ablief. Zu danken ist auch den tunesischen Studentinnen, die sich trotz Prüfungsphase auf die Teilnahme an diesem Workshop eingelassen haben.
Zu den bewegendsten Momenten gehörte sicherlich die Plenumssitzung, in der wir über die Kurzgeschichte „Iḏā l-ʿarabatu ḫuyyirat“ von Massouda Boubaker (*1954) diskutierten. Diese verarbeitet literarisch die Selbstverbrennung des Gemüseverkäufers Mohamed Bouazizi und damit den Auslöser der tunesischen Revolution. Die Diskussion zeigte uns, wie unterschiedlich man den Text übersetzen und damit auch die darin verarbeiteten Perspektiven auf die Revolution verstehen kann. Zudem gab es für die tunesischen Teilnehmerinnen die Möglichkeit, sehr kontrovers ihre Meinungen zur Revolution und zur Situation des Landes zum Ausdruck zu bringen. Während die einen die Instabilität des Landes betonten, hielten andere die erlangten Freiheiten hoch, was für die deutsche Delegation wiederum sehr spannend zu verfolgen war.
Neben Kurzgeschichten von Massouda Boubaker bearbeiteten wir auch Texte von Walid Soliman (*1975) und Mohamed Sghaïer Ouled Ahmed (1955-2016). Ein besonders bereichernder Moment war daher die persönliche Begegnung mit Massouda Boubaker und Walid Soliman im Goethe-Institut von Tunis, wo beide aus ihren Werken lasen und ihre Sicht auf die Herausforderungen der Gegenwartsliteratur darlegten.
Auf der deutschen Seite waren Texte von Moritz Rinke, Wladimir Kaminer und Elke Heidenreich zur Übersetzung ins Arabische ausgewählt worden. Neben klassischen Herausforderungen der Übersetzungsarbeit – wie beispielsweise ein arabisches Pendant für die deutschen „Lebenskünstler“ zu finden – war es nicht zuletzt bemerkenswert, wie manch deutscher Text nicht nur bei tunesischen Studentinnen, sondern auch bei einigen deutschen MuttersprachlerInnen Unverständnis oder Befremden auslöste. So wurde die Tätigkeit des Übersetzens sowie die Reflexion darüber zu einer Form transkulturellen Austauschs.
Um das Programm abzurunden, war die tunesische Arabistikdozentin Lamia Taktak eingeladen worden. Durch ihren Vortrag erhielten sowohl die deutschen als auch die tunesischen TeilnehmerInnen einen spannenden Überblick über die tunesische Gegenwartsliteratur, und für die meisten der Münsteraner Studierenden dürfte es der erste Vortrag auf Hocharabisch gewesen sein.
Auch in der Freizeit gab es genügend Gelegenheit zu gemeinsamen Aktivitäten und Austausch. Dabei waren jedoch einige Herausforderungen zu meistern, wie z.B. das überaus winterliche Wetter, die Schwierigkeit der Kommunikation ohne mobiles Internet und die Gruppengröße, sodass wir meistens nicht, wie von manchem gewünscht, in der Großgruppe blieben. So bot sich aber auch ein breiteres und individuelles Angebot, ob nun ein tunesischer Film im Kino, die Besichtigung des malerischen Küstenorts Sidi Bou Said, ein Kaffee in der orientalisch verwinkelten Medina mit schönem Ausblick von einer Dachterrasse – für jeden war etwas dabei. Dass die Tunesierinnen ihre Freizeit opferten, um uns ihre Stadt zu zeigen, wussten wir sehr zu schätzen. So resümiert eine deutsche Teilnehmerin: „Pre-existing stereotypes of mine have been shattered and replaced by a more broad and personal point of view through the additional input of the Tunisian students at the workshop.“ Dass wir uns gegenseitig ins Herz geschlossen haben, davon zeugen auch die Aussagen einiger tunesischer Teilnehmerinnen:
„It was a good experience, not flawless but amazing. We made a lot of good memories and good friends. I hope it's a start of a good relation between both institutes.“
„The excursions we did together were also great, it was an opportunity to get to know each other better and so to be more comfortable when working together.“
„Le workshop a été une belle expérience à travers laquelle nous avons fait la connaissance d'étudiants intéressants et cultivés avec lesquels nous avons pu partager nos cultures et nos idées.“
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Kombination aus Übersetzungsarbeit und gemeinsamer
Freizeitgestaltung den deutschen TeilnehmerInnen die wertvolle Gelegenheit bot, sowohl einen Eindruck von der Stadt Tunis als auch ein Gefühl dafür zu bekommen, was dessen Bevölkerung derzeit beschäftigt. Und auch auf tunesischer Seite wurde mehrfach der Wunsch geäußert, dass der Workshop den Anfang nachhaltiger Beziehungen zwischen beiden Instituten darstellen möge.