(B4) Segen für die Mächtigen: Legitimität und Legitimation politischer Herrschaft in spätmittelalterlichen und neuzeitlichen Stadtprozessionen
Dass Bitt-, Fronleichnams- und Heiligenprozessionen Ratsherren, Fürsten und Staatsmännern den Segen Gottes beziehungsweise die Hilfe der Heiligen vermittelten, gehört zu den Allgemeinplätzen historischer Forschung. Städtische und staatliche Führungseliten platzierten sich in der Nähe des Altarsakraments und trugen, festlich gekleidet, Baldachin, Bilder und Reliquienschrein. Epochenspezifisch angelegte Fallstudien thematisierten bisher die Widerspiegelung spätmittelalterlicher Stadtgesellschaft (Andrea Löther, Richard Trexler), den Stellenwert der Prozessionen in der Reformation (Bob Scribner), die Durchsetzung des frühmodernen Konfessionsstaates (Louis Châtellier, Werner Freitag), die Bewahrung katholischer Identität im Kulturkampf und die im Prozessionswesen zum Ausdruck kommende Resistenz gegenüber der menschenverachtenden NS-Ideologie (Barbara Stambolis).
Gemäß den Überlegungen des Exzellenzclusters sollte diese isolierte Betrachtungsweise verlassen werden, um im Längsschnitt zu zeigen, wie im religiösen Ritual politische Ordnung geschaffen wurde und auf welche Weise städtische Repräsentanten, auch in Konkurrenz zu staatlichen Herrschaftsträgern, durch die Aura des Göttlichen Legitimität beanspruchten und bei den Gläubigen an Legitimation gewannen. Der Betrachtungszeitraum reicht vom Spätmittelalter bis in den Ersten Weltkrieg.
In der konkreten Projektarbeit hat es sich jedoch gezeigt, dass das Explanandum „Legitimität von Herrschaft“ eine Engführung mit sich bringt: Inzwischen verfolgt das Projekt B4 unter dem Oberbegriff „Ordnung“ ein offeneres Konzept. Dies bedeutet, der Inszenierung und (performativen) Konstituierung beziehungsweise ritualisierten Widerspiegelung des Gemeinwesens Stadt, seiner politischen und sozialen Hierarchien und Identitäten nachzugehen, das heißt Verfassungswirklichkeit und die Rolle der Herrschaftsträger im Spiegel der Prozessionen zu untersuchen, aber auch die Inklusion und Exklusion im Ritual stärker zu fassen. Dabei sollen folgende Überlegungen und Kategorien Berücksichtigung finden: Prozessionen setzen Heiligkeit in Bewegung; als rituelles Handeln haben sie im Sinne Durkheims eine integrative Funktion. Gleichzeitig sind Prozessionen, besonders in Zeiten des Umbruchs, rituelles Handeln, das neue Ordnungen performativ zum Ausdruck bringt und festigen kann. Deshalb schaut das Projekt verstärkt auf die Rollen der Akteure, auf die liturgischen und profanen Handlungssequenzen, auf Traditionssuche und -stiftung sowie auf die Sakralisierungsstrategien.
In Kooperation mit dem Institut für vergleichende Städtegeschichte
Arbeitsgruppe Urban and Community Studies