(A6) Kantisch-nachkantische Normativität im interkulturellen Menschenrechtsdiskurs

Im Mittelpunkt des Projekts A6: „Kantische und postkantische Normativität im interkulturellen Menschenrechtsdiskurs“ steht die Ethik Immanuel Kants, die den Menschen als Selbstzweck autonomer Sittlichkeit und mithin als Wesen von unveräußerlicher Würde begreift. Die kantische Philosophie der Freiheit, die noch immer als eine der schlüssigsten Begründungen universal gültiger Menschenrechte gilt, geht mit einer epochalen Neubestimmung der christlichen Religion einher, die in der kritischen Philosophie konsequent dem Bereich der praktischen Vernunft zugeordnet wird: Die Vernunftreligion, namentlich das Gottespostulat und der rationale Glaube an die Freiheit und die Unsterblichkeit der Seele, deren praktische Wahrheit sich dem Menschen im tätigen Vollzug der Sittlichkeit erschließt, soll dem autonomen Subjekt einen Hoffnungshorizont aufzeigen, der allein sein sittliches Handeln vor dem Absurditätsverdacht einer jede moralische Anstrengung konterkarierenden Wirklichkeit zu bewahren vermag. In der Tradition Kants setzen die Vertreter der klassischen deutschen Philosophie, ihrem eigenen Selbstverständnis nach die besseren Theologen, das kantische Transformationsprogramm mit weit reichenden moral- und religionsphilosophischen Implikationen fort. Philosophiegeschichtlich hinterlässt das Ende des idealistischen Paradigmas einerseits ein Vakuum, das den Siegeszug des Naturalismus seit Mitte des 19. Jahrhunderts ermöglicht. Andererseits sind die moral- wie religionsphilosophisch bedeutsamen Denkpotentiale, wie sie die Debatten zwischen den Jahren 1781, dem Erscheinen von Kants Kritik der reinen Vernunft, und 1831/32, dem Tode Hegels und Goethes, bereitstellten, noch kaum ausgeschöpft.


Eine Metaphysik des Humanums, wie sie der Begriff einer allgemeinen Menschenwürde und sein Anspruch auf kulturübergreifende Universalität voraussetzen, kann, so die leitende Annahme des Projekts, dieser idealistischen Denkressourcen nicht entbehren. Zugleich bietet die Epoche des Deutschen Idealismus mit dem von Kant grundgelegten Programm eines aufgeklärten Christentums, in dem das Absolute aus dem Selbstverständnis des autonomen sittlichen Subjekts heraus als liebende All-Einheit begriffen wird, eine religionsphilosophisch höchst bedeutsame Alternative zum klassischen theologischen Paradigma eines welttranszendenten Schöpfergottes. Im Blick auf zeitgenössische Debatten über die Möglichkeit allgemein gültiger Normen einerseits und die Kritik am Gewaltpotential der drei großen monotheistischen Religionen andererseits sollen der apriorische Vernunftglaube autonomer Selbstbestimmung, wie er sich mit dem idealistischen Programm einer „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ verbindet, umfassend dargestellt und seine systematische Bedeutung für die Begründung universaler, d.h. interkulturell und interreligiös geltender Normativität gewürdigt werden.