Literaturtheorie in verflechtungsgeschichtlicher Perspektive
Im Zentrum des gemeinsam mit Prof. Dr. Schamma Schahadat (Tübingen) und PD Dr. Michał Mrugalski (Tübingen) geleiteten Projekts steht ein forschungsorientiertes Handbuch mit dem Titel "Literary Theory between East and West. Transcultural and Transdisciplinary Movements from Russian Formalism to Cultural Studies" (de Gruyter).
Während es zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwischen den Kulturen des deutschsprachigen Raums, Polens, der Tschechoslowakei und Russlands intensive intellektuelle Bewegungen gab, die ein gemeinsames theoretisches Feld erzeugten, war dieser Austausch im weiteren Verlauf des Jahrhunderts aufgrund der politischen Rahmenbedingungen über lange Zeiträume hinweg nur eingeschränkt möglich, so dass große Teile (ost)mitteleuropäischen Denkens und Wissens in Westeuropa und im anglo-amerikanischen Bereich nicht oder nur wenig zur Kenntnis genommen wurden. Einige der Theorien gelangten allerdings durch exilierte Wissenschaftler/innen in den westlichen literaturtheoretischen Diskurs, wo sie teilweise in neuen kulturellen Kontexten transformiert wurden. Ein Beispiel ist Michail Bachtins Dialogizitätskonzept, das im Kontext des französischen Poststrukturalismus zur Intertextualitätstheorie geweitet wurde, ein anderes der Rückgriff der Konstanzer Rezeptionsästhetik auf die Weiterentwicklungen von Roman Ingardens Konzept der Konkretisation im Prager Strukturalismus. Solche verflechtungsgeschichtliche Dimension der mittel- und osteuropäischen Theoriebildung, ihre Bewegungen, Dialoge, Usurpationen bzw. Transformationen macht das Handbuch sichtbar.
Im Anschluss und über den Rahmen des Handbuchs hinausgehend gilt das Forschungsinteresse dem größeren europäischen (kultur-)philosophischen Diskussionszusammenhang, in dem innovative Literaturtheorien wie der russische Formalismus und der tschechische Strukturalismus entstanden, aber auch der in Mittel- und Osteuropa starken Ausprägung phänomenologischer Ansätze, außerdem den Positionen, die dabei zum Wechselbezug von theoretischer Reflexion und künstlerischer Praxis eingenommen wurden. Diese Themen sollen in Workshops vertieft werden.
Projektstatus: laufend
Mittelgeber: DFG (Heisenberg-Professur)
Kontakt: Prof. Dr. Irina Wutsdorff